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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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linge. Die Kryptogamen, denen die Geschlechtsorgane der Phanerogamen
fehlen, vervielfältigen sich theils durch Sporen, die sich, wie man das an
den Farnkräutern, den Algen und den Schwämmen beobachtet, in einer ge¬
wissen Zeit der Vegetation von den Individuen losreißen, theils durch Frag¬
mente des Individuums selbst, welche, auf die Erde fallend, die Eigenschaft
haben, zu keimen und sich wieder zu vervielfältigen.

Die Thiere zeigen uns in ihren verschiedenen Klassen alle diese Arten der
Reproduction, es giebt nicht eine einzige dieser Fortpflanzungsarten, die man
bei ihnen nicht auch anträfe. Das Thier vervielfältigt sich nicht blos durch innere
oder äußere Eier, und durch lebendige Junge, sondern ebenso wie die Gewächse
durch Schößlinge, Stecklinge und eine Art Pfropfung.

Die Vervielfältigung durch Schößlinge sehen wir sehr deutlich am Sü߬
wasser-Polypen. Aus dem Körper dieses Thieres treten kleine Knöpfe hervor,
die allmählig dicker und länger werden. Während ein solcher Knopf wächst,
treibt er selbst andere noch kleinere Schößlinge hervor, die ihrerseits wieder
kleinere herauskeimen lassen. Alle diese Schößlinge sind ebenso viele kleine
Polypen, die ihre Nahrung aus dem Ur- und Hauptpolypen ziehen. Sind
sie bis zu einer gewissen Größe herangewachsen, so lösen sie sich von letzterem
ab und bilden sich zu vollkommen selbständigen Thieren ihrer Gattung aus.

Die Koralle vervielfältigt sich auf dieselbe Art. Vom Hauptzweige streben
Seitenäste nach allen Seiten hinaus, die zuerst als Knöpfe oder Knospen
erscheinen, und diese am Stamme festsitzenden Aeste bilden neue Individuen.
So sieht die Koralle, von außen betrachtet, weit mehr wie ein Strauch als
wie ein Thier aus, das sie doch sonst ohne Zweifel ist.

Die Madreporen, ein anderes Geschlecht der Pflanzenthiere oder
Zoophyten, haben eine so große Aehnlichkeit mit Sträuchern, daß man sie
Jahrhunderte hindurch für Seepflanzen gehalten hat. Sie vervielfältigen sich
durch Schößlinge wie ihre so eben erwähnten Verwandten.

Die Vermehrung durch Stecklinge bietet sich uns an der Süßwasser-
Hydra zur Beobachtung dar. Nehme man ein solches Thier, und zerschneide
man es in so viele Stücke, als man will, so wird jedes dieser Stücke, sich
selbst überlassen, zu einer Hydra werden. Diese neuen Individuen kann man
dann wieder zertheilen, und jene Erscheinung wird sich wiederholen: so viel
Schnitte, so viel neue Thierchen. Wir haben hier ganz dieselbe Verviel¬
fältigung durch Stecklinge, wie bei gewissen Pflanzen, so daß die Erzeugung
dieser Hydren sich von der unsrer Obstbäume fast gar nicht unterscheidet.

Man braucht aber nicht die ganze Süßwasser-Hydra zu zertheilen, um
neue Individuen zu gewinnen, sondern die bloße Haut dieses Thieres kann
ein oder mehrere solche Individuen hervorbringen.

Dasselbe wunderbare Wassergeschöpf bietet uns das Schauspiel der


linge. Die Kryptogamen, denen die Geschlechtsorgane der Phanerogamen
fehlen, vervielfältigen sich theils durch Sporen, die sich, wie man das an
den Farnkräutern, den Algen und den Schwämmen beobachtet, in einer ge¬
wissen Zeit der Vegetation von den Individuen losreißen, theils durch Frag¬
mente des Individuums selbst, welche, auf die Erde fallend, die Eigenschaft
haben, zu keimen und sich wieder zu vervielfältigen.

Die Thiere zeigen uns in ihren verschiedenen Klassen alle diese Arten der
Reproduction, es giebt nicht eine einzige dieser Fortpflanzungsarten, die man
bei ihnen nicht auch anträfe. Das Thier vervielfältigt sich nicht blos durch innere
oder äußere Eier, und durch lebendige Junge, sondern ebenso wie die Gewächse
durch Schößlinge, Stecklinge und eine Art Pfropfung.

Die Vervielfältigung durch Schößlinge sehen wir sehr deutlich am Sü߬
wasser-Polypen. Aus dem Körper dieses Thieres treten kleine Knöpfe hervor,
die allmählig dicker und länger werden. Während ein solcher Knopf wächst,
treibt er selbst andere noch kleinere Schößlinge hervor, die ihrerseits wieder
kleinere herauskeimen lassen. Alle diese Schößlinge sind ebenso viele kleine
Polypen, die ihre Nahrung aus dem Ur- und Hauptpolypen ziehen. Sind
sie bis zu einer gewissen Größe herangewachsen, so lösen sie sich von letzterem
ab und bilden sich zu vollkommen selbständigen Thieren ihrer Gattung aus.

Die Koralle vervielfältigt sich auf dieselbe Art. Vom Hauptzweige streben
Seitenäste nach allen Seiten hinaus, die zuerst als Knöpfe oder Knospen
erscheinen, und diese am Stamme festsitzenden Aeste bilden neue Individuen.
So sieht die Koralle, von außen betrachtet, weit mehr wie ein Strauch als
wie ein Thier aus, das sie doch sonst ohne Zweifel ist.

Die Madreporen, ein anderes Geschlecht der Pflanzenthiere oder
Zoophyten, haben eine so große Aehnlichkeit mit Sträuchern, daß man sie
Jahrhunderte hindurch für Seepflanzen gehalten hat. Sie vervielfältigen sich
durch Schößlinge wie ihre so eben erwähnten Verwandten.

Die Vermehrung durch Stecklinge bietet sich uns an der Süßwasser-
Hydra zur Beobachtung dar. Nehme man ein solches Thier, und zerschneide
man es in so viele Stücke, als man will, so wird jedes dieser Stücke, sich
selbst überlassen, zu einer Hydra werden. Diese neuen Individuen kann man
dann wieder zertheilen, und jene Erscheinung wird sich wiederholen: so viel
Schnitte, so viel neue Thierchen. Wir haben hier ganz dieselbe Verviel¬
fältigung durch Stecklinge, wie bei gewissen Pflanzen, so daß die Erzeugung
dieser Hydren sich von der unsrer Obstbäume fast gar nicht unterscheidet.

Man braucht aber nicht die ganze Süßwasser-Hydra zu zertheilen, um
neue Individuen zu gewinnen, sondern die bloße Haut dieses Thieres kann
ein oder mehrere solche Individuen hervorbringen.

Dasselbe wunderbare Wassergeschöpf bietet uns das Schauspiel der


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[0296] linge. Die Kryptogamen, denen die Geschlechtsorgane der Phanerogamen fehlen, vervielfältigen sich theils durch Sporen, die sich, wie man das an den Farnkräutern, den Algen und den Schwämmen beobachtet, in einer ge¬ wissen Zeit der Vegetation von den Individuen losreißen, theils durch Frag¬ mente des Individuums selbst, welche, auf die Erde fallend, die Eigenschaft haben, zu keimen und sich wieder zu vervielfältigen. Die Thiere zeigen uns in ihren verschiedenen Klassen alle diese Arten der Reproduction, es giebt nicht eine einzige dieser Fortpflanzungsarten, die man bei ihnen nicht auch anträfe. Das Thier vervielfältigt sich nicht blos durch innere oder äußere Eier, und durch lebendige Junge, sondern ebenso wie die Gewächse durch Schößlinge, Stecklinge und eine Art Pfropfung. Die Vervielfältigung durch Schößlinge sehen wir sehr deutlich am Sü߬ wasser-Polypen. Aus dem Körper dieses Thieres treten kleine Knöpfe hervor, die allmählig dicker und länger werden. Während ein solcher Knopf wächst, treibt er selbst andere noch kleinere Schößlinge hervor, die ihrerseits wieder kleinere herauskeimen lassen. Alle diese Schößlinge sind ebenso viele kleine Polypen, die ihre Nahrung aus dem Ur- und Hauptpolypen ziehen. Sind sie bis zu einer gewissen Größe herangewachsen, so lösen sie sich von letzterem ab und bilden sich zu vollkommen selbständigen Thieren ihrer Gattung aus. Die Koralle vervielfältigt sich auf dieselbe Art. Vom Hauptzweige streben Seitenäste nach allen Seiten hinaus, die zuerst als Knöpfe oder Knospen erscheinen, und diese am Stamme festsitzenden Aeste bilden neue Individuen. So sieht die Koralle, von außen betrachtet, weit mehr wie ein Strauch als wie ein Thier aus, das sie doch sonst ohne Zweifel ist. Die Madreporen, ein anderes Geschlecht der Pflanzenthiere oder Zoophyten, haben eine so große Aehnlichkeit mit Sträuchern, daß man sie Jahrhunderte hindurch für Seepflanzen gehalten hat. Sie vervielfältigen sich durch Schößlinge wie ihre so eben erwähnten Verwandten. Die Vermehrung durch Stecklinge bietet sich uns an der Süßwasser- Hydra zur Beobachtung dar. Nehme man ein solches Thier, und zerschneide man es in so viele Stücke, als man will, so wird jedes dieser Stücke, sich selbst überlassen, zu einer Hydra werden. Diese neuen Individuen kann man dann wieder zertheilen, und jene Erscheinung wird sich wiederholen: so viel Schnitte, so viel neue Thierchen. Wir haben hier ganz dieselbe Verviel¬ fältigung durch Stecklinge, wie bei gewissen Pflanzen, so daß die Erzeugung dieser Hydren sich von der unsrer Obstbäume fast gar nicht unterscheidet. Man braucht aber nicht die ganze Süßwasser-Hydra zu zertheilen, um neue Individuen zu gewinnen, sondern die bloße Haut dieses Thieres kann ein oder mehrere solche Individuen hervorbringen. Dasselbe wunderbare Wassergeschöpf bietet uns das Schauspiel der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/296>, abgerufen am 26.06.2024.