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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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Krätzmilbe, so hat das Pflanzenreich seine Baumflechten, seine Misteln und
seine Pilze.

So haben wir denn gleiche Fruchtbarkeit, dieselbe Vielfältigkeit auf der
Stufenleiter der Größe, Analogie in der Art zu wohnen, was aus eine ähn¬
liche Organisation hindeutet, die Möglichkeit der Verpflanzung und Ein¬
bürgerung außerhalb des Ursprungsortes, die Möglichkeit einer amphibischen
Existenz, ein Schmarotzerleben, lauter allgemeine Zustände, die eine ähnliche
Organisation voraussetzen lassen -- das ist's, was sich herausstellt, wenn
man zwischen den Pflanzen und den Thieren Vergleichungen anstellt. Wie
aber dürfte man da, wenn man dem einen der beiden Reiche das Empfindungs¬
vermögen zuerkennt, es dem andern absprechen?"

Auch hiermit ist der Vorrath von Vergleichen, die der Verfasser ge¬
sammelt hat, noch nicht erschöpft. Er philosophirt weiter, wie folgt:

"Die Pflanzen haben wie die Thiere ihre Krankheiten. Wir sprechen
nicht von Krankheiten, die einfach durch Schmarotzer veranlaßt werden, wie
die Krankheit der Weinstöcke, die auf die Reblaus zurückzuführen ist, die
Kartoffelkrankheit, die von kleinen Pilzen herrührt, die des Getreides, des
Rosenstockes, des Oelbaums u. a., welche sämmtlich durch verschiedene para¬
sitische Kryptogamen hervorgerufen werden, die sich an die Pflanze heften
und den regelmäßigen Verlauf ihres Lebens verändern. Wir reden von
eigentlichen krankhaften Zufällen. Der pathologische Zustand ist bei der
Pflanze wie beim Thiere vorhanden. Unregelmäßiges Haltmachen oder un¬
regelmäßige und fieberhafte Beschleunigung des Säfteumlaufes bei den Ge¬
wächsen, das an die Stockung oder Beschleunigung des Blutumlaufes bei
dem Thiere, das Fieber hat, erinnert -- verschiedene Auswüchse der Rinde,
ähnlich den Hautaffeetionen bei den Thieren -- Mißbildungen ganzer Organe
und fehlerhafte Entwickelung anderer im Einzelnen -- Absonderung von
krankhaften Flüssigkeiten, welche auslaufen -- das ist ein kurzgefaßter Ueber¬
blick über die Krankheiten, denen die Bäume, die Sträucher und die kräuter¬
artigen Gewächse unterworfen sind. Eine Pflanze, die zu schnell oder zu oft
aus strenger Kälte in außerordentlich starke Wärme gebracht wird, muß krank
werden und zu Grunde gehen wie ein Thier, welches man diesem gefährlichen
Wechsel aussetzen wollte. Ein Strauch, den man in einem kalten Luftzuge
läßt, kann ebenso wenig leben wie ein Thier, das man an demselben Orte
festhielte. ... Mit einem Worte, die Pflanze zeigt den Zustand der Gesund¬
heit oder der Krankheit je nach den Verhältnissen, denen sie begegnet. Wie
könnte man zugeben, daß ein Wesen, bei dem sich solche Veränderungen
vollziehen, nur der passive Gegenstand derselben sei, daß es, vom Zustande
der Krankheit in den der Gesundheit übergehend oder umgekehrt, gar keine
Empfindung, weder von Schmerz noch von Behagen habe?


Krätzmilbe, so hat das Pflanzenreich seine Baumflechten, seine Misteln und
seine Pilze.

So haben wir denn gleiche Fruchtbarkeit, dieselbe Vielfältigkeit auf der
Stufenleiter der Größe, Analogie in der Art zu wohnen, was aus eine ähn¬
liche Organisation hindeutet, die Möglichkeit der Verpflanzung und Ein¬
bürgerung außerhalb des Ursprungsortes, die Möglichkeit einer amphibischen
Existenz, ein Schmarotzerleben, lauter allgemeine Zustände, die eine ähnliche
Organisation voraussetzen lassen — das ist's, was sich herausstellt, wenn
man zwischen den Pflanzen und den Thieren Vergleichungen anstellt. Wie
aber dürfte man da, wenn man dem einen der beiden Reiche das Empfindungs¬
vermögen zuerkennt, es dem andern absprechen?"

Auch hiermit ist der Vorrath von Vergleichen, die der Verfasser ge¬
sammelt hat, noch nicht erschöpft. Er philosophirt weiter, wie folgt:

„Die Pflanzen haben wie die Thiere ihre Krankheiten. Wir sprechen
nicht von Krankheiten, die einfach durch Schmarotzer veranlaßt werden, wie
die Krankheit der Weinstöcke, die auf die Reblaus zurückzuführen ist, die
Kartoffelkrankheit, die von kleinen Pilzen herrührt, die des Getreides, des
Rosenstockes, des Oelbaums u. a., welche sämmtlich durch verschiedene para¬
sitische Kryptogamen hervorgerufen werden, die sich an die Pflanze heften
und den regelmäßigen Verlauf ihres Lebens verändern. Wir reden von
eigentlichen krankhaften Zufällen. Der pathologische Zustand ist bei der
Pflanze wie beim Thiere vorhanden. Unregelmäßiges Haltmachen oder un¬
regelmäßige und fieberhafte Beschleunigung des Säfteumlaufes bei den Ge¬
wächsen, das an die Stockung oder Beschleunigung des Blutumlaufes bei
dem Thiere, das Fieber hat, erinnert — verschiedene Auswüchse der Rinde,
ähnlich den Hautaffeetionen bei den Thieren — Mißbildungen ganzer Organe
und fehlerhafte Entwickelung anderer im Einzelnen — Absonderung von
krankhaften Flüssigkeiten, welche auslaufen — das ist ein kurzgefaßter Ueber¬
blick über die Krankheiten, denen die Bäume, die Sträucher und die kräuter¬
artigen Gewächse unterworfen sind. Eine Pflanze, die zu schnell oder zu oft
aus strenger Kälte in außerordentlich starke Wärme gebracht wird, muß krank
werden und zu Grunde gehen wie ein Thier, welches man diesem gefährlichen
Wechsel aussetzen wollte. Ein Strauch, den man in einem kalten Luftzuge
läßt, kann ebenso wenig leben wie ein Thier, das man an demselben Orte
festhielte. ... Mit einem Worte, die Pflanze zeigt den Zustand der Gesund¬
heit oder der Krankheit je nach den Verhältnissen, denen sie begegnet. Wie
könnte man zugeben, daß ein Wesen, bei dem sich solche Veränderungen
vollziehen, nur der passive Gegenstand derselben sei, daß es, vom Zustande
der Krankheit in den der Gesundheit übergehend oder umgekehrt, gar keine
Empfindung, weder von Schmerz noch von Behagen habe?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/299>, abgerufen am 26.06.2024.