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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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seine Existenz und seine Macht zu beweisen, und daher theilte sich natürlicher¬
weise die Gesellschaft in zwei Theile: in Anhänger des Teufels und in An¬
hänger Gottes. Und so theilte sich, nachdem der Katholicismus sie überfallen
hatte, die menschliche Gesellschaft, die selbst das Heidenthum wenn auch nicht
einträchtig, so doch, da sie in die Vorsehung übernatürlichen Glauben setzte,
äußerlich vereint gelassen hatte, und begann sich selbst zu bekämpfen für ein
Prinzip nicht sowohl der Moral, als des dogmatischen Glaubens.

Der Clerus, der natürlich die Gottheit verkörperte, hatte das Glück, lange
Zeit den mächtigen Arm der Fürsten für sich zu besitzen, welche ihm halsen,
diejenigen zu treffen und zu verfolgen, die für ihn unerreichbar waren, und
so wurde das Evangelium der Liebe in Vergessenheit gebracht, und das
Christenthum, geschaffen, um zu vereinigen, wurde ein Werkzeug zu gesell¬
schaftlicher Trennung und blutiger Verfolgung, die unzählige Hekatomben
von Opfern forderte. Und wenn Italien auch heute eine despotische Regierung
besäße, welche die Absichten des Clerus unterstützte, so würden wir, wenn
nicht dieselben Schrecken der Inquisition, doch wenigstens die tyrannischen
Fesseln wiedersehn, welche die Gesellschaft in jeder Bewegung nach schnellem
Fortschritt hinderten.

Niemand von uns hat in Italien die traurige Allmacht der Jesuiten
vor dem Jahr 1848 vergessen. Die Erziehung war ausschließlich in ihren
Händen und ihre Aufgabe, ihre Absicht war, die Bildung zu begrenzen und
den Charakter zu erniedrigen. Wie in dem Staate der alten Jndier der
Brahmane dem Fürsten die Ausübung seiner Herrschermacht nur unter der
Bedingung erlaubte, daß er sich streng zu dem Priester bekenne, der die Macht
ihm geben und nehmen konnte, wie der alte Brahmane nur in dem Maße
den Ruhm des Fürsten verherrlichte und Gehorsam für denselben empfahl,
als der Fürst sich geneigt zeigte, die Priester aufs Freigebigste Theil an den
eigenen Reichthümern nehmen zu lassen und sich ihrem Willen unterwürfig
zeigte, so wirft sich im modernen Staat der Jesuitismus zum Schiedsrichter
despotischer Fürstenthrone auf und bringt von neuem mit zahlreichen Bei¬
spielen, wenn auch in Wirklichkeit kleinlicher, aber einschmeichelnder, geschäf¬
tiger, intimer und beinahe häuslicher das Phänomen jenes furchtbaren
Papstes, Gregor's VII., hervor, der mit einem Worte die Herrlichkeit der
Kaiser Deutschlands demüthigte und vernichtete. Der "schwarze Papst" wurde
der Jesuiten-General genannt, und jeder Jesuit in den kleinen despotischen
Staaten Italiens vor 1848 war ein kleiner Papst, zwar des Ornates beraubt
aber umsomehr zu fürchten, weil er im Geheimen, durch Ueberfall und mit
den feinsten Ränken arbeitete. Der Katholicismus hatte sich in Italien in
den Jesuitismus umgewandelt; außerhalb des Jesuitismus war kaum noch
katholische Religion. Und es sind nicht nur jene Jesuiten, die reglements-


seine Existenz und seine Macht zu beweisen, und daher theilte sich natürlicher¬
weise die Gesellschaft in zwei Theile: in Anhänger des Teufels und in An¬
hänger Gottes. Und so theilte sich, nachdem der Katholicismus sie überfallen
hatte, die menschliche Gesellschaft, die selbst das Heidenthum wenn auch nicht
einträchtig, so doch, da sie in die Vorsehung übernatürlichen Glauben setzte,
äußerlich vereint gelassen hatte, und begann sich selbst zu bekämpfen für ein
Prinzip nicht sowohl der Moral, als des dogmatischen Glaubens.

Der Clerus, der natürlich die Gottheit verkörperte, hatte das Glück, lange
Zeit den mächtigen Arm der Fürsten für sich zu besitzen, welche ihm halsen,
diejenigen zu treffen und zu verfolgen, die für ihn unerreichbar waren, und
so wurde das Evangelium der Liebe in Vergessenheit gebracht, und das
Christenthum, geschaffen, um zu vereinigen, wurde ein Werkzeug zu gesell¬
schaftlicher Trennung und blutiger Verfolgung, die unzählige Hekatomben
von Opfern forderte. Und wenn Italien auch heute eine despotische Regierung
besäße, welche die Absichten des Clerus unterstützte, so würden wir, wenn
nicht dieselben Schrecken der Inquisition, doch wenigstens die tyrannischen
Fesseln wiedersehn, welche die Gesellschaft in jeder Bewegung nach schnellem
Fortschritt hinderten.

Niemand von uns hat in Italien die traurige Allmacht der Jesuiten
vor dem Jahr 1848 vergessen. Die Erziehung war ausschließlich in ihren
Händen und ihre Aufgabe, ihre Absicht war, die Bildung zu begrenzen und
den Charakter zu erniedrigen. Wie in dem Staate der alten Jndier der
Brahmane dem Fürsten die Ausübung seiner Herrschermacht nur unter der
Bedingung erlaubte, daß er sich streng zu dem Priester bekenne, der die Macht
ihm geben und nehmen konnte, wie der alte Brahmane nur in dem Maße
den Ruhm des Fürsten verherrlichte und Gehorsam für denselben empfahl,
als der Fürst sich geneigt zeigte, die Priester aufs Freigebigste Theil an den
eigenen Reichthümern nehmen zu lassen und sich ihrem Willen unterwürfig
zeigte, so wirft sich im modernen Staat der Jesuitismus zum Schiedsrichter
despotischer Fürstenthrone auf und bringt von neuem mit zahlreichen Bei¬
spielen, wenn auch in Wirklichkeit kleinlicher, aber einschmeichelnder, geschäf¬
tiger, intimer und beinahe häuslicher das Phänomen jenes furchtbaren
Papstes, Gregor's VII., hervor, der mit einem Worte die Herrlichkeit der
Kaiser Deutschlands demüthigte und vernichtete. Der „schwarze Papst" wurde
der Jesuiten-General genannt, und jeder Jesuit in den kleinen despotischen
Staaten Italiens vor 1848 war ein kleiner Papst, zwar des Ornates beraubt
aber umsomehr zu fürchten, weil er im Geheimen, durch Ueberfall und mit
den feinsten Ränken arbeitete. Der Katholicismus hatte sich in Italien in
den Jesuitismus umgewandelt; außerhalb des Jesuitismus war kaum noch
katholische Religion. Und es sind nicht nur jene Jesuiten, die reglements-


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[0330] seine Existenz und seine Macht zu beweisen, und daher theilte sich natürlicher¬ weise die Gesellschaft in zwei Theile: in Anhänger des Teufels und in An¬ hänger Gottes. Und so theilte sich, nachdem der Katholicismus sie überfallen hatte, die menschliche Gesellschaft, die selbst das Heidenthum wenn auch nicht einträchtig, so doch, da sie in die Vorsehung übernatürlichen Glauben setzte, äußerlich vereint gelassen hatte, und begann sich selbst zu bekämpfen für ein Prinzip nicht sowohl der Moral, als des dogmatischen Glaubens. Der Clerus, der natürlich die Gottheit verkörperte, hatte das Glück, lange Zeit den mächtigen Arm der Fürsten für sich zu besitzen, welche ihm halsen, diejenigen zu treffen und zu verfolgen, die für ihn unerreichbar waren, und so wurde das Evangelium der Liebe in Vergessenheit gebracht, und das Christenthum, geschaffen, um zu vereinigen, wurde ein Werkzeug zu gesell¬ schaftlicher Trennung und blutiger Verfolgung, die unzählige Hekatomben von Opfern forderte. Und wenn Italien auch heute eine despotische Regierung besäße, welche die Absichten des Clerus unterstützte, so würden wir, wenn nicht dieselben Schrecken der Inquisition, doch wenigstens die tyrannischen Fesseln wiedersehn, welche die Gesellschaft in jeder Bewegung nach schnellem Fortschritt hinderten. Niemand von uns hat in Italien die traurige Allmacht der Jesuiten vor dem Jahr 1848 vergessen. Die Erziehung war ausschließlich in ihren Händen und ihre Aufgabe, ihre Absicht war, die Bildung zu begrenzen und den Charakter zu erniedrigen. Wie in dem Staate der alten Jndier der Brahmane dem Fürsten die Ausübung seiner Herrschermacht nur unter der Bedingung erlaubte, daß er sich streng zu dem Priester bekenne, der die Macht ihm geben und nehmen konnte, wie der alte Brahmane nur in dem Maße den Ruhm des Fürsten verherrlichte und Gehorsam für denselben empfahl, als der Fürst sich geneigt zeigte, die Priester aufs Freigebigste Theil an den eigenen Reichthümern nehmen zu lassen und sich ihrem Willen unterwürfig zeigte, so wirft sich im modernen Staat der Jesuitismus zum Schiedsrichter despotischer Fürstenthrone auf und bringt von neuem mit zahlreichen Bei¬ spielen, wenn auch in Wirklichkeit kleinlicher, aber einschmeichelnder, geschäf¬ tiger, intimer und beinahe häuslicher das Phänomen jenes furchtbaren Papstes, Gregor's VII., hervor, der mit einem Worte die Herrlichkeit der Kaiser Deutschlands demüthigte und vernichtete. Der „schwarze Papst" wurde der Jesuiten-General genannt, und jeder Jesuit in den kleinen despotischen Staaten Italiens vor 1848 war ein kleiner Papst, zwar des Ornates beraubt aber umsomehr zu fürchten, weil er im Geheimen, durch Ueberfall und mit den feinsten Ränken arbeitete. Der Katholicismus hatte sich in Italien in den Jesuitismus umgewandelt; außerhalb des Jesuitismus war kaum noch katholische Religion. Und es sind nicht nur jene Jesuiten, die reglements-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/330>, abgerufen am 26.06.2024.