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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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solches nur durch die Kraft der Opposition gegen den Katholicismus, nicht
aber durch die aus diesem geschöpfte Begeisterung vollbringen.

Es gibt in Italien eine gelehrte Schule, die Manzoni als ihr Haupt ver¬
ehrt, und sich katholisch nennt nach dem Katholicismus Manzoni's, Ver¬
fasser der "Ivni Laeri" (Heilige Gesänge), der "N^rs-Is Lattolica" (Katholische
Moral) und Schöpfer der prächtigen Typen des Cardinals ^säerieo Lorromeo
und des Jörg, lüristotoro in seinem unsterblichen Romane der "Lromossi Lxosi"
(Die Verlobten). Es ist unleugbar, daß, wenn katholisch sein gleichbedeutend
ist mit: die Tugend lieben und üben, wie sie Manzonie liebte und übte, jeder
gute Mensch ein Katholik sein könnte und möchte. In Wirklichkeit aber
hat der Katholicismus mit dem Christenthum nichts gemein, als Vor¬
schriften und Fesseln, die jede freie Entwicklung verhindern. So kann man
sagen, daß Manzoni ein guter Mensch war trotz des Katholicismus, nicht durch
dessen Verdienst, und wirklich hatte sich sein inneres Wesen als das eines tüch¬
tigen, charaktervoller, gelehrten Mannes am Ende der zwanziger Jahre voll¬
kommen befestigt, als sich seine Bekehrung zum Katholicismus noch nicht voll¬
zogen hatte. Manzoni hatte ohne Zweifel eine fromme Seele, eine menschliche
und, wenn wir so wollen, eine christliche Seele, die Seele eines Menschen, der
vom Evangelium erfüllt ist, aber nicht die Seele des Katholiken, und da er
sich aufklären und belehren lassen wollte und deßhalb besonders sich dem
Katholicismus zuwandte, wurde sein Genius, statt sich zu erheben und zu
erweitern, in Fesseln gelegt, demüthigte sich und zog sich zurück.

Wer dächte, daß die Gestalt des Cardinal Borromeo und jene des Fr"
Cirstoforo, beide mit solcher Meisterschaft von Manzoni entworfen und aus¬
geführt, nicht auch außerhalb des Katholicismus möglich gewesen wären?
Ich wage sogar zu behaupten, daß sie auch, mit einigen unerheblichen Ab¬
änderungen, außerhalb des Christenthums möglich gewesen wären, daß die
stoische Tugend irgend eines Griechen oder Römers ähnlicher Opfer und des¬
selben Edelmuths fähig gewesen wäre, von welchen die beiden herrlichen
manzonianischen Typen Proben ablegen. Aber, auch ohne die Stoiker hat
der Protestantismus in seinen Pastoren zahlreiche Weise voll der Tugend des
Evangeliums aufzuweisen, von denen die Kunst Vorbilder hätte gewinnen
können, und der Vicar of Wakefield hat durch seine evangelische Herzensgüte
die manzonianischen Typen um wenig zu beneiden, und hier, wenn auch
künstlerisch weniger vollkommen und erhaben, hat er den Vortheil den Men¬
schen und dem gewöhnlichen Alltagsleben, das Alle führen, näher zu stehen.
Derjenige, der in dem Roman von Manzoni aber wirklich den Katholicismus
vertritt und ihn uns vorweist, ist der Pfarrer Don Abbondio, jene groteske
und doch so ganz und gar lebendige und wahre Figur, der die Mehrzahl
der Pfarrer nur zu ähnlich ist. Don Abbondio ist der wahre Repräsentant


solches nur durch die Kraft der Opposition gegen den Katholicismus, nicht
aber durch die aus diesem geschöpfte Begeisterung vollbringen.

Es gibt in Italien eine gelehrte Schule, die Manzoni als ihr Haupt ver¬
ehrt, und sich katholisch nennt nach dem Katholicismus Manzoni's, Ver¬
fasser der „Ivni Laeri" (Heilige Gesänge), der „N^rs-Is Lattolica" (Katholische
Moral) und Schöpfer der prächtigen Typen des Cardinals ^säerieo Lorromeo
und des Jörg, lüristotoro in seinem unsterblichen Romane der „Lromossi Lxosi"
(Die Verlobten). Es ist unleugbar, daß, wenn katholisch sein gleichbedeutend
ist mit: die Tugend lieben und üben, wie sie Manzonie liebte und übte, jeder
gute Mensch ein Katholik sein könnte und möchte. In Wirklichkeit aber
hat der Katholicismus mit dem Christenthum nichts gemein, als Vor¬
schriften und Fesseln, die jede freie Entwicklung verhindern. So kann man
sagen, daß Manzoni ein guter Mensch war trotz des Katholicismus, nicht durch
dessen Verdienst, und wirklich hatte sich sein inneres Wesen als das eines tüch¬
tigen, charaktervoller, gelehrten Mannes am Ende der zwanziger Jahre voll¬
kommen befestigt, als sich seine Bekehrung zum Katholicismus noch nicht voll¬
zogen hatte. Manzoni hatte ohne Zweifel eine fromme Seele, eine menschliche
und, wenn wir so wollen, eine christliche Seele, die Seele eines Menschen, der
vom Evangelium erfüllt ist, aber nicht die Seele des Katholiken, und da er
sich aufklären und belehren lassen wollte und deßhalb besonders sich dem
Katholicismus zuwandte, wurde sein Genius, statt sich zu erheben und zu
erweitern, in Fesseln gelegt, demüthigte sich und zog sich zurück.

Wer dächte, daß die Gestalt des Cardinal Borromeo und jene des Fr«
Cirstoforo, beide mit solcher Meisterschaft von Manzoni entworfen und aus¬
geführt, nicht auch außerhalb des Katholicismus möglich gewesen wären?
Ich wage sogar zu behaupten, daß sie auch, mit einigen unerheblichen Ab¬
änderungen, außerhalb des Christenthums möglich gewesen wären, daß die
stoische Tugend irgend eines Griechen oder Römers ähnlicher Opfer und des¬
selben Edelmuths fähig gewesen wäre, von welchen die beiden herrlichen
manzonianischen Typen Proben ablegen. Aber, auch ohne die Stoiker hat
der Protestantismus in seinen Pastoren zahlreiche Weise voll der Tugend des
Evangeliums aufzuweisen, von denen die Kunst Vorbilder hätte gewinnen
können, und der Vicar of Wakefield hat durch seine evangelische Herzensgüte
die manzonianischen Typen um wenig zu beneiden, und hier, wenn auch
künstlerisch weniger vollkommen und erhaben, hat er den Vortheil den Men¬
schen und dem gewöhnlichen Alltagsleben, das Alle führen, näher zu stehen.
Derjenige, der in dem Roman von Manzoni aber wirklich den Katholicismus
vertritt und ihn uns vorweist, ist der Pfarrer Don Abbondio, jene groteske
und doch so ganz und gar lebendige und wahre Figur, der die Mehrzahl
der Pfarrer nur zu ähnlich ist. Don Abbondio ist der wahre Repräsentant


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[0336] solches nur durch die Kraft der Opposition gegen den Katholicismus, nicht aber durch die aus diesem geschöpfte Begeisterung vollbringen. Es gibt in Italien eine gelehrte Schule, die Manzoni als ihr Haupt ver¬ ehrt, und sich katholisch nennt nach dem Katholicismus Manzoni's, Ver¬ fasser der „Ivni Laeri" (Heilige Gesänge), der „N^rs-Is Lattolica" (Katholische Moral) und Schöpfer der prächtigen Typen des Cardinals ^säerieo Lorromeo und des Jörg, lüristotoro in seinem unsterblichen Romane der „Lromossi Lxosi" (Die Verlobten). Es ist unleugbar, daß, wenn katholisch sein gleichbedeutend ist mit: die Tugend lieben und üben, wie sie Manzonie liebte und übte, jeder gute Mensch ein Katholik sein könnte und möchte. In Wirklichkeit aber hat der Katholicismus mit dem Christenthum nichts gemein, als Vor¬ schriften und Fesseln, die jede freie Entwicklung verhindern. So kann man sagen, daß Manzoni ein guter Mensch war trotz des Katholicismus, nicht durch dessen Verdienst, und wirklich hatte sich sein inneres Wesen als das eines tüch¬ tigen, charaktervoller, gelehrten Mannes am Ende der zwanziger Jahre voll¬ kommen befestigt, als sich seine Bekehrung zum Katholicismus noch nicht voll¬ zogen hatte. Manzoni hatte ohne Zweifel eine fromme Seele, eine menschliche und, wenn wir so wollen, eine christliche Seele, die Seele eines Menschen, der vom Evangelium erfüllt ist, aber nicht die Seele des Katholiken, und da er sich aufklären und belehren lassen wollte und deßhalb besonders sich dem Katholicismus zuwandte, wurde sein Genius, statt sich zu erheben und zu erweitern, in Fesseln gelegt, demüthigte sich und zog sich zurück. Wer dächte, daß die Gestalt des Cardinal Borromeo und jene des Fr« Cirstoforo, beide mit solcher Meisterschaft von Manzoni entworfen und aus¬ geführt, nicht auch außerhalb des Katholicismus möglich gewesen wären? Ich wage sogar zu behaupten, daß sie auch, mit einigen unerheblichen Ab¬ änderungen, außerhalb des Christenthums möglich gewesen wären, daß die stoische Tugend irgend eines Griechen oder Römers ähnlicher Opfer und des¬ selben Edelmuths fähig gewesen wäre, von welchen die beiden herrlichen manzonianischen Typen Proben ablegen. Aber, auch ohne die Stoiker hat der Protestantismus in seinen Pastoren zahlreiche Weise voll der Tugend des Evangeliums aufzuweisen, von denen die Kunst Vorbilder hätte gewinnen können, und der Vicar of Wakefield hat durch seine evangelische Herzensgüte die manzonianischen Typen um wenig zu beneiden, und hier, wenn auch künstlerisch weniger vollkommen und erhaben, hat er den Vortheil den Men¬ schen und dem gewöhnlichen Alltagsleben, das Alle führen, näher zu stehen. Derjenige, der in dem Roman von Manzoni aber wirklich den Katholicismus vertritt und ihn uns vorweist, ist der Pfarrer Don Abbondio, jene groteske und doch so ganz und gar lebendige und wahre Figur, der die Mehrzahl der Pfarrer nur zu ähnlich ist. Don Abbondio ist der wahre Repräsentant

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/336>, abgerufen am 26.06.2024.