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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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lichen Pflanzen, die ausersehen sind, die Gärten des Heiligthums zu schmücken,
der warmen Atmosphäre des Hauses und dem schützenden, mütterlichen Schat¬
ten zu entreißen, um sie Jahre lang unter einer Glasglocke zu halten. Eines
schönen Tages werden dann Glaswände und Thüren geöffnet und die schwind¬
süchtiger Pflanzen dem Hauch des Windes, dem Regen, dem brennenden,
vollen Sonnenlicht ausgesetzt. Die Meisten gelangen nicht eher dazu, als
wenn sie schon Jünglinge, das will hier sagen, schon halb verdorben sind.
Alle aber (woran endlich auch hier die Verwaltung Schuld trägt) lassen sie
während zwei oder drei Monate die profane Weltluft auf die Gefahr hin
athmen, daß durch die Zuneigung der Familie jener Funke von Gefühl wieder
erwacht, auf den während des ganzen Jahres so viel Wasser und Asche ge¬
schüttet worden ist. Dann haben sie es weniger schlecht als sonst den längsten
Theil des Jahres, dann läßt man es weder an Hartnäckigkeit noch List fehlen,
damit bei diesen Liebesbezeigungen die junge Seele sich öffne und sich besiegen
lasse: dann laßt einige Jahre vergehen, und der junge Levit kann immer
noch, der Gesellschaft und der Familie zum Hohn, ein Thor oder ein Heuchler
werden.

O sagt mir, ob im Seminar von etwas Anderm als von der Lossagung
von der Welt gesprochen wird? Und nicht von jener geistigen Lossagung,
und dem Inhalt des Priesterthums, welche das Wesen des Evangeliums aus¬
macht, sondern von jener materiellen, die sich gehässig verblendet gegen Alles
Gute und Böse, was in der Welt ist. die meistens zu dem bequemen Vor¬
wand zurückgeht, der gesellschaftlichen Pflichten überhoben zu sein. Indem
sie die Leidenschaft ertödten, tödten sie zugleich die christliche Liebe: denn die
christliche Liebe ist nicht der Leidenschaft entgegen gesetzt, sondern sie ist die
gereinigte und beinahe geheiligte menschliche Leidenschaft selbst. In den Con-
ferenzen. den Vorlesungen, den Betrachtungen, den Predigten, den Uebungen
fühlt man sich niemals veranlaßt, von etwas Anderem als von dem eeelasia-
stischen Geist zu sprechen.

An diesem Merkmal erkennt man. an diesem Prüfstein erprobt man die
Berufung der zu Ordinirenden, und die Weihen hängen von dem höheren oder
niederen Stand dieses Thermometers ab."

Nachdem er den katholischen Clerus gegeißelt hat, setzt der Autor seine
Hoffnung auf eine Reform, die vom Clerus selbst ausgeht, und ruft aus:
..O, warum könnte nicht einmal von den Demüthigen, warum nicht die
Wiedergeburt der katholischen Kirche von den Priestern kommen? Die frohe
Botschaft wurde niemandem früher verkündigt als den Hirten, wurde zuerst
durch Fischer ausgebreitet. Heute sind die Fischer Könige und die Hirten
Wölfe geworden: Die Wölfe üben weder die Sanftmuth des göttlichen
Lammes, noch lieben die Könige das arme Gewand des göttlichen Stifters


lichen Pflanzen, die ausersehen sind, die Gärten des Heiligthums zu schmücken,
der warmen Atmosphäre des Hauses und dem schützenden, mütterlichen Schat¬
ten zu entreißen, um sie Jahre lang unter einer Glasglocke zu halten. Eines
schönen Tages werden dann Glaswände und Thüren geöffnet und die schwind¬
süchtiger Pflanzen dem Hauch des Windes, dem Regen, dem brennenden,
vollen Sonnenlicht ausgesetzt. Die Meisten gelangen nicht eher dazu, als
wenn sie schon Jünglinge, das will hier sagen, schon halb verdorben sind.
Alle aber (woran endlich auch hier die Verwaltung Schuld trägt) lassen sie
während zwei oder drei Monate die profane Weltluft auf die Gefahr hin
athmen, daß durch die Zuneigung der Familie jener Funke von Gefühl wieder
erwacht, auf den während des ganzen Jahres so viel Wasser und Asche ge¬
schüttet worden ist. Dann haben sie es weniger schlecht als sonst den längsten
Theil des Jahres, dann läßt man es weder an Hartnäckigkeit noch List fehlen,
damit bei diesen Liebesbezeigungen die junge Seele sich öffne und sich besiegen
lasse: dann laßt einige Jahre vergehen, und der junge Levit kann immer
noch, der Gesellschaft und der Familie zum Hohn, ein Thor oder ein Heuchler
werden.

O sagt mir, ob im Seminar von etwas Anderm als von der Lossagung
von der Welt gesprochen wird? Und nicht von jener geistigen Lossagung,
und dem Inhalt des Priesterthums, welche das Wesen des Evangeliums aus¬
macht, sondern von jener materiellen, die sich gehässig verblendet gegen Alles
Gute und Böse, was in der Welt ist. die meistens zu dem bequemen Vor¬
wand zurückgeht, der gesellschaftlichen Pflichten überhoben zu sein. Indem
sie die Leidenschaft ertödten, tödten sie zugleich die christliche Liebe: denn die
christliche Liebe ist nicht der Leidenschaft entgegen gesetzt, sondern sie ist die
gereinigte und beinahe geheiligte menschliche Leidenschaft selbst. In den Con-
ferenzen. den Vorlesungen, den Betrachtungen, den Predigten, den Uebungen
fühlt man sich niemals veranlaßt, von etwas Anderem als von dem eeelasia-
stischen Geist zu sprechen.

An diesem Merkmal erkennt man. an diesem Prüfstein erprobt man die
Berufung der zu Ordinirenden, und die Weihen hängen von dem höheren oder
niederen Stand dieses Thermometers ab."

Nachdem er den katholischen Clerus gegeißelt hat, setzt der Autor seine
Hoffnung auf eine Reform, die vom Clerus selbst ausgeht, und ruft aus:
..O, warum könnte nicht einmal von den Demüthigen, warum nicht die
Wiedergeburt der katholischen Kirche von den Priestern kommen? Die frohe
Botschaft wurde niemandem früher verkündigt als den Hirten, wurde zuerst
durch Fischer ausgebreitet. Heute sind die Fischer Könige und die Hirten
Wölfe geworden: Die Wölfe üben weder die Sanftmuth des göttlichen
Lammes, noch lieben die Könige das arme Gewand des göttlichen Stifters


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[0343] lichen Pflanzen, die ausersehen sind, die Gärten des Heiligthums zu schmücken, der warmen Atmosphäre des Hauses und dem schützenden, mütterlichen Schat¬ ten zu entreißen, um sie Jahre lang unter einer Glasglocke zu halten. Eines schönen Tages werden dann Glaswände und Thüren geöffnet und die schwind¬ süchtiger Pflanzen dem Hauch des Windes, dem Regen, dem brennenden, vollen Sonnenlicht ausgesetzt. Die Meisten gelangen nicht eher dazu, als wenn sie schon Jünglinge, das will hier sagen, schon halb verdorben sind. Alle aber (woran endlich auch hier die Verwaltung Schuld trägt) lassen sie während zwei oder drei Monate die profane Weltluft auf die Gefahr hin athmen, daß durch die Zuneigung der Familie jener Funke von Gefühl wieder erwacht, auf den während des ganzen Jahres so viel Wasser und Asche ge¬ schüttet worden ist. Dann haben sie es weniger schlecht als sonst den längsten Theil des Jahres, dann läßt man es weder an Hartnäckigkeit noch List fehlen, damit bei diesen Liebesbezeigungen die junge Seele sich öffne und sich besiegen lasse: dann laßt einige Jahre vergehen, und der junge Levit kann immer noch, der Gesellschaft und der Familie zum Hohn, ein Thor oder ein Heuchler werden. O sagt mir, ob im Seminar von etwas Anderm als von der Lossagung von der Welt gesprochen wird? Und nicht von jener geistigen Lossagung, und dem Inhalt des Priesterthums, welche das Wesen des Evangeliums aus¬ macht, sondern von jener materiellen, die sich gehässig verblendet gegen Alles Gute und Böse, was in der Welt ist. die meistens zu dem bequemen Vor¬ wand zurückgeht, der gesellschaftlichen Pflichten überhoben zu sein. Indem sie die Leidenschaft ertödten, tödten sie zugleich die christliche Liebe: denn die christliche Liebe ist nicht der Leidenschaft entgegen gesetzt, sondern sie ist die gereinigte und beinahe geheiligte menschliche Leidenschaft selbst. In den Con- ferenzen. den Vorlesungen, den Betrachtungen, den Predigten, den Uebungen fühlt man sich niemals veranlaßt, von etwas Anderem als von dem eeelasia- stischen Geist zu sprechen. An diesem Merkmal erkennt man. an diesem Prüfstein erprobt man die Berufung der zu Ordinirenden, und die Weihen hängen von dem höheren oder niederen Stand dieses Thermometers ab." Nachdem er den katholischen Clerus gegeißelt hat, setzt der Autor seine Hoffnung auf eine Reform, die vom Clerus selbst ausgeht, und ruft aus: ..O, warum könnte nicht einmal von den Demüthigen, warum nicht die Wiedergeburt der katholischen Kirche von den Priestern kommen? Die frohe Botschaft wurde niemandem früher verkündigt als den Hirten, wurde zuerst durch Fischer ausgebreitet. Heute sind die Fischer Könige und die Hirten Wölfe geworden: Die Wölfe üben weder die Sanftmuth des göttlichen Lammes, noch lieben die Könige das arme Gewand des göttlichen Stifters

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/343>, abgerufen am 26.06.2024.