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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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Die Zukunft des Papstthums.

Das Ende des Jahrhunderts ist bestimmt, den Untergang des ältesten
der in Europa bestehenden Fürstenthümer. oder wenigstens eine solche Um¬
wandlung desselben zu sehn, daß es nicht wieder erkennbar sein wird, und
der Grund dieser geschichtlichen Thatsache ist einleuchtend, wenn man die
besondere Natur des Katholicismus und die verhängnißvolle neue Form des
Stalaktiten bedenkt, welche er nach der Proklamation der Unfehlbarkeit des
Papstes angenommen. Unfehlbarkeit bedeutet Stillstand und Stillstand ist
dasselbe wie Tod. Eben dieser Proceß der Natur erneut sich in der Geschichte,
setzt sich in ihr fort, und ist in seinem einfacheren Ausdruck nichts anderes
als die Entwickelung der menschlichen Natur. Wo die Natur still steht,
haben wir die unbewegte und träge Materie, wo sie sich bewegt, haben wir
das Entstehen und das Leben. So sehen wir in der Geschichte der Mensch¬
heit den Verfall aller jener Völker, aller jener Institutionen, die sich zur
Unbeweglichkeit verdammen, während die sie umgebende Welt sich bewegt.

Dies ist eine wesentliche Seite des Christenthums, die höchste, die idealste,
die heiligste, daß es sich bewegt und dies macht es lebendig, und wo sich eine
andre als die einfache Form findet, da ist der todte Buchstabe und dieser muß
sterben; "der Buchstabe tödtet, der Geist macht lebendig" sprach der Stifter
des Christenthums. Der Katholicismus scheint dem Buchstaben, der Form
des Christenthums viel mehr Rechnung zu tragen als seinem Inhalt und durch
die falsche Wahl, die er trifft, sind in der Gegenwart seine Tage gezählt.
So lange in der Welt die Civilisation still zu stehen schien und die Unwissen¬
heit den Barbarismus erzeugte , war der Katholicismus allmächtig, sprach
weniger von dem Geist des Christenthums als von den Schrecken der Hölle und
mit der Befähigung diese Schrecken verschwinden zu lassen, hielt er lange Zeit
nicht nur die Völker, sondern auch diejenigen, welche über die Völker herrschten,
in Knechtschaft. Daher kam die große Beliebtheit oder wenigstens die große
Macht, welche im Mittelalter die Magie in Europa erlangte. Denn, seitdem
dem Teufel von der Geistlichkeit eine wirkliche Existenz zugeschrieben worden
war, mußte dieser Teufel nur irgend etwas ausführen oder versuchen, um


Gienzlwt"" III. 41
Die Zukunft des Papstthums.

Das Ende des Jahrhunderts ist bestimmt, den Untergang des ältesten
der in Europa bestehenden Fürstenthümer. oder wenigstens eine solche Um¬
wandlung desselben zu sehn, daß es nicht wieder erkennbar sein wird, und
der Grund dieser geschichtlichen Thatsache ist einleuchtend, wenn man die
besondere Natur des Katholicismus und die verhängnißvolle neue Form des
Stalaktiten bedenkt, welche er nach der Proklamation der Unfehlbarkeit des
Papstes angenommen. Unfehlbarkeit bedeutet Stillstand und Stillstand ist
dasselbe wie Tod. Eben dieser Proceß der Natur erneut sich in der Geschichte,
setzt sich in ihr fort, und ist in seinem einfacheren Ausdruck nichts anderes
als die Entwickelung der menschlichen Natur. Wo die Natur still steht,
haben wir die unbewegte und träge Materie, wo sie sich bewegt, haben wir
das Entstehen und das Leben. So sehen wir in der Geschichte der Mensch¬
heit den Verfall aller jener Völker, aller jener Institutionen, die sich zur
Unbeweglichkeit verdammen, während die sie umgebende Welt sich bewegt.

Dies ist eine wesentliche Seite des Christenthums, die höchste, die idealste,
die heiligste, daß es sich bewegt und dies macht es lebendig, und wo sich eine
andre als die einfache Form findet, da ist der todte Buchstabe und dieser muß
sterben; „der Buchstabe tödtet, der Geist macht lebendig" sprach der Stifter
des Christenthums. Der Katholicismus scheint dem Buchstaben, der Form
des Christenthums viel mehr Rechnung zu tragen als seinem Inhalt und durch
die falsche Wahl, die er trifft, sind in der Gegenwart seine Tage gezählt.
So lange in der Welt die Civilisation still zu stehen schien und die Unwissen¬
heit den Barbarismus erzeugte , war der Katholicismus allmächtig, sprach
weniger von dem Geist des Christenthums als von den Schrecken der Hölle und
mit der Befähigung diese Schrecken verschwinden zu lassen, hielt er lange Zeit
nicht nur die Völker, sondern auch diejenigen, welche über die Völker herrschten,
in Knechtschaft. Daher kam die große Beliebtheit oder wenigstens die große
Macht, welche im Mittelalter die Magie in Europa erlangte. Denn, seitdem
dem Teufel von der Geistlichkeit eine wirkliche Existenz zugeschrieben worden
war, mußte dieser Teufel nur irgend etwas ausführen oder versuchen, um


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[0329] Die Zukunft des Papstthums. Das Ende des Jahrhunderts ist bestimmt, den Untergang des ältesten der in Europa bestehenden Fürstenthümer. oder wenigstens eine solche Um¬ wandlung desselben zu sehn, daß es nicht wieder erkennbar sein wird, und der Grund dieser geschichtlichen Thatsache ist einleuchtend, wenn man die besondere Natur des Katholicismus und die verhängnißvolle neue Form des Stalaktiten bedenkt, welche er nach der Proklamation der Unfehlbarkeit des Papstes angenommen. Unfehlbarkeit bedeutet Stillstand und Stillstand ist dasselbe wie Tod. Eben dieser Proceß der Natur erneut sich in der Geschichte, setzt sich in ihr fort, und ist in seinem einfacheren Ausdruck nichts anderes als die Entwickelung der menschlichen Natur. Wo die Natur still steht, haben wir die unbewegte und träge Materie, wo sie sich bewegt, haben wir das Entstehen und das Leben. So sehen wir in der Geschichte der Mensch¬ heit den Verfall aller jener Völker, aller jener Institutionen, die sich zur Unbeweglichkeit verdammen, während die sie umgebende Welt sich bewegt. Dies ist eine wesentliche Seite des Christenthums, die höchste, die idealste, die heiligste, daß es sich bewegt und dies macht es lebendig, und wo sich eine andre als die einfache Form findet, da ist der todte Buchstabe und dieser muß sterben; „der Buchstabe tödtet, der Geist macht lebendig" sprach der Stifter des Christenthums. Der Katholicismus scheint dem Buchstaben, der Form des Christenthums viel mehr Rechnung zu tragen als seinem Inhalt und durch die falsche Wahl, die er trifft, sind in der Gegenwart seine Tage gezählt. So lange in der Welt die Civilisation still zu stehen schien und die Unwissen¬ heit den Barbarismus erzeugte , war der Katholicismus allmächtig, sprach weniger von dem Geist des Christenthums als von den Schrecken der Hölle und mit der Befähigung diese Schrecken verschwinden zu lassen, hielt er lange Zeit nicht nur die Völker, sondern auch diejenigen, welche über die Völker herrschten, in Knechtschaft. Daher kam die große Beliebtheit oder wenigstens die große Macht, welche im Mittelalter die Magie in Europa erlangte. Denn, seitdem dem Teufel von der Geistlichkeit eine wirkliche Existenz zugeschrieben worden war, mußte dieser Teufel nur irgend etwas ausführen oder versuchen, um Gienzlwt«» III. 41

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/329>, abgerufen am 26.06.2024.