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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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Richtung nicht erstaunt sein, er würde sie der Lage zuschreiben, die er diesen
Körnern beim Säen gegeben hätte. Er würde zu beobachten fortfahren, und
er würde bald gewahr werden, wie das Würzelchen sich umwendet, um das
Innere der Erde zu gewinnen. Und das Blattfederchen sich ebenfalls krümmt,
um sich aus dem Erdboden in die Luft zu drängen. Diese Veränderung der
Richtung würde ihm sehr merkwürdig vorkommen, und er würde anfangen,
zu vermuthen, daß das organisirte Wesen, welches er untersucht, mit einem
gewissen Unterscheidungsvermögen begabt sei. Zu vorsichtig indeß, um auf
diese ersten Anzeichen hin schon ein Urtheil zu fällen, würde er dieß verschieben
und seine Forschungen fortsetzen.

Die Pflanzen, deren Keimen unser Physiker beobachtet, sind in der Nähe
einer geschützten und beschatteten Stelle entstanden. Begünstigt durch diese
Lage und mit Sorgfalt gepflegt, haben sie in kurzer Zeit große Fortschritte
gemacht. Das Terrain, welches sie in einiger Entfernung umgiebt, ist von
zwei ganz entgegengesetzten Beschaffenheiten: die Gegend rechts von den
Pflanzen ist feucht, fett und schwammig, die Partie links ist trocken, hart und
kießig. Unser Beobachter bemerkt, daß die Wurzeln, nachdem sie sich nach
allen Seiten gleichmäßig auszudehnen begonnen, ihren Weg gewechselt und
sich alle nach der Gegend des Terrains hingewendet haben, die seit und feucht
ist. Sie haben sich sogar bis zu dem Punkte ausgedehnt, daß er auf die
Befürchtung kommt, sie werden den benachbarten Pflanzen die Nahrung ab¬
schneiden. Um diesem Unfug zuvorzukommen, beschließt er einen Graben zu
ziehen, der die Pflanzen, die er beobachtet, von denen trennen soll, welche sie
dem Verhungern preis zu geben drohen, und hierdurch glaubt er Allem vor¬
gebeugt zu haben. Aber diese Pflanzen, welche er zu meistern versucht, täuschen
seine Klugheit: sie lassen ihre Wurzeln unter der Sohle des Grabens durch¬
gehen und am andern Ufer weiter vordringen.

Uebereascht von diesem Gange der Dinge, deckt er eine dieser Wurzeln
auf, aber ohne sie der Wärme auszusetzen. Er hält ihr einen mit Wasser
getränkten Schwamm hin, und sehr bald wendet sich diese Wurzel dem
Schwämme zu. Er läßt den Schwamm mehrmals den Ort wechseln, und die
Wurzel folgt demselben und schließt sich allen seinen Lagen an.

Während unser Philosoph tief über alle diese Thatsachen nachsinnt,
bieten sich ihm fast zu derselben Zeit andere merkwürdige Umstände dar.
Er beobachtet, daß alle Pflanzen den geschützten und beschatteten Ort ver¬
lassen und sich nach vorn hingeneigt haben, wie wenn sie den wohlthätigen
Blicken der Sonne alle Theile ihres Körpers darbieten wollten. Er beobachtet
ferner, daß die Blätter sich alle so gewendet haben, daß ihre oberen Flächen
der Sonne oder der freien Luft zugekehrt sind, während die untere Fläche
nach dem schaltet, oder dem Erdboden blickt. Einige Erfahrungen, die er


Grenzlwten III. 187S. 44

Richtung nicht erstaunt sein, er würde sie der Lage zuschreiben, die er diesen
Körnern beim Säen gegeben hätte. Er würde zu beobachten fortfahren, und
er würde bald gewahr werden, wie das Würzelchen sich umwendet, um das
Innere der Erde zu gewinnen. Und das Blattfederchen sich ebenfalls krümmt,
um sich aus dem Erdboden in die Luft zu drängen. Diese Veränderung der
Richtung würde ihm sehr merkwürdig vorkommen, und er würde anfangen,
zu vermuthen, daß das organisirte Wesen, welches er untersucht, mit einem
gewissen Unterscheidungsvermögen begabt sei. Zu vorsichtig indeß, um auf
diese ersten Anzeichen hin schon ein Urtheil zu fällen, würde er dieß verschieben
und seine Forschungen fortsetzen.

Die Pflanzen, deren Keimen unser Physiker beobachtet, sind in der Nähe
einer geschützten und beschatteten Stelle entstanden. Begünstigt durch diese
Lage und mit Sorgfalt gepflegt, haben sie in kurzer Zeit große Fortschritte
gemacht. Das Terrain, welches sie in einiger Entfernung umgiebt, ist von
zwei ganz entgegengesetzten Beschaffenheiten: die Gegend rechts von den
Pflanzen ist feucht, fett und schwammig, die Partie links ist trocken, hart und
kießig. Unser Beobachter bemerkt, daß die Wurzeln, nachdem sie sich nach
allen Seiten gleichmäßig auszudehnen begonnen, ihren Weg gewechselt und
sich alle nach der Gegend des Terrains hingewendet haben, die seit und feucht
ist. Sie haben sich sogar bis zu dem Punkte ausgedehnt, daß er auf die
Befürchtung kommt, sie werden den benachbarten Pflanzen die Nahrung ab¬
schneiden. Um diesem Unfug zuvorzukommen, beschließt er einen Graben zu
ziehen, der die Pflanzen, die er beobachtet, von denen trennen soll, welche sie
dem Verhungern preis zu geben drohen, und hierdurch glaubt er Allem vor¬
gebeugt zu haben. Aber diese Pflanzen, welche er zu meistern versucht, täuschen
seine Klugheit: sie lassen ihre Wurzeln unter der Sohle des Grabens durch¬
gehen und am andern Ufer weiter vordringen.

Uebereascht von diesem Gange der Dinge, deckt er eine dieser Wurzeln
auf, aber ohne sie der Wärme auszusetzen. Er hält ihr einen mit Wasser
getränkten Schwamm hin, und sehr bald wendet sich diese Wurzel dem
Schwämme zu. Er läßt den Schwamm mehrmals den Ort wechseln, und die
Wurzel folgt demselben und schließt sich allen seinen Lagen an.

Während unser Philosoph tief über alle diese Thatsachen nachsinnt,
bieten sich ihm fast zu derselben Zeit andere merkwürdige Umstände dar.
Er beobachtet, daß alle Pflanzen den geschützten und beschatteten Ort ver¬
lassen und sich nach vorn hingeneigt haben, wie wenn sie den wohlthätigen
Blicken der Sonne alle Theile ihres Körpers darbieten wollten. Er beobachtet
ferner, daß die Blätter sich alle so gewendet haben, daß ihre oberen Flächen
der Sonne oder der freien Luft zugekehrt sind, während die untere Fläche
nach dem schaltet, oder dem Erdboden blickt. Einige Erfahrungen, die er


Grenzlwten III. 187S. 44
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[0353] Richtung nicht erstaunt sein, er würde sie der Lage zuschreiben, die er diesen Körnern beim Säen gegeben hätte. Er würde zu beobachten fortfahren, und er würde bald gewahr werden, wie das Würzelchen sich umwendet, um das Innere der Erde zu gewinnen. Und das Blattfederchen sich ebenfalls krümmt, um sich aus dem Erdboden in die Luft zu drängen. Diese Veränderung der Richtung würde ihm sehr merkwürdig vorkommen, und er würde anfangen, zu vermuthen, daß das organisirte Wesen, welches er untersucht, mit einem gewissen Unterscheidungsvermögen begabt sei. Zu vorsichtig indeß, um auf diese ersten Anzeichen hin schon ein Urtheil zu fällen, würde er dieß verschieben und seine Forschungen fortsetzen. Die Pflanzen, deren Keimen unser Physiker beobachtet, sind in der Nähe einer geschützten und beschatteten Stelle entstanden. Begünstigt durch diese Lage und mit Sorgfalt gepflegt, haben sie in kurzer Zeit große Fortschritte gemacht. Das Terrain, welches sie in einiger Entfernung umgiebt, ist von zwei ganz entgegengesetzten Beschaffenheiten: die Gegend rechts von den Pflanzen ist feucht, fett und schwammig, die Partie links ist trocken, hart und kießig. Unser Beobachter bemerkt, daß die Wurzeln, nachdem sie sich nach allen Seiten gleichmäßig auszudehnen begonnen, ihren Weg gewechselt und sich alle nach der Gegend des Terrains hingewendet haben, die seit und feucht ist. Sie haben sich sogar bis zu dem Punkte ausgedehnt, daß er auf die Befürchtung kommt, sie werden den benachbarten Pflanzen die Nahrung ab¬ schneiden. Um diesem Unfug zuvorzukommen, beschließt er einen Graben zu ziehen, der die Pflanzen, die er beobachtet, von denen trennen soll, welche sie dem Verhungern preis zu geben drohen, und hierdurch glaubt er Allem vor¬ gebeugt zu haben. Aber diese Pflanzen, welche er zu meistern versucht, täuschen seine Klugheit: sie lassen ihre Wurzeln unter der Sohle des Grabens durch¬ gehen und am andern Ufer weiter vordringen. Uebereascht von diesem Gange der Dinge, deckt er eine dieser Wurzeln auf, aber ohne sie der Wärme auszusetzen. Er hält ihr einen mit Wasser getränkten Schwamm hin, und sehr bald wendet sich diese Wurzel dem Schwämme zu. Er läßt den Schwamm mehrmals den Ort wechseln, und die Wurzel folgt demselben und schließt sich allen seinen Lagen an. Während unser Philosoph tief über alle diese Thatsachen nachsinnt, bieten sich ihm fast zu derselben Zeit andere merkwürdige Umstände dar. Er beobachtet, daß alle Pflanzen den geschützten und beschatteten Ort ver¬ lassen und sich nach vorn hingeneigt haben, wie wenn sie den wohlthätigen Blicken der Sonne alle Theile ihres Körpers darbieten wollten. Er beobachtet ferner, daß die Blätter sich alle so gewendet haben, daß ihre oberen Flächen der Sonne oder der freien Luft zugekehrt sind, während die untere Fläche nach dem schaltet, oder dem Erdboden blickt. Einige Erfahrungen, die er Grenzlwten III. 187S. 44

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/353>, abgerufen am 26.06.2024.