Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Er beobachtet ferner, daß einige Pflanzen, die er in sein Kabinet einge¬
schlossen, und andere, die er in einen Keller getragen hat, sich dem Fenster
oder unten den Kellerlöchern zugekehrt haben. Endlich sind die Erscheinungen
an der Stnnpflanze, ihre mannichfaltigen Bewegungen und die Geschwindig¬
keit, mit der sie sich zusammenzieht, wenn man sie berührt, der interessante
Gegenstand, mit dem er seine Nachforschungen beschließt.

Ueberwältig von so vielen Thatsachen, die sämmtlich zu Gunsten des
Empfindungsvermögens der Pflanzen Zeugniß abzulegen scheinen. -- welche
Partei wird unser Philosoph ergreifen? Wird er vor diesen Beweisen sofort
das Gewehr strecken? Oder wird er sein Urtheil wie ein echter Pyrrhus
noch aufschieben? Mir scheint, daß er den ersteren Weg einschlagen wird."

Charles Bonnet glaubt, um das Ergebniß seiner Betrachtung zusammen¬
zufassen, daß die Pflanze sich des Gefühls- oder Empfindungsvermögens ganz
ebenso erfreut wie das Thier.

Nach dem System, welches uns Figuier entwickelt, ist das Thier im
Besitz einer Seele, die noch sehr unvollkommen und nur mit solchen Fähig¬
keiten ausgestattet ist, welche auf seine Bedürfnisse Bezug haben. Aber da
das Thier außer dem Empfindungsvermögen, dessen auch die Pflanzen theil¬
haft sind, zugleich ein gewisses Maß von Intelligenz besitzt, deren sich die
Pflanzen nicht rühmen können, so muß man den Schluß ziehen, daß die
zur vegetabilischen Welt gehörigen Geschöpfe nicht wie die Thiere mit einer
Seele im eigentlichsten Sinne begabt sind, sondern nur mit einem Rudiment,
einem Ansatz, einem Keim zu einer Seele.

"Und wie wir wissen," so schließt unser Autor sein Kapitel über die
Pflanzen, "daß die Sonne das Recht und Amt hat, das organische Leben
auf unserm Erdballe hervorzurufen, indem ihre Strahlen, wenn sie auf die
Erde oder das Wasser fallen, die Macht haben, die Bildung lebender Gewebe,
Thierpflanzen und Pflanzenthiere zu veranlassen, (wir wissen das nicht, sondern
Herr Figuier stellt nur die Hypothese auf, daß dem so sei,, und unterstützt
dieselbe mit einigen Gründen, die aber keineswegs zwingende sind), so müssen
wir aus allem, was dieser letzten Folgerung vorausgeht, den Schluß ziehen,
daß die Sonne in der Form ihrer Strahlen beseelte Keime auf die Erde
sendet, welche von vergeistigter Wesen ausfließen, die das leuchtende Gestirn
bewohnen.

So vollendet sich unser Natursystem, so knüpfen sich. Dank der Aus¬
strahlung der Sonne, die beiden äußersten Enden an der ungeheuren Stufen¬
leiter der organisirten Wesen, deren Stelle und Rolle aus der weiten Schau¬
bühne der Welten wir darzulegen versucht haben, an einander. Das Leben
beginnt in den Gewässern. Es tritt zuerst in den Thierpflanzen und Pflanzen¬
thieren auf; denn diese beiden Klassen lebender Wesen gehorchen denselben


Er beobachtet ferner, daß einige Pflanzen, die er in sein Kabinet einge¬
schlossen, und andere, die er in einen Keller getragen hat, sich dem Fenster
oder unten den Kellerlöchern zugekehrt haben. Endlich sind die Erscheinungen
an der Stnnpflanze, ihre mannichfaltigen Bewegungen und die Geschwindig¬
keit, mit der sie sich zusammenzieht, wenn man sie berührt, der interessante
Gegenstand, mit dem er seine Nachforschungen beschließt.

Ueberwältig von so vielen Thatsachen, die sämmtlich zu Gunsten des
Empfindungsvermögens der Pflanzen Zeugniß abzulegen scheinen. — welche
Partei wird unser Philosoph ergreifen? Wird er vor diesen Beweisen sofort
das Gewehr strecken? Oder wird er sein Urtheil wie ein echter Pyrrhus
noch aufschieben? Mir scheint, daß er den ersteren Weg einschlagen wird."

Charles Bonnet glaubt, um das Ergebniß seiner Betrachtung zusammen¬
zufassen, daß die Pflanze sich des Gefühls- oder Empfindungsvermögens ganz
ebenso erfreut wie das Thier.

Nach dem System, welches uns Figuier entwickelt, ist das Thier im
Besitz einer Seele, die noch sehr unvollkommen und nur mit solchen Fähig¬
keiten ausgestattet ist, welche auf seine Bedürfnisse Bezug haben. Aber da
das Thier außer dem Empfindungsvermögen, dessen auch die Pflanzen theil¬
haft sind, zugleich ein gewisses Maß von Intelligenz besitzt, deren sich die
Pflanzen nicht rühmen können, so muß man den Schluß ziehen, daß die
zur vegetabilischen Welt gehörigen Geschöpfe nicht wie die Thiere mit einer
Seele im eigentlichsten Sinne begabt sind, sondern nur mit einem Rudiment,
einem Ansatz, einem Keim zu einer Seele.

„Und wie wir wissen," so schließt unser Autor sein Kapitel über die
Pflanzen, „daß die Sonne das Recht und Amt hat, das organische Leben
auf unserm Erdballe hervorzurufen, indem ihre Strahlen, wenn sie auf die
Erde oder das Wasser fallen, die Macht haben, die Bildung lebender Gewebe,
Thierpflanzen und Pflanzenthiere zu veranlassen, (wir wissen das nicht, sondern
Herr Figuier stellt nur die Hypothese auf, daß dem so sei,, und unterstützt
dieselbe mit einigen Gründen, die aber keineswegs zwingende sind), so müssen
wir aus allem, was dieser letzten Folgerung vorausgeht, den Schluß ziehen,
daß die Sonne in der Form ihrer Strahlen beseelte Keime auf die Erde
sendet, welche von vergeistigter Wesen ausfließen, die das leuchtende Gestirn
bewohnen.

So vollendet sich unser Natursystem, so knüpfen sich. Dank der Aus¬
strahlung der Sonne, die beiden äußersten Enden an der ungeheuren Stufen¬
leiter der organisirten Wesen, deren Stelle und Rolle aus der weiten Schau¬
bühne der Welten wir darzulegen versucht haben, an einander. Das Leben
beginnt in den Gewässern. Es tritt zuerst in den Thierpflanzen und Pflanzen¬
thieren auf; denn diese beiden Klassen lebender Wesen gehorchen denselben


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0355" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/134173"/>
          <p xml:id="ID_1154"> Er beobachtet ferner, daß einige Pflanzen, die er in sein Kabinet einge¬<lb/>
schlossen, und andere, die er in einen Keller getragen hat, sich dem Fenster<lb/>
oder unten den Kellerlöchern zugekehrt haben. Endlich sind die Erscheinungen<lb/>
an der Stnnpflanze, ihre mannichfaltigen Bewegungen und die Geschwindig¬<lb/>
keit, mit der sie sich zusammenzieht, wenn man sie berührt, der interessante<lb/>
Gegenstand, mit dem er seine Nachforschungen beschließt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1155"> Ueberwältig von so vielen Thatsachen, die sämmtlich zu Gunsten des<lb/>
Empfindungsvermögens der Pflanzen Zeugniß abzulegen scheinen. &#x2014; welche<lb/>
Partei wird unser Philosoph ergreifen? Wird er vor diesen Beweisen sofort<lb/>
das Gewehr strecken? Oder wird er sein Urtheil wie ein echter Pyrrhus<lb/>
noch aufschieben?  Mir scheint, daß er den ersteren Weg einschlagen wird."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1156"> Charles Bonnet glaubt, um das Ergebniß seiner Betrachtung zusammen¬<lb/>
zufassen, daß die Pflanze sich des Gefühls- oder Empfindungsvermögens ganz<lb/>
ebenso erfreut wie das Thier.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1157"> Nach dem System, welches uns Figuier entwickelt, ist das Thier im<lb/>
Besitz einer Seele, die noch sehr unvollkommen und nur mit solchen Fähig¬<lb/>
keiten ausgestattet ist, welche auf seine Bedürfnisse Bezug haben. Aber da<lb/>
das Thier außer dem Empfindungsvermögen, dessen auch die Pflanzen theil¬<lb/>
haft sind, zugleich ein gewisses Maß von Intelligenz besitzt, deren sich die<lb/>
Pflanzen nicht rühmen können, so muß man den Schluß ziehen, daß die<lb/>
zur vegetabilischen Welt gehörigen Geschöpfe nicht wie die Thiere mit einer<lb/>
Seele im eigentlichsten Sinne begabt sind, sondern nur mit einem Rudiment,<lb/>
einem Ansatz, einem Keim zu einer Seele.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1158"> &#x201E;Und wie wir wissen," so schließt unser Autor sein Kapitel über die<lb/>
Pflanzen, &#x201E;daß die Sonne das Recht und Amt hat, das organische Leben<lb/>
auf unserm Erdballe hervorzurufen, indem ihre Strahlen, wenn sie auf die<lb/>
Erde oder das Wasser fallen, die Macht haben, die Bildung lebender Gewebe,<lb/>
Thierpflanzen und Pflanzenthiere zu veranlassen, (wir wissen das nicht, sondern<lb/>
Herr Figuier stellt nur die Hypothese auf, daß dem so sei,, und unterstützt<lb/>
dieselbe mit einigen Gründen, die aber keineswegs zwingende sind), so müssen<lb/>
wir aus allem, was dieser letzten Folgerung vorausgeht, den Schluß ziehen,<lb/>
daß die Sonne in der Form ihrer Strahlen beseelte Keime auf die Erde<lb/>
sendet, welche von vergeistigter Wesen ausfließen, die das leuchtende Gestirn<lb/>
bewohnen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1159" next="#ID_1160"> So vollendet sich unser Natursystem, so knüpfen sich. Dank der Aus¬<lb/>
strahlung der Sonne, die beiden äußersten Enden an der ungeheuren Stufen¬<lb/>
leiter der organisirten Wesen, deren Stelle und Rolle aus der weiten Schau¬<lb/>
bühne der Welten wir darzulegen versucht haben, an einander. Das Leben<lb/>
beginnt in den Gewässern. Es tritt zuerst in den Thierpflanzen und Pflanzen¬<lb/>
thieren auf; denn diese beiden Klassen lebender Wesen gehorchen denselben</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0355] Er beobachtet ferner, daß einige Pflanzen, die er in sein Kabinet einge¬ schlossen, und andere, die er in einen Keller getragen hat, sich dem Fenster oder unten den Kellerlöchern zugekehrt haben. Endlich sind die Erscheinungen an der Stnnpflanze, ihre mannichfaltigen Bewegungen und die Geschwindig¬ keit, mit der sie sich zusammenzieht, wenn man sie berührt, der interessante Gegenstand, mit dem er seine Nachforschungen beschließt. Ueberwältig von so vielen Thatsachen, die sämmtlich zu Gunsten des Empfindungsvermögens der Pflanzen Zeugniß abzulegen scheinen. — welche Partei wird unser Philosoph ergreifen? Wird er vor diesen Beweisen sofort das Gewehr strecken? Oder wird er sein Urtheil wie ein echter Pyrrhus noch aufschieben? Mir scheint, daß er den ersteren Weg einschlagen wird." Charles Bonnet glaubt, um das Ergebniß seiner Betrachtung zusammen¬ zufassen, daß die Pflanze sich des Gefühls- oder Empfindungsvermögens ganz ebenso erfreut wie das Thier. Nach dem System, welches uns Figuier entwickelt, ist das Thier im Besitz einer Seele, die noch sehr unvollkommen und nur mit solchen Fähig¬ keiten ausgestattet ist, welche auf seine Bedürfnisse Bezug haben. Aber da das Thier außer dem Empfindungsvermögen, dessen auch die Pflanzen theil¬ haft sind, zugleich ein gewisses Maß von Intelligenz besitzt, deren sich die Pflanzen nicht rühmen können, so muß man den Schluß ziehen, daß die zur vegetabilischen Welt gehörigen Geschöpfe nicht wie die Thiere mit einer Seele im eigentlichsten Sinne begabt sind, sondern nur mit einem Rudiment, einem Ansatz, einem Keim zu einer Seele. „Und wie wir wissen," so schließt unser Autor sein Kapitel über die Pflanzen, „daß die Sonne das Recht und Amt hat, das organische Leben auf unserm Erdballe hervorzurufen, indem ihre Strahlen, wenn sie auf die Erde oder das Wasser fallen, die Macht haben, die Bildung lebender Gewebe, Thierpflanzen und Pflanzenthiere zu veranlassen, (wir wissen das nicht, sondern Herr Figuier stellt nur die Hypothese auf, daß dem so sei,, und unterstützt dieselbe mit einigen Gründen, die aber keineswegs zwingende sind), so müssen wir aus allem, was dieser letzten Folgerung vorausgeht, den Schluß ziehen, daß die Sonne in der Form ihrer Strahlen beseelte Keime auf die Erde sendet, welche von vergeistigter Wesen ausfließen, die das leuchtende Gestirn bewohnen. So vollendet sich unser Natursystem, so knüpfen sich. Dank der Aus¬ strahlung der Sonne, die beiden äußersten Enden an der ungeheuren Stufen¬ leiter der organisirten Wesen, deren Stelle und Rolle aus der weiten Schau¬ bühne der Welten wir darzulegen versucht haben, an einander. Das Leben beginnt in den Gewässern. Es tritt zuerst in den Thierpflanzen und Pflanzen¬ thieren auf; denn diese beiden Klassen lebender Wesen gehorchen denselben

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/355
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/355>, abgerufen am 26.06.2024.