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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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betrachten. Aber es giebt vielleicht noch viele Grade zwischen dem Gefühl
der Miesmuschel und demjenigen der Pflanze. Es giebt deren vielleicht noch
mehr zwischen der feinfühligster Pflanze und der, welche am wenigsten
empfindet. Die Abstufungen, denen wir allenthalben begegnen, sollten uns
veranlassen, so zu Philosophiren. Der neue Grad von Schönheit, den dies
dem Weltsysteme hinzuzufügen scheint, und die Freude, die in der Annahme
vieler fühlenden Wesen liegt, sollten ferner beitragen, uns zur Zustimmung
zu bewegen. (Eine eigne Ansicht vom wissenschaftlichen Denken; damit wir
mehr Vergnügen an der Welt finden, damit sie uns schöner vorkommt,
sollen wir etwas für wahr halten, was möglicherweise grundlos ist.) Ich
möchte also gern bekennen, daß diese Philosophie stark nach meinem Geschmacke
ist. Ich liebe es, mich zu überreden, daß diese Pflanzen, die unsere Gärten
und unsere Felder mit immer neuer Pracht schmücken, diese Fruchtbäume, die
unsre Augen und unsern Gaumen so angenehm erregen, diese majestätischen
Bäume, welche jene ungeheueren Wälder bilden, vor denen die Zeiten Ehr¬
furcht empfunden zu haben scheinen, ebenso viele Wesen sind, welche auf ihre
Art die Süßigkeiten des Daseins schmecken.

.... Die Pflanzen bieten uns einige Thatsachen dar, die anzuzeigen
scheinen, daß sie Gefühl haben. Aber ich weiß nicht, ob wir so gut gestellt
sind, daß wir diese Thatsachen sehen, und ob die starke Ueberzeugung, deren
wir so lange schon leben, daß sie empfindungslos sind, uns gestattet, richtig
darüber zu urtheilen. Man müßte in Betreff der Frage eg-tuts, rass, machen
und die Pflanzen einer neuen gerechteren und vorurtheilsfreieren Prüfung
unterziehen. Ein Mondbewohner, welcher denselben Sinn und denselben
geistigen Fond wie wir hätte, aber nicht für die Empfindungslosigkeit
der Pflanzen eingenommen wäre, würde der Philosoph sein, den wir suchen.

Stellen wir uns einmal vor, daß ein solcher Beobachter erschiene, um
die Erzeugnisse unsrer Erde zu studiren, und nachdem er seine Aufmerksamkeit
den Polypen und Jnsecten, die sich durch Schößlinge vervielfältigen, gewidmet,
zur Betrachtung der Pflanzen überginge, er würde sie ohne Zweifel zuerst
nach ihrer Entstehung vornehmen. Zu diesem Zwecke würde er Körner ver-
schiedener Arten säen und Acht darauf geben, wie sie keimten. Nehmen wir
zu gleicher Zeit an, daß einige dieser Körner widersinnig gesät wären, das
Würzelchen nach oben, das Blattfederchen oder Stielchen nach unten gerichtet,
nehmen wir ferner an, daß unser Beobachter das Würzelchen vom Blatt¬
federchen zu unterscheiden verstünde, und daß er mit der Function des einen
wie mit der des andern bekannt wäre, so würde er nach Verlauf einiger
Tage die Bemerkung machen, daß das Würzelchen sich nach der Oberfläche
der Erde aufgerichtet, und daß das Blattfederchen sich nach innen oder unten
hineingebohrt hätte, Er würde über diese dem Leben der Pflanze so schädliche


betrachten. Aber es giebt vielleicht noch viele Grade zwischen dem Gefühl
der Miesmuschel und demjenigen der Pflanze. Es giebt deren vielleicht noch
mehr zwischen der feinfühligster Pflanze und der, welche am wenigsten
empfindet. Die Abstufungen, denen wir allenthalben begegnen, sollten uns
veranlassen, so zu Philosophiren. Der neue Grad von Schönheit, den dies
dem Weltsysteme hinzuzufügen scheint, und die Freude, die in der Annahme
vieler fühlenden Wesen liegt, sollten ferner beitragen, uns zur Zustimmung
zu bewegen. (Eine eigne Ansicht vom wissenschaftlichen Denken; damit wir
mehr Vergnügen an der Welt finden, damit sie uns schöner vorkommt,
sollen wir etwas für wahr halten, was möglicherweise grundlos ist.) Ich
möchte also gern bekennen, daß diese Philosophie stark nach meinem Geschmacke
ist. Ich liebe es, mich zu überreden, daß diese Pflanzen, die unsere Gärten
und unsere Felder mit immer neuer Pracht schmücken, diese Fruchtbäume, die
unsre Augen und unsern Gaumen so angenehm erregen, diese majestätischen
Bäume, welche jene ungeheueren Wälder bilden, vor denen die Zeiten Ehr¬
furcht empfunden zu haben scheinen, ebenso viele Wesen sind, welche auf ihre
Art die Süßigkeiten des Daseins schmecken.

.... Die Pflanzen bieten uns einige Thatsachen dar, die anzuzeigen
scheinen, daß sie Gefühl haben. Aber ich weiß nicht, ob wir so gut gestellt
sind, daß wir diese Thatsachen sehen, und ob die starke Ueberzeugung, deren
wir so lange schon leben, daß sie empfindungslos sind, uns gestattet, richtig
darüber zu urtheilen. Man müßte in Betreff der Frage eg-tuts, rass, machen
und die Pflanzen einer neuen gerechteren und vorurtheilsfreieren Prüfung
unterziehen. Ein Mondbewohner, welcher denselben Sinn und denselben
geistigen Fond wie wir hätte, aber nicht für die Empfindungslosigkeit
der Pflanzen eingenommen wäre, würde der Philosoph sein, den wir suchen.

Stellen wir uns einmal vor, daß ein solcher Beobachter erschiene, um
die Erzeugnisse unsrer Erde zu studiren, und nachdem er seine Aufmerksamkeit
den Polypen und Jnsecten, die sich durch Schößlinge vervielfältigen, gewidmet,
zur Betrachtung der Pflanzen überginge, er würde sie ohne Zweifel zuerst
nach ihrer Entstehung vornehmen. Zu diesem Zwecke würde er Körner ver-
schiedener Arten säen und Acht darauf geben, wie sie keimten. Nehmen wir
zu gleicher Zeit an, daß einige dieser Körner widersinnig gesät wären, das
Würzelchen nach oben, das Blattfederchen oder Stielchen nach unten gerichtet,
nehmen wir ferner an, daß unser Beobachter das Würzelchen vom Blatt¬
federchen zu unterscheiden verstünde, und daß er mit der Function des einen
wie mit der des andern bekannt wäre, so würde er nach Verlauf einiger
Tage die Bemerkung machen, daß das Würzelchen sich nach der Oberfläche
der Erde aufgerichtet, und daß das Blattfederchen sich nach innen oder unten
hineingebohrt hätte, Er würde über diese dem Leben der Pflanze so schädliche


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[0352] betrachten. Aber es giebt vielleicht noch viele Grade zwischen dem Gefühl der Miesmuschel und demjenigen der Pflanze. Es giebt deren vielleicht noch mehr zwischen der feinfühligster Pflanze und der, welche am wenigsten empfindet. Die Abstufungen, denen wir allenthalben begegnen, sollten uns veranlassen, so zu Philosophiren. Der neue Grad von Schönheit, den dies dem Weltsysteme hinzuzufügen scheint, und die Freude, die in der Annahme vieler fühlenden Wesen liegt, sollten ferner beitragen, uns zur Zustimmung zu bewegen. (Eine eigne Ansicht vom wissenschaftlichen Denken; damit wir mehr Vergnügen an der Welt finden, damit sie uns schöner vorkommt, sollen wir etwas für wahr halten, was möglicherweise grundlos ist.) Ich möchte also gern bekennen, daß diese Philosophie stark nach meinem Geschmacke ist. Ich liebe es, mich zu überreden, daß diese Pflanzen, die unsere Gärten und unsere Felder mit immer neuer Pracht schmücken, diese Fruchtbäume, die unsre Augen und unsern Gaumen so angenehm erregen, diese majestätischen Bäume, welche jene ungeheueren Wälder bilden, vor denen die Zeiten Ehr¬ furcht empfunden zu haben scheinen, ebenso viele Wesen sind, welche auf ihre Art die Süßigkeiten des Daseins schmecken. .... Die Pflanzen bieten uns einige Thatsachen dar, die anzuzeigen scheinen, daß sie Gefühl haben. Aber ich weiß nicht, ob wir so gut gestellt sind, daß wir diese Thatsachen sehen, und ob die starke Ueberzeugung, deren wir so lange schon leben, daß sie empfindungslos sind, uns gestattet, richtig darüber zu urtheilen. Man müßte in Betreff der Frage eg-tuts, rass, machen und die Pflanzen einer neuen gerechteren und vorurtheilsfreieren Prüfung unterziehen. Ein Mondbewohner, welcher denselben Sinn und denselben geistigen Fond wie wir hätte, aber nicht für die Empfindungslosigkeit der Pflanzen eingenommen wäre, würde der Philosoph sein, den wir suchen. Stellen wir uns einmal vor, daß ein solcher Beobachter erschiene, um die Erzeugnisse unsrer Erde zu studiren, und nachdem er seine Aufmerksamkeit den Polypen und Jnsecten, die sich durch Schößlinge vervielfältigen, gewidmet, zur Betrachtung der Pflanzen überginge, er würde sie ohne Zweifel zuerst nach ihrer Entstehung vornehmen. Zu diesem Zwecke würde er Körner ver- schiedener Arten säen und Acht darauf geben, wie sie keimten. Nehmen wir zu gleicher Zeit an, daß einige dieser Körner widersinnig gesät wären, das Würzelchen nach oben, das Blattfederchen oder Stielchen nach unten gerichtet, nehmen wir ferner an, daß unser Beobachter das Würzelchen vom Blatt¬ federchen zu unterscheiden verstünde, und daß er mit der Function des einen wie mit der des andern bekannt wäre, so würde er nach Verlauf einiger Tage die Bemerkung machen, daß das Würzelchen sich nach der Oberfläche der Erde aufgerichtet, und daß das Blattfederchen sich nach innen oder unten hineingebohrt hätte, Er würde über diese dem Leben der Pflanze so schädliche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/352>, abgerufen am 26.06.2024.