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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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vorher gemacht hat. haben ihn belehrt, daß> die Oberfläche der Blätter haupt¬
sächlich als Schutzdach für die untere Fläche, und daß diese letztere zur Ein-
saugung der aus der Erde aufsteigenden Feuchtigkeit und zur Ausleerung des
Ueberflüssigen bestimmt ist. Die Richtung, die er an den Blättern bemerkt,
scheint ihm also mit seinen Ersahrungen sehr übereinzustimmen. Er wird
infolge dessen aufmerksamer im Studium dieses Theiles der Pflanze.

Er bemerkt jetzt, daß die Blätter einiger Arten den Bewegungen der
Sonne zu folgen scheinen, und zwar so, daß sie am Morgen nach Osten, am
Abend nach Westen gekehrt sind. Er sieht, wie andere Blätter sich der Sonne
nach der einen Seite und dem Thau nach der entgegengesetzten Richtung hin
verschließen. Er beobachtet eine gleiche Bewegung an verschiedenen Blumen.

Indem er sich in der Folge überlegt, daß, welche Stellung die Pflanzen
auch relativ zum Horizont einnehmen, die Richtung der Blätter immer un¬
gefähr diejenige ist, welche er zu Anfang beobachtet hat, fällt ihm ein, diese
Richtung zu ändern und die Blätter in eine Lage zu bringen, die derjenigen,
welche sie von Natur haben, geradezu entgegengesetzt ist. Er hat sich schon ähn¬
licher Mittel bedient, um sich über den Jnstinct der Thiere Gewißheit zu ver¬
schaffen und um dessen Tragweite kennen zu lernen. In dieser Absicht neigt er
Pflanzen dem Horizont zu, die ihm gegenüber senkrecht standen, und hält sie
in dieser Lage fest. Hierdurch findet sich die Richtung der Blätter vollständig
verändert: die obere Fläche, welche bisher den Himmel oder die freie Luft er¬
blickte, blickt jetzt nach der Erde oder dem Innern der Pflanze, und die untere
Fläche, welche vorher nach der Erde oder dem Innern der Pflanze gekehrt war,
sieht jetzt nach dem Himmel oder der freien Luft. Aber dieser Wechsel dauert
nicht lange. Bald setzen sich alle diese Blätter in Bewegung, sie drehen sich auf
ihren Stielen wie auf einer Angel, und nach Verlauf einiger Stunden nehmen
sie ihre frühere Stellung wieder ein. Der Stamm und die Zweige strecken
sich ebenfalls und stellen sich dem Horizonte senkrecht gegenüber.

Jeder Theil eines Seesterns, einer Seenessel, eines Polypen hat im
Kleinen wesentlich denselben Bau wie das ganze Thier im Großen. Es ver¬
hält sich mit den Pflanzen ebenso. Unser Beobachter, dem dieser Umstand
nicht unbekannt ist, will Gewißheit darüber haben, ob Blätter und Zweige,
die von ihrer Pflanze losgetrennt sind, in Vasen geworfen, die man mit
Wasser gefüllt hat, hier dieselben Neigungen bewahren werden. die sie an der
Pflanze hatten, von der sie einen Theil ausmachten, und siehe da, die Er¬
fahrung beweist ihm, daß dem in der That so ist, in einer Weise, daß Ihm
keinerlei Zweifel übrig bleibt.

Er legt unter einige Blätter angefeuchtete Schwämme, und er sieht, wie
diese Blätter sich nach den Schwämmen hinabneigen und versuchen, sich mit
ihrer untern Fläche an sie zu legen.


vorher gemacht hat. haben ihn belehrt, daß> die Oberfläche der Blätter haupt¬
sächlich als Schutzdach für die untere Fläche, und daß diese letztere zur Ein-
saugung der aus der Erde aufsteigenden Feuchtigkeit und zur Ausleerung des
Ueberflüssigen bestimmt ist. Die Richtung, die er an den Blättern bemerkt,
scheint ihm also mit seinen Ersahrungen sehr übereinzustimmen. Er wird
infolge dessen aufmerksamer im Studium dieses Theiles der Pflanze.

Er bemerkt jetzt, daß die Blätter einiger Arten den Bewegungen der
Sonne zu folgen scheinen, und zwar so, daß sie am Morgen nach Osten, am
Abend nach Westen gekehrt sind. Er sieht, wie andere Blätter sich der Sonne
nach der einen Seite und dem Thau nach der entgegengesetzten Richtung hin
verschließen. Er beobachtet eine gleiche Bewegung an verschiedenen Blumen.

Indem er sich in der Folge überlegt, daß, welche Stellung die Pflanzen
auch relativ zum Horizont einnehmen, die Richtung der Blätter immer un¬
gefähr diejenige ist, welche er zu Anfang beobachtet hat, fällt ihm ein, diese
Richtung zu ändern und die Blätter in eine Lage zu bringen, die derjenigen,
welche sie von Natur haben, geradezu entgegengesetzt ist. Er hat sich schon ähn¬
licher Mittel bedient, um sich über den Jnstinct der Thiere Gewißheit zu ver¬
schaffen und um dessen Tragweite kennen zu lernen. In dieser Absicht neigt er
Pflanzen dem Horizont zu, die ihm gegenüber senkrecht standen, und hält sie
in dieser Lage fest. Hierdurch findet sich die Richtung der Blätter vollständig
verändert: die obere Fläche, welche bisher den Himmel oder die freie Luft er¬
blickte, blickt jetzt nach der Erde oder dem Innern der Pflanze, und die untere
Fläche, welche vorher nach der Erde oder dem Innern der Pflanze gekehrt war,
sieht jetzt nach dem Himmel oder der freien Luft. Aber dieser Wechsel dauert
nicht lange. Bald setzen sich alle diese Blätter in Bewegung, sie drehen sich auf
ihren Stielen wie auf einer Angel, und nach Verlauf einiger Stunden nehmen
sie ihre frühere Stellung wieder ein. Der Stamm und die Zweige strecken
sich ebenfalls und stellen sich dem Horizonte senkrecht gegenüber.

Jeder Theil eines Seesterns, einer Seenessel, eines Polypen hat im
Kleinen wesentlich denselben Bau wie das ganze Thier im Großen. Es ver¬
hält sich mit den Pflanzen ebenso. Unser Beobachter, dem dieser Umstand
nicht unbekannt ist, will Gewißheit darüber haben, ob Blätter und Zweige,
die von ihrer Pflanze losgetrennt sind, in Vasen geworfen, die man mit
Wasser gefüllt hat, hier dieselben Neigungen bewahren werden. die sie an der
Pflanze hatten, von der sie einen Theil ausmachten, und siehe da, die Er¬
fahrung beweist ihm, daß dem in der That so ist, in einer Weise, daß Ihm
keinerlei Zweifel übrig bleibt.

Er legt unter einige Blätter angefeuchtete Schwämme, und er sieht, wie
diese Blätter sich nach den Schwämmen hinabneigen und versuchen, sich mit
ihrer untern Fläche an sie zu legen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/354>, abgerufen am 26.06.2024.