Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

wie unsere Süßwasser-Hydra, da sie die Jnsecten, die sich auf ihre Blätter
wagen, wie in einer Falle erhäscht-

Es giebt auf dem Meeresgrunde einen sehr seltsamen Zoophyten, die
ebenfalls bereits erwähnte Actinie oder Seeanemone. Lange Zeit hat man
dieses Geschöpf mit den Pflanzen zusammengeworfen. Man sah in den
Actinien die Blumen des Oceans. Wer in den Aquarien des Acclimations-
gartens zu Paris (im berliner, im hamburgischen und im hannover'schen
Aquarium hat man sie ebenfalls) diese schönen Thierchen mit ihren lebhaften
Farben bewundert, wie sie sich auf ihren biegsamen Stielen wiegen und da¬
bei die gefärbten Anhängsel und Fransen bewegen, die ihren Kopf schmücken,
hat Mühe, die reizenden Königinnen der Gewässer nicht für wirkliche Blumen
zu halten, und in der That hat man die Seeanemonen Jahrhunderte hindurch
für Meerpflanzen angesehen.

Die Koralle wurde noch im vorigen Säculum als ein Seegesträuch be¬
trachtet, und man glaubte an ihr sogar Blüthen aufgefunden zu haben. Ein
Pariser Akademiker, der Gras de Marsigli, hat sich mit dieser Entdeckung einen
europäischen Ruf erworben. Peyssonnell, ein provencalischer Naturforscher,
hatte alle mögliche Mühe, diese Vorstellung zu bekämpfen und darzuthun, daß
die angeblichen Blumen nichts als junge Korallen waren. Er hatte die ganze
hochweise Akademie der Wissenschaften gegen sich, und seine Bestreitung der
Ansichten dieser Körperschaft, der höchsten Autorität in Sachen der Natur¬
forschung für die Mehrzahl der Franzosen, trug ihm eine solche Unbeliebtheit
ein, daß er Frankreich verlassen und als obscurer Arzt nach den Antillen
gehen mußte, wo er bis zu seinem Ableben verblieb -- alles das, weil er
behauptet, was jetzt jeder ältere Elementarschüler weiß, daß nämlich die Koralle
keine Pflanze sei und folglich auch nicht blühen könne.

Der berühmte Genfer Naturforscher Charles Bonnet, der vor mehr als
einem Jahrhundert schon der Wissenschaft unsrer Tage voraneilte, hat in
seinem Werke: "Betrachtung der Natur" der Parallele zwischen den Thieren
und Pflanzen eine ergreifend schöne Form gegeben. Wir können dem Ver.
gnügen nicht widerstehen, aus diesem Buche die nachfolgende Stelle anzu¬
führen, in welcher der Verfasser desselben auf höchst ansprechende Weise die
Schwierigkeiten aufzeigt, denen man bei der Unterscheidung der Pflanze vom
Thiere begegnet, und wie sehr man in Verlegenheit geräth, wenn man der
ersteren das Empfindungsvermögen absprechen will. "Alles ist abgestuft in
der Natur." sagt Bonnet. "Wenn wir der Pflanze das Gefühl absprechen,
so lassen wir die Natur einen Sprung thun, ohne dafür einen Beweggrund
ZU nennen. Wir sehen das Gefühl vom Menschen an stufenweise abnehmen
bis hinunter zur Miesmuschel und Seenessel, und wir sind überzeugt, daß es
da aufhört, indem wir diese letzteren Thiere als die am wenigsten vollkommenen


wie unsere Süßwasser-Hydra, da sie die Jnsecten, die sich auf ihre Blätter
wagen, wie in einer Falle erhäscht-

Es giebt auf dem Meeresgrunde einen sehr seltsamen Zoophyten, die
ebenfalls bereits erwähnte Actinie oder Seeanemone. Lange Zeit hat man
dieses Geschöpf mit den Pflanzen zusammengeworfen. Man sah in den
Actinien die Blumen des Oceans. Wer in den Aquarien des Acclimations-
gartens zu Paris (im berliner, im hamburgischen und im hannover'schen
Aquarium hat man sie ebenfalls) diese schönen Thierchen mit ihren lebhaften
Farben bewundert, wie sie sich auf ihren biegsamen Stielen wiegen und da¬
bei die gefärbten Anhängsel und Fransen bewegen, die ihren Kopf schmücken,
hat Mühe, die reizenden Königinnen der Gewässer nicht für wirkliche Blumen
zu halten, und in der That hat man die Seeanemonen Jahrhunderte hindurch
für Meerpflanzen angesehen.

Die Koralle wurde noch im vorigen Säculum als ein Seegesträuch be¬
trachtet, und man glaubte an ihr sogar Blüthen aufgefunden zu haben. Ein
Pariser Akademiker, der Gras de Marsigli, hat sich mit dieser Entdeckung einen
europäischen Ruf erworben. Peyssonnell, ein provencalischer Naturforscher,
hatte alle mögliche Mühe, diese Vorstellung zu bekämpfen und darzuthun, daß
die angeblichen Blumen nichts als junge Korallen waren. Er hatte die ganze
hochweise Akademie der Wissenschaften gegen sich, und seine Bestreitung der
Ansichten dieser Körperschaft, der höchsten Autorität in Sachen der Natur¬
forschung für die Mehrzahl der Franzosen, trug ihm eine solche Unbeliebtheit
ein, daß er Frankreich verlassen und als obscurer Arzt nach den Antillen
gehen mußte, wo er bis zu seinem Ableben verblieb — alles das, weil er
behauptet, was jetzt jeder ältere Elementarschüler weiß, daß nämlich die Koralle
keine Pflanze sei und folglich auch nicht blühen könne.

Der berühmte Genfer Naturforscher Charles Bonnet, der vor mehr als
einem Jahrhundert schon der Wissenschaft unsrer Tage voraneilte, hat in
seinem Werke: „Betrachtung der Natur" der Parallele zwischen den Thieren
und Pflanzen eine ergreifend schöne Form gegeben. Wir können dem Ver.
gnügen nicht widerstehen, aus diesem Buche die nachfolgende Stelle anzu¬
führen, in welcher der Verfasser desselben auf höchst ansprechende Weise die
Schwierigkeiten aufzeigt, denen man bei der Unterscheidung der Pflanze vom
Thiere begegnet, und wie sehr man in Verlegenheit geräth, wenn man der
ersteren das Empfindungsvermögen absprechen will. „Alles ist abgestuft in
der Natur." sagt Bonnet. „Wenn wir der Pflanze das Gefühl absprechen,
so lassen wir die Natur einen Sprung thun, ohne dafür einen Beweggrund
ZU nennen. Wir sehen das Gefühl vom Menschen an stufenweise abnehmen
bis hinunter zur Miesmuschel und Seenessel, und wir sind überzeugt, daß es
da aufhört, indem wir diese letzteren Thiere als die am wenigsten vollkommenen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0351" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/134169"/>
          <p xml:id="ID_1138" prev="#ID_1137"> wie unsere Süßwasser-Hydra, da sie die Jnsecten, die sich auf ihre Blätter<lb/>
wagen, wie in einer Falle erhäscht-</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1139"> Es giebt auf dem Meeresgrunde einen sehr seltsamen Zoophyten, die<lb/>
ebenfalls bereits erwähnte Actinie oder Seeanemone. Lange Zeit hat man<lb/>
dieses Geschöpf mit den Pflanzen zusammengeworfen. Man sah in den<lb/>
Actinien die Blumen des Oceans. Wer in den Aquarien des Acclimations-<lb/>
gartens zu Paris (im berliner, im hamburgischen und im hannover'schen<lb/>
Aquarium hat man sie ebenfalls) diese schönen Thierchen mit ihren lebhaften<lb/>
Farben bewundert, wie sie sich auf ihren biegsamen Stielen wiegen und da¬<lb/>
bei die gefärbten Anhängsel und Fransen bewegen, die ihren Kopf schmücken,<lb/>
hat Mühe, die reizenden Königinnen der Gewässer nicht für wirkliche Blumen<lb/>
zu halten, und in der That hat man die Seeanemonen Jahrhunderte hindurch<lb/>
für Meerpflanzen angesehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1140"> Die Koralle wurde noch im vorigen Säculum als ein Seegesträuch be¬<lb/>
trachtet, und man glaubte an ihr sogar Blüthen aufgefunden zu haben. Ein<lb/>
Pariser Akademiker, der Gras de Marsigli, hat sich mit dieser Entdeckung einen<lb/>
europäischen Ruf erworben. Peyssonnell, ein provencalischer Naturforscher,<lb/>
hatte alle mögliche Mühe, diese Vorstellung zu bekämpfen und darzuthun, daß<lb/>
die angeblichen Blumen nichts als junge Korallen waren. Er hatte die ganze<lb/>
hochweise Akademie der Wissenschaften gegen sich, und seine Bestreitung der<lb/>
Ansichten dieser Körperschaft, der höchsten Autorität in Sachen der Natur¬<lb/>
forschung für die Mehrzahl der Franzosen, trug ihm eine solche Unbeliebtheit<lb/>
ein, daß er Frankreich verlassen und als obscurer Arzt nach den Antillen<lb/>
gehen mußte, wo er bis zu seinem Ableben verblieb &#x2014; alles das, weil er<lb/>
behauptet, was jetzt jeder ältere Elementarschüler weiß, daß nämlich die Koralle<lb/>
keine Pflanze sei und folglich auch nicht blühen könne.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1141" next="#ID_1142"> Der berühmte Genfer Naturforscher Charles Bonnet, der vor mehr als<lb/>
einem Jahrhundert schon der Wissenschaft unsrer Tage voraneilte, hat in<lb/>
seinem Werke: &#x201E;Betrachtung der Natur" der Parallele zwischen den Thieren<lb/>
und Pflanzen eine ergreifend schöne Form gegeben. Wir können dem Ver.<lb/>
gnügen nicht widerstehen, aus diesem Buche die nachfolgende Stelle anzu¬<lb/>
führen, in welcher der Verfasser desselben auf höchst ansprechende Weise die<lb/>
Schwierigkeiten aufzeigt, denen man bei der Unterscheidung der Pflanze vom<lb/>
Thiere begegnet, und wie sehr man in Verlegenheit geräth, wenn man der<lb/>
ersteren das Empfindungsvermögen absprechen will. &#x201E;Alles ist abgestuft in<lb/>
der Natur." sagt Bonnet. &#x201E;Wenn wir der Pflanze das Gefühl absprechen,<lb/>
so lassen wir die Natur einen Sprung thun, ohne dafür einen Beweggrund<lb/>
ZU nennen. Wir sehen das Gefühl vom Menschen an stufenweise abnehmen<lb/>
bis hinunter zur Miesmuschel und Seenessel, und wir sind überzeugt, daß es<lb/>
da aufhört, indem wir diese letzteren Thiere als die am wenigsten vollkommenen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0351] wie unsere Süßwasser-Hydra, da sie die Jnsecten, die sich auf ihre Blätter wagen, wie in einer Falle erhäscht- Es giebt auf dem Meeresgrunde einen sehr seltsamen Zoophyten, die ebenfalls bereits erwähnte Actinie oder Seeanemone. Lange Zeit hat man dieses Geschöpf mit den Pflanzen zusammengeworfen. Man sah in den Actinien die Blumen des Oceans. Wer in den Aquarien des Acclimations- gartens zu Paris (im berliner, im hamburgischen und im hannover'schen Aquarium hat man sie ebenfalls) diese schönen Thierchen mit ihren lebhaften Farben bewundert, wie sie sich auf ihren biegsamen Stielen wiegen und da¬ bei die gefärbten Anhängsel und Fransen bewegen, die ihren Kopf schmücken, hat Mühe, die reizenden Königinnen der Gewässer nicht für wirkliche Blumen zu halten, und in der That hat man die Seeanemonen Jahrhunderte hindurch für Meerpflanzen angesehen. Die Koralle wurde noch im vorigen Säculum als ein Seegesträuch be¬ trachtet, und man glaubte an ihr sogar Blüthen aufgefunden zu haben. Ein Pariser Akademiker, der Gras de Marsigli, hat sich mit dieser Entdeckung einen europäischen Ruf erworben. Peyssonnell, ein provencalischer Naturforscher, hatte alle mögliche Mühe, diese Vorstellung zu bekämpfen und darzuthun, daß die angeblichen Blumen nichts als junge Korallen waren. Er hatte die ganze hochweise Akademie der Wissenschaften gegen sich, und seine Bestreitung der Ansichten dieser Körperschaft, der höchsten Autorität in Sachen der Natur¬ forschung für die Mehrzahl der Franzosen, trug ihm eine solche Unbeliebtheit ein, daß er Frankreich verlassen und als obscurer Arzt nach den Antillen gehen mußte, wo er bis zu seinem Ableben verblieb — alles das, weil er behauptet, was jetzt jeder ältere Elementarschüler weiß, daß nämlich die Koralle keine Pflanze sei und folglich auch nicht blühen könne. Der berühmte Genfer Naturforscher Charles Bonnet, der vor mehr als einem Jahrhundert schon der Wissenschaft unsrer Tage voraneilte, hat in seinem Werke: „Betrachtung der Natur" der Parallele zwischen den Thieren und Pflanzen eine ergreifend schöne Form gegeben. Wir können dem Ver. gnügen nicht widerstehen, aus diesem Buche die nachfolgende Stelle anzu¬ führen, in welcher der Verfasser desselben auf höchst ansprechende Weise die Schwierigkeiten aufzeigt, denen man bei der Unterscheidung der Pflanze vom Thiere begegnet, und wie sehr man in Verlegenheit geräth, wenn man der ersteren das Empfindungsvermögen absprechen will. „Alles ist abgestuft in der Natur." sagt Bonnet. „Wenn wir der Pflanze das Gefühl absprechen, so lassen wir die Natur einen Sprung thun, ohne dafür einen Beweggrund ZU nennen. Wir sehen das Gefühl vom Menschen an stufenweise abnehmen bis hinunter zur Miesmuschel und Seenessel, und wir sind überzeugt, daß es da aufhört, indem wir diese letzteren Thiere als die am wenigsten vollkommenen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/351
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/351>, abgerufen am 26.06.2024.