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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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Dekret Gratien's und jenen frommen, halbverschleierten Betrug gut zu heißen,
der dazu dienen konnte, die Autorität gegenüber der freien Forschung zu
retten; aber der arme Priester ging aus dem Mittelcilter, aus jener Dunkel¬
heit, welche den Bischof und mehr noch den Papst begünstigte, beraubt und
beinahe von allem entblößt hervor. Und nun, da man die Fügsamkeit des
Priesters brauchte, um die Einheit geschlossener, die Unterweisungen des hohen
Clerus wirksamer, die Primas-Autorität des Bischofs von Rom monarchischer
zu machen, durfte da der Priester nicht als gewiß erwarten, etwas von seiner
verlorenen Freiheit zurückzugewinnen? Und wußte man nicht, daß der kürzeste
Weg, ihn zum Sclaven zu machen, seine Absonderung von der Gesellschaft
war? Les't die Dekrete des berühmten Concils und Ihr werdet sehen, daß
sich der ganze Inhalt dieser disciplinarischen Vorschriften aus eine Verschärfung
der Trennung, der Absonderung und der Vereinzelung zuspitzt. Der mönchische
Geist ist schon ganz und gar der ecclefiastische geworden: Zwischen dem Clerus
und der Gesellschaft gilt schon der Abgrund als Gesetz. Alles dies vereint
sich, schließlich das Ornat zu einer Frage von höchster und beinahe aus¬
schließlicher Wichtigkeit werden zu lassen, bis man die Heiligkeit in den drei¬
eckigen Hut oder in das Weiß des zwischen den Maschen der schwarzen
Strümpfe durchscheinenden festen Fleisches versetzt, oder bis man (ich erzähle
zeitgenössische Thatsachen) Aermel, die nicht eremitisch an den Pulsen geschlossen
sind, für anstößig und den Gebrauch von Hosenträgern für dem Evangelium
widersprechend hält: sint lumbi vestri praeeiueti. Man wird sagen,
der Priester, der in allem feierlich ist, muß auch ein feierliches Gewand tragen.
Aber Feierlichkeit bedeutet nicht Plumpheit, und ich fordre Jeden auf, eine
plumpere Tracht zu erdenken.

Nein, nein, auch neben der Feierlichkeit behauptet sich entweder die Farbe
oder empfiehlt sich noch besser der Bart und das antike Gewand: Man wollte,
daß das Priesterkleid sich unterscheiden sollte, und wenn man es jetzt lächer¬
lich findet, um so besser. Inmitten einer Gesellschaft, die, wie alle Gebräuche,
so auch alle Trachten auszugleichen sucht, wäre der Priester ein Unding gewesen
und hätte wählen müssen zwischen vollständigem Stillschweigen und dem Aus-
gepfisfenwerden. Fragt einen Priester, der auf der Eisenbahn reist, welches
Vergnügen von Huldigungen, welche Wonne von Complimenten ihm sein
Talar und sein dreieckiger Hut eintragen, fragt ihn, welchen neuen Eifer in
christlicher Liebe die schlecht verhehlte Verachtung, die verständlichen Anspiel¬
ungen, die offne Satire in ihm erwecken.

Ohne irgendwie sagen zu wollen, daß das Tridentinum das Cölibat
hätte aufheben müssen, ohne auch nur zu verlangen, daß es wenigstens das¬
selbe hätte einschränken, beschützen und erleichtern müssen, so läßt sich doch
behaupten, daß es nichts weniger als günstig war. die ausschließliche Absorbe-


Dekret Gratien's und jenen frommen, halbverschleierten Betrug gut zu heißen,
der dazu dienen konnte, die Autorität gegenüber der freien Forschung zu
retten; aber der arme Priester ging aus dem Mittelcilter, aus jener Dunkel¬
heit, welche den Bischof und mehr noch den Papst begünstigte, beraubt und
beinahe von allem entblößt hervor. Und nun, da man die Fügsamkeit des
Priesters brauchte, um die Einheit geschlossener, die Unterweisungen des hohen
Clerus wirksamer, die Primas-Autorität des Bischofs von Rom monarchischer
zu machen, durfte da der Priester nicht als gewiß erwarten, etwas von seiner
verlorenen Freiheit zurückzugewinnen? Und wußte man nicht, daß der kürzeste
Weg, ihn zum Sclaven zu machen, seine Absonderung von der Gesellschaft
war? Les't die Dekrete des berühmten Concils und Ihr werdet sehen, daß
sich der ganze Inhalt dieser disciplinarischen Vorschriften aus eine Verschärfung
der Trennung, der Absonderung und der Vereinzelung zuspitzt. Der mönchische
Geist ist schon ganz und gar der ecclefiastische geworden: Zwischen dem Clerus
und der Gesellschaft gilt schon der Abgrund als Gesetz. Alles dies vereint
sich, schließlich das Ornat zu einer Frage von höchster und beinahe aus¬
schließlicher Wichtigkeit werden zu lassen, bis man die Heiligkeit in den drei¬
eckigen Hut oder in das Weiß des zwischen den Maschen der schwarzen
Strümpfe durchscheinenden festen Fleisches versetzt, oder bis man (ich erzähle
zeitgenössische Thatsachen) Aermel, die nicht eremitisch an den Pulsen geschlossen
sind, für anstößig und den Gebrauch von Hosenträgern für dem Evangelium
widersprechend hält: sint lumbi vestri praeeiueti. Man wird sagen,
der Priester, der in allem feierlich ist, muß auch ein feierliches Gewand tragen.
Aber Feierlichkeit bedeutet nicht Plumpheit, und ich fordre Jeden auf, eine
plumpere Tracht zu erdenken.

Nein, nein, auch neben der Feierlichkeit behauptet sich entweder die Farbe
oder empfiehlt sich noch besser der Bart und das antike Gewand: Man wollte,
daß das Priesterkleid sich unterscheiden sollte, und wenn man es jetzt lächer¬
lich findet, um so besser. Inmitten einer Gesellschaft, die, wie alle Gebräuche,
so auch alle Trachten auszugleichen sucht, wäre der Priester ein Unding gewesen
und hätte wählen müssen zwischen vollständigem Stillschweigen und dem Aus-
gepfisfenwerden. Fragt einen Priester, der auf der Eisenbahn reist, welches
Vergnügen von Huldigungen, welche Wonne von Complimenten ihm sein
Talar und sein dreieckiger Hut eintragen, fragt ihn, welchen neuen Eifer in
christlicher Liebe die schlecht verhehlte Verachtung, die verständlichen Anspiel¬
ungen, die offne Satire in ihm erwecken.

Ohne irgendwie sagen zu wollen, daß das Tridentinum das Cölibat
hätte aufheben müssen, ohne auch nur zu verlangen, daß es wenigstens das¬
selbe hätte einschränken, beschützen und erleichtern müssen, so läßt sich doch
behaupten, daß es nichts weniger als günstig war. die ausschließliche Absorbe-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/340>, abgerufen am 26.06.2024.