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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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finden. Eden so geht hier wie dort die Aufsaugung in ähnlicher Weise vor
sich. Man lege einmal die untere Fläche eines Blattes auf Wasser, und man
wird gewahr werden, wie rasch dieses eingesogen werden wird. Man bespritze
einen Blumenstrauß mit Wasser, und sofort wird die Frische in die welken
Kronen zurückkehren. Ja die Aufsaugung geht in den vegetabilischen Geweben
sogar mit größerer Thätigkeit und Geschwindigkeit vor sich als in denen der
Thiere. Der Umlauf der Säfte im Innern der Pflanzen vollzieht sich durch
ein reichgegliedertes und complicirtes System von Kanälen und Gefäßen aller
Art und Größe: durch Sauggefäße, Ausschwitzungsgefäße, Luftadern und
Röhrchen von verschiedener Gestalt. Nichts ist mannichfaltiger als die Ver-
theilung dieser Kanäle im Innern der Gewächse. Diese Vielheit von Gefäßen
deutet aber auf einen Kreislauf der Säfte hin, der vielleicht ebenso compli-
cirt ist wie bei den" Geschöpfen, die der animalischen Welt angehören.

Die Gewächse haben also ungefähr dieselben physiologischen Funktionen
wie die Thiere. Nur kennen wir diese Functionen noch sehr wenig. Es ist
sehr seltsam, daß, während die Physiologie in Betreff der animalischen Welt
heutzutage so große Fortschritte gemacht hat, sie in Bezug auf die Pflanzen
noch ungefähr in den Kinderschuhen steckt. (Das ist doch etwas zu viel gesagt;
in einigen Beziehungen sind auch hier in den letzten Jahrzehnten bedeutende
Entdeckungen gemacht worden, ich erinnere nur an die schönen Ergebnisse, die
wir den Untersuchungen Wilhelm Hoffmeisters hinsichtlich der Generation der
Pflanzen verdanken.) Wir wissen sehr gut, wie bei dem Menschen und dem
Thiere die Verdauung der Speisen vor sich geht, wir wissen, wie unser Blut
in einem doppelten Systeme von Gefäßen, Venen und Arterien, circulirt und
wir kennen das Centralorgan, das Herz, wo sich die beiden durch dieses
doppelte Gefäßsystem getriebnen Flüssigkeiten vereinigen. Wir sehen und be¬
rühren die Organe des Fühlens und der Bewegung, das heißt, die Nerven.
Ja noch mehr, wir unterscheiden an ihrem Aussehen die vom Gefühl berührten
Nerven ganz deutlich von denen, die der Bewegung dienen. Wir wissen, daß
das Centrum der Nerventhätigkeit beim Menschen wie bei dem Thiere ein
doppeltes ist, daß sein Sitz sich im Gehirn und zugleich im Rückenmark befindet.
Mit einem Worte: die Wissenschaft hat alle Functionen, die zum thierischen
Organismus gehören, in das hellste Licht gestellt, während die Physiologie
in Bezug auf die Gewächse noch fast überall im Dunkeln tappt. Trotz der
zahllosen Arbeiten, welche die Naturforscher seit zwei Jahrhunderten ausge¬
führt haben, vermögen wir im Leben der Pflanzen nichts mit Gewißheit zu
erklären. (Das ist wieder zu schwarz gesehen, und wäre es richtig, so würde
das ganze Capitel des Verfassers über die Pflanzen nicht der Mühe des Lesens
werth sein.) Wir können nicht mit Sicherheit sagen, wie der Saft, dieses
vegetabilische Blut, in ihren Kanälen circulirt. Wir wissen nicht einmal


finden. Eden so geht hier wie dort die Aufsaugung in ähnlicher Weise vor
sich. Man lege einmal die untere Fläche eines Blattes auf Wasser, und man
wird gewahr werden, wie rasch dieses eingesogen werden wird. Man bespritze
einen Blumenstrauß mit Wasser, und sofort wird die Frische in die welken
Kronen zurückkehren. Ja die Aufsaugung geht in den vegetabilischen Geweben
sogar mit größerer Thätigkeit und Geschwindigkeit vor sich als in denen der
Thiere. Der Umlauf der Säfte im Innern der Pflanzen vollzieht sich durch
ein reichgegliedertes und complicirtes System von Kanälen und Gefäßen aller
Art und Größe: durch Sauggefäße, Ausschwitzungsgefäße, Luftadern und
Röhrchen von verschiedener Gestalt. Nichts ist mannichfaltiger als die Ver-
theilung dieser Kanäle im Innern der Gewächse. Diese Vielheit von Gefäßen
deutet aber auf einen Kreislauf der Säfte hin, der vielleicht ebenso compli-
cirt ist wie bei den" Geschöpfen, die der animalischen Welt angehören.

Die Gewächse haben also ungefähr dieselben physiologischen Funktionen
wie die Thiere. Nur kennen wir diese Functionen noch sehr wenig. Es ist
sehr seltsam, daß, während die Physiologie in Betreff der animalischen Welt
heutzutage so große Fortschritte gemacht hat, sie in Bezug auf die Pflanzen
noch ungefähr in den Kinderschuhen steckt. (Das ist doch etwas zu viel gesagt;
in einigen Beziehungen sind auch hier in den letzten Jahrzehnten bedeutende
Entdeckungen gemacht worden, ich erinnere nur an die schönen Ergebnisse, die
wir den Untersuchungen Wilhelm Hoffmeisters hinsichtlich der Generation der
Pflanzen verdanken.) Wir wissen sehr gut, wie bei dem Menschen und dem
Thiere die Verdauung der Speisen vor sich geht, wir wissen, wie unser Blut
in einem doppelten Systeme von Gefäßen, Venen und Arterien, circulirt und
wir kennen das Centralorgan, das Herz, wo sich die beiden durch dieses
doppelte Gefäßsystem getriebnen Flüssigkeiten vereinigen. Wir sehen und be¬
rühren die Organe des Fühlens und der Bewegung, das heißt, die Nerven.
Ja noch mehr, wir unterscheiden an ihrem Aussehen die vom Gefühl berührten
Nerven ganz deutlich von denen, die der Bewegung dienen. Wir wissen, daß
das Centrum der Nerventhätigkeit beim Menschen wie bei dem Thiere ein
doppeltes ist, daß sein Sitz sich im Gehirn und zugleich im Rückenmark befindet.
Mit einem Worte: die Wissenschaft hat alle Functionen, die zum thierischen
Organismus gehören, in das hellste Licht gestellt, während die Physiologie
in Bezug auf die Gewächse noch fast überall im Dunkeln tappt. Trotz der
zahllosen Arbeiten, welche die Naturforscher seit zwei Jahrhunderten ausge¬
führt haben, vermögen wir im Leben der Pflanzen nichts mit Gewißheit zu
erklären. (Das ist wieder zu schwarz gesehen, und wäre es richtig, so würde
das ganze Capitel des Verfassers über die Pflanzen nicht der Mühe des Lesens
werth sein.) Wir können nicht mit Sicherheit sagen, wie der Saft, dieses
vegetabilische Blut, in ihren Kanälen circulirt. Wir wissen nicht einmal


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/293>, abgerufen am 26.06.2024.