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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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nichts andres beschränken müssen, als auf den Tod des Papstes zu warten,
um aus ihrer Mitte einen andern zu schaffen.

So finden sich zwei Hauptstützen des Papstthums, der Cardinal, der
diente, und der Jesuite, der ihn zur selben Zeit beeinflußte, als er bei den
Regierungen allmächtig war, gleichsam außer Dienst gesetzt; der Cardinal hat
zur Stunde wenig mehr Bedeutung als ein Kanonikus, und da der Jesuite
nicht mehr in seiner religiösen Eigenschaft herrschen kann, legt er das heilige
Gewand ab, macht sich zum Laienbruder, läßt sich in die Gesellschaft des
Lar Vincents aufnehmen, wird Paolotto, und jagt nach Aemtern, nach
Gunstbezeugungen, nach Würden der neuen Regierung. Aber augenscheinlich
hat all das nichts mehr mit der Religion zu schaffen, die tamyuain non
esget bleibt.

Cs ist viel geschrieben und gestritten worden über den Satz Cavours:
"Die freie Kirche im freien Staat." Aber was man auch sagen und folgern
mag, ein ähnlicher Satz mußte der katholischen Kirche verhängnißvoll werden,
die bisher immer die Kirche über den Staat gestellt hatte und sich
von nun an dazu verstehen sollte zu sagen: die Kirche in dem Staate.

Es ist nur zu klar, daß in diesem Fall der Umschlossene der Leidende
und von seinem thätigen Umschließer gedrängt wird. Und die Ausrufung
der freien Kirche wie jene des freien Staates wird wieder durchaus illu¬
sorisch, denn Freiheit gibt es nicht zwischen dem Geduldeten und dem Dul¬
denden, wenn nicht durch Verwandtschaft oder freie und natürliche Wahl,
selbst nicht durch irgend welche künstliche Anordnungen und Zusammen¬
stellungen. Selbst die Seele, die vom Körper umschlossen ist, ist durchaus
nicht frei von den Einwirkungen, welche der Körper von außen her empfängt;
wie viel weniger frei kann die Kirche eintreten in den Staat, dem sie
gleichgültig ist und der sie trotzdem in allen Theilen beengt und umschließt?

Sehr anders würde dessenungeachtet die Stellung sein, die jene cavouri-
anische Formel der katholischen Kirche einräumt, wenn die Kirche, statt, wie
sie es ist, eine Art kleinen, künstlichen chinesischen Reiches zu sein, beraubt
der Initiative und der geschichtlichen Zukunft, sich zur wahren Trägerin einer
warmen, werkthätigen, erleuchtenden Religion machte. Wie sehr dann auch
der Staat es unternehmen würde, ihre Macht zu verkleinern und zu begrenzen,
diese Religion würde den ganzen Staat durchdringen und würde damit enden,
ihm den Charakter und eine neue, mächtige Lebenskraft zu verleihen.

Aber anders ist die Kirche, anders die Religion. Von Letzterer haben
sich die Gebräuche, die Formeln, die Diener erhalten, aber die eigentliche
Seele, der göttliche Hauch, der sie bewegte, ist erloschen. Wer möchte in dem
Papst, in den Jesuiten, in den Cardinälen die christliche Liebe des Evangeliums


nichts andres beschränken müssen, als auf den Tod des Papstes zu warten,
um aus ihrer Mitte einen andern zu schaffen.

So finden sich zwei Hauptstützen des Papstthums, der Cardinal, der
diente, und der Jesuite, der ihn zur selben Zeit beeinflußte, als er bei den
Regierungen allmächtig war, gleichsam außer Dienst gesetzt; der Cardinal hat
zur Stunde wenig mehr Bedeutung als ein Kanonikus, und da der Jesuite
nicht mehr in seiner religiösen Eigenschaft herrschen kann, legt er das heilige
Gewand ab, macht sich zum Laienbruder, läßt sich in die Gesellschaft des
Lar Vincents aufnehmen, wird Paolotto, und jagt nach Aemtern, nach
Gunstbezeugungen, nach Würden der neuen Regierung. Aber augenscheinlich
hat all das nichts mehr mit der Religion zu schaffen, die tamyuain non
esget bleibt.

Cs ist viel geschrieben und gestritten worden über den Satz Cavours:
„Die freie Kirche im freien Staat." Aber was man auch sagen und folgern
mag, ein ähnlicher Satz mußte der katholischen Kirche verhängnißvoll werden,
die bisher immer die Kirche über den Staat gestellt hatte und sich
von nun an dazu verstehen sollte zu sagen: die Kirche in dem Staate.

Es ist nur zu klar, daß in diesem Fall der Umschlossene der Leidende
und von seinem thätigen Umschließer gedrängt wird. Und die Ausrufung
der freien Kirche wie jene des freien Staates wird wieder durchaus illu¬
sorisch, denn Freiheit gibt es nicht zwischen dem Geduldeten und dem Dul¬
denden, wenn nicht durch Verwandtschaft oder freie und natürliche Wahl,
selbst nicht durch irgend welche künstliche Anordnungen und Zusammen¬
stellungen. Selbst die Seele, die vom Körper umschlossen ist, ist durchaus
nicht frei von den Einwirkungen, welche der Körper von außen her empfängt;
wie viel weniger frei kann die Kirche eintreten in den Staat, dem sie
gleichgültig ist und der sie trotzdem in allen Theilen beengt und umschließt?

Sehr anders würde dessenungeachtet die Stellung sein, die jene cavouri-
anische Formel der katholischen Kirche einräumt, wenn die Kirche, statt, wie
sie es ist, eine Art kleinen, künstlichen chinesischen Reiches zu sein, beraubt
der Initiative und der geschichtlichen Zukunft, sich zur wahren Trägerin einer
warmen, werkthätigen, erleuchtenden Religion machte. Wie sehr dann auch
der Staat es unternehmen würde, ihre Macht zu verkleinern und zu begrenzen,
diese Religion würde den ganzen Staat durchdringen und würde damit enden,
ihm den Charakter und eine neue, mächtige Lebenskraft zu verleihen.

Aber anders ist die Kirche, anders die Religion. Von Letzterer haben
sich die Gebräuche, die Formeln, die Diener erhalten, aber die eigentliche
Seele, der göttliche Hauch, der sie bewegte, ist erloschen. Wer möchte in dem
Papst, in den Jesuiten, in den Cardinälen die christliche Liebe des Evangeliums


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[0332] nichts andres beschränken müssen, als auf den Tod des Papstes zu warten, um aus ihrer Mitte einen andern zu schaffen. So finden sich zwei Hauptstützen des Papstthums, der Cardinal, der diente, und der Jesuite, der ihn zur selben Zeit beeinflußte, als er bei den Regierungen allmächtig war, gleichsam außer Dienst gesetzt; der Cardinal hat zur Stunde wenig mehr Bedeutung als ein Kanonikus, und da der Jesuite nicht mehr in seiner religiösen Eigenschaft herrschen kann, legt er das heilige Gewand ab, macht sich zum Laienbruder, läßt sich in die Gesellschaft des Lar Vincents aufnehmen, wird Paolotto, und jagt nach Aemtern, nach Gunstbezeugungen, nach Würden der neuen Regierung. Aber augenscheinlich hat all das nichts mehr mit der Religion zu schaffen, die tamyuain non esget bleibt. Cs ist viel geschrieben und gestritten worden über den Satz Cavours: „Die freie Kirche im freien Staat." Aber was man auch sagen und folgern mag, ein ähnlicher Satz mußte der katholischen Kirche verhängnißvoll werden, die bisher immer die Kirche über den Staat gestellt hatte und sich von nun an dazu verstehen sollte zu sagen: die Kirche in dem Staate. Es ist nur zu klar, daß in diesem Fall der Umschlossene der Leidende und von seinem thätigen Umschließer gedrängt wird. Und die Ausrufung der freien Kirche wie jene des freien Staates wird wieder durchaus illu¬ sorisch, denn Freiheit gibt es nicht zwischen dem Geduldeten und dem Dul¬ denden, wenn nicht durch Verwandtschaft oder freie und natürliche Wahl, selbst nicht durch irgend welche künstliche Anordnungen und Zusammen¬ stellungen. Selbst die Seele, die vom Körper umschlossen ist, ist durchaus nicht frei von den Einwirkungen, welche der Körper von außen her empfängt; wie viel weniger frei kann die Kirche eintreten in den Staat, dem sie gleichgültig ist und der sie trotzdem in allen Theilen beengt und umschließt? Sehr anders würde dessenungeachtet die Stellung sein, die jene cavouri- anische Formel der katholischen Kirche einräumt, wenn die Kirche, statt, wie sie es ist, eine Art kleinen, künstlichen chinesischen Reiches zu sein, beraubt der Initiative und der geschichtlichen Zukunft, sich zur wahren Trägerin einer warmen, werkthätigen, erleuchtenden Religion machte. Wie sehr dann auch der Staat es unternehmen würde, ihre Macht zu verkleinern und zu begrenzen, diese Religion würde den ganzen Staat durchdringen und würde damit enden, ihm den Charakter und eine neue, mächtige Lebenskraft zu verleihen. Aber anders ist die Kirche, anders die Religion. Von Letzterer haben sich die Gebräuche, die Formeln, die Diener erhalten, aber die eigentliche Seele, der göttliche Hauch, der sie bewegte, ist erloschen. Wer möchte in dem Papst, in den Jesuiten, in den Cardinälen die christliche Liebe des Evangeliums

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/332>, abgerufen am 26.06.2024.