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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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Hierarchie, statt der Ausdruck aller Botmäßigkeit zu sein, das sei, was sie schon
in ihrem Ursprünge war, der Ausdruck aller Opferfreudigkeit und aller Tugend.
Und wie heute der Staat seines Theils dazu gelangt ist, so kann auch die
Kirche nur durch sich selbst das Maß, die Form, die Grenzen finden, denen
sie sich unter den neuen, von Menschen, Zeiten und Geschichte geschaffenen
Verhältnissen anbequem muß. Dies ist der einzige Sinn, durch welchen das
Wort Versöhnung eine Bedeutung haben kann, dann ist es ein Zeichen der
Vereinigung und nicht der Trennung. Wenn sie also das Mittel zu finden
hat, durch das sie ihr Wesen oder ihren Glauben und ihre Moral den neuen
Formen mit der vermehrten Kritik der Vernunft, mit den neuen socialen und
bürgerlichen Verhältnissen der Nationen anpassen soll, so wird sie Alles das
vereinen, was Gutes ist in ihr selbst, im Rechte und in den immer sich be¬
wegenden und fortschreitenden Sitten der Menschheit. Dann wird sie in den
stürmischen Augenblicken des Uebergangs, durch welche die menschliche Gesell¬
schaft in unsern Tagen gehen muß, eine Wohlthat werden, statt eines Hinder¬
nisses und ein Anker statt einer Klippe.

In diesem Augenblick selbst, in welchem sie sichtbar erschüttert ist, durch
die ernsten und vielseitigen Fragen, die sie bewegen und beunruhigen, wo sich
die Kirche veranlaßt gesehn hat, ihr ökumenisches Concil zu berufen und ihr Ver¬
trauen in ihre Generalstaaten zu setzen, eigens um bet ihnen die gewünschten
Beschlüsse zu finden, sollte sie mehr als je dem Ziel zustreben, zu dem zur
Zeit selbst ihre Absicht, ihre Bestimmung sie treiben. Der Beginn hat dieser
höchsten Erwartung nicht entsprochen und ist sogar noch Zuming, Isx für
sie, denn das öffentliche Wohl verlangt von ihr, in der unerschöpflichen Kraft
ihrer Constitution, vielleicht auch in ihrer erprobten Gewandheit bei den verfäng¬
lichsten und schwierigsten Auslegungen, und was gewiß noch seltsamer wäre,
in einer weitgehenden und durchgreifenden Discussion ein Mittel, ein Element
einen Weg zu finden, um sich wenigstens an der Lösung dieser das Leben der
Kirche wie die Existenz aller katholischen Nationen gleich bewegenden großen
Frage zu versuchen."

Schöne und edle Worte! Aber vielleicht zu schön, um ausführbar zu
sein, und zu edel gegen eine so verderbte Macht, der, aus langer Gewohnheit,
das Böse zu thun, die Kraft fehlt, sich zum Guten emporzuschwingen, oder
die, wenn sie dazu gelangen würde, nicht mehr der Katholicismus, selbst
nicht mehr das alte Christenthum wäre, sondern eine neue Religion, die zu
schaffen ein so altersschwacher Körper wie das Papstthum nicht mehr fähig
ist. Es handelt sich in der That nicht darum, nur die eigentliche Form um¬
zuändern, sondern ihr eine andre Seele zu geben. Und wenn aus dem katho¬
lischen Clerus eines Tages ein muthiger Reformator erstände, so würde er


Hierarchie, statt der Ausdruck aller Botmäßigkeit zu sein, das sei, was sie schon
in ihrem Ursprünge war, der Ausdruck aller Opferfreudigkeit und aller Tugend.
Und wie heute der Staat seines Theils dazu gelangt ist, so kann auch die
Kirche nur durch sich selbst das Maß, die Form, die Grenzen finden, denen
sie sich unter den neuen, von Menschen, Zeiten und Geschichte geschaffenen
Verhältnissen anbequem muß. Dies ist der einzige Sinn, durch welchen das
Wort Versöhnung eine Bedeutung haben kann, dann ist es ein Zeichen der
Vereinigung und nicht der Trennung. Wenn sie also das Mittel zu finden
hat, durch das sie ihr Wesen oder ihren Glauben und ihre Moral den neuen
Formen mit der vermehrten Kritik der Vernunft, mit den neuen socialen und
bürgerlichen Verhältnissen der Nationen anpassen soll, so wird sie Alles das
vereinen, was Gutes ist in ihr selbst, im Rechte und in den immer sich be¬
wegenden und fortschreitenden Sitten der Menschheit. Dann wird sie in den
stürmischen Augenblicken des Uebergangs, durch welche die menschliche Gesell¬
schaft in unsern Tagen gehen muß, eine Wohlthat werden, statt eines Hinder¬
nisses und ein Anker statt einer Klippe.

In diesem Augenblick selbst, in welchem sie sichtbar erschüttert ist, durch
die ernsten und vielseitigen Fragen, die sie bewegen und beunruhigen, wo sich
die Kirche veranlaßt gesehn hat, ihr ökumenisches Concil zu berufen und ihr Ver¬
trauen in ihre Generalstaaten zu setzen, eigens um bet ihnen die gewünschten
Beschlüsse zu finden, sollte sie mehr als je dem Ziel zustreben, zu dem zur
Zeit selbst ihre Absicht, ihre Bestimmung sie treiben. Der Beginn hat dieser
höchsten Erwartung nicht entsprochen und ist sogar noch Zuming, Isx für
sie, denn das öffentliche Wohl verlangt von ihr, in der unerschöpflichen Kraft
ihrer Constitution, vielleicht auch in ihrer erprobten Gewandheit bei den verfäng¬
lichsten und schwierigsten Auslegungen, und was gewiß noch seltsamer wäre,
in einer weitgehenden und durchgreifenden Discussion ein Mittel, ein Element
einen Weg zu finden, um sich wenigstens an der Lösung dieser das Leben der
Kirche wie die Existenz aller katholischen Nationen gleich bewegenden großen
Frage zu versuchen."

Schöne und edle Worte! Aber vielleicht zu schön, um ausführbar zu
sein, und zu edel gegen eine so verderbte Macht, der, aus langer Gewohnheit,
das Böse zu thun, die Kraft fehlt, sich zum Guten emporzuschwingen, oder
die, wenn sie dazu gelangen würde, nicht mehr der Katholicismus, selbst
nicht mehr das alte Christenthum wäre, sondern eine neue Religion, die zu
schaffen ein so altersschwacher Körper wie das Papstthum nicht mehr fähig
ist. Es handelt sich in der That nicht darum, nur die eigentliche Form um¬
zuändern, sondern ihr eine andre Seele zu geben. Und wenn aus dem katho¬
lischen Clerus eines Tages ein muthiger Reformator erstände, so würde er


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[0335] Hierarchie, statt der Ausdruck aller Botmäßigkeit zu sein, das sei, was sie schon in ihrem Ursprünge war, der Ausdruck aller Opferfreudigkeit und aller Tugend. Und wie heute der Staat seines Theils dazu gelangt ist, so kann auch die Kirche nur durch sich selbst das Maß, die Form, die Grenzen finden, denen sie sich unter den neuen, von Menschen, Zeiten und Geschichte geschaffenen Verhältnissen anbequem muß. Dies ist der einzige Sinn, durch welchen das Wort Versöhnung eine Bedeutung haben kann, dann ist es ein Zeichen der Vereinigung und nicht der Trennung. Wenn sie also das Mittel zu finden hat, durch das sie ihr Wesen oder ihren Glauben und ihre Moral den neuen Formen mit der vermehrten Kritik der Vernunft, mit den neuen socialen und bürgerlichen Verhältnissen der Nationen anpassen soll, so wird sie Alles das vereinen, was Gutes ist in ihr selbst, im Rechte und in den immer sich be¬ wegenden und fortschreitenden Sitten der Menschheit. Dann wird sie in den stürmischen Augenblicken des Uebergangs, durch welche die menschliche Gesell¬ schaft in unsern Tagen gehen muß, eine Wohlthat werden, statt eines Hinder¬ nisses und ein Anker statt einer Klippe. In diesem Augenblick selbst, in welchem sie sichtbar erschüttert ist, durch die ernsten und vielseitigen Fragen, die sie bewegen und beunruhigen, wo sich die Kirche veranlaßt gesehn hat, ihr ökumenisches Concil zu berufen und ihr Ver¬ trauen in ihre Generalstaaten zu setzen, eigens um bet ihnen die gewünschten Beschlüsse zu finden, sollte sie mehr als je dem Ziel zustreben, zu dem zur Zeit selbst ihre Absicht, ihre Bestimmung sie treiben. Der Beginn hat dieser höchsten Erwartung nicht entsprochen und ist sogar noch Zuming, Isx für sie, denn das öffentliche Wohl verlangt von ihr, in der unerschöpflichen Kraft ihrer Constitution, vielleicht auch in ihrer erprobten Gewandheit bei den verfäng¬ lichsten und schwierigsten Auslegungen, und was gewiß noch seltsamer wäre, in einer weitgehenden und durchgreifenden Discussion ein Mittel, ein Element einen Weg zu finden, um sich wenigstens an der Lösung dieser das Leben der Kirche wie die Existenz aller katholischen Nationen gleich bewegenden großen Frage zu versuchen." Schöne und edle Worte! Aber vielleicht zu schön, um ausführbar zu sein, und zu edel gegen eine so verderbte Macht, der, aus langer Gewohnheit, das Böse zu thun, die Kraft fehlt, sich zum Guten emporzuschwingen, oder die, wenn sie dazu gelangen würde, nicht mehr der Katholicismus, selbst nicht mehr das alte Christenthum wäre, sondern eine neue Religion, die zu schaffen ein so altersschwacher Körper wie das Papstthum nicht mehr fähig ist. Es handelt sich in der That nicht darum, nur die eigentliche Form um¬ zuändern, sondern ihr eine andre Seele zu geben. Und wenn aus dem katho¬ lischen Clerus eines Tages ein muthiger Reformator erstände, so würde er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/335>, abgerufen am 26.06.2024.