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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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letzung, es ist wie das Blut, das aus der Wunde eines Thieres quillt, die
Pflanze kränkelt und stirbt, wenn man ihr nicht die erforderliche Pflege zu
Theil werden läßt.

Die Sinnpflanze faltet, wenn sie mit dem Finger berührt oder auch nur
von einem ihr unangenehmen Luftzuge getroffen wird, ihre Blättchen und
zieht sich zusammen. Der Botaniker Desfontaines sah, wie eine solche Sensi¬
tive, die er im Wagen wegbrachte, während des Fahrens ihre Blätter schloß
und, wenn das Fuhrwerk Halt machte, sie wieder öffnete, ein entschiedner
Beweis, daß die Bewegung der Pflanze unbequem war. Ein Tropfen saurer
oder herber Flüssigkeit bewirkt, auf ein Blatt der Sensitive gebracht, sofort
dessen Zusammenschrumpfen. Alle Gewächse bieten diese Erscheinung dar, ihre
Gewebe krampfen sich zusammen, wenn man sie mit einer reizenden Substanz
in Berührung bringt. Zupft man an den Spitzen einer Lattichstaude, so
genügt es, um aus ihnen den Saft hervorquellen zu lassen.

Das Gefühlsvermögen der Gewächse ist von derselben Art wie das der
Thiere, da die Elektricität jene ebenso wie diese niederwirft und tödtet, und
da die narkotischen Gifte die Pflanzen in gleicher Weise einschläfern und
sterben lassen wie die Thiere. Man kann eine Pflanze durch Begießen mit
Wasser, in welchem Opium aufgelöst ist, einschläfern, und man hat gefunden,
daß die Blausäure die Gewächse ebenso schnell tödtet als die Thiere.

Eine fernere Bestätigung seiner Behauptung findet der Verfasser unsrer
Schrift in dem Umstände, daß die Pflanzen in der Nacht schlafen. Sie ent¬
wickeln den Tag über ihre ganze Lebensthätigkeit, aber wenn die Nacht
kommt oder sie sich an einem Orte ohne Licht befinden, nehmen ihre Blätter
eine neue Stellung an, welche ein Zeichen der Ruhe ist, sie biegen sich um.
Wenn man weiß, daß die Blätter am Tage so stehen, daß ihre obere Seite
dem Himmel, ihre untere aber der Erde zugekehrt ist, und daß diese untere
Seite, mit kleinen Löchern versehen, zum Aufsaugen der Feuchtigkeit der Lust
und zum Ausdünsten bestimmt, die obere aber, ohne jene Oeffnungen, nur eine
Art Schutzdach zur Bedeckung der aufsaugenden Fläche ist, so sieht man ein,
daß jene horizontale Stellung der Blätter ihre Lebensthätigkeit, diese Um-
biegung derselben Blätter während der Nacht oder an lichtlosen Orten einen
Zustand des Rubens anzeigt. Es ist genau dieselbe Erscheinung, wie die,
wenn sich bei uns Menschen in der Nacht ein Zustand einstellt, bei dem die
Spannung der Muskeln sich löst, die am Tage stattfand.

Der Pflanzenschlaf, der zuerst von Linne beschrieben worden ist. und von
dessen Tochter entdeckt worden sein soll, ist nicht, wie Manche glauben werden,
auf einige wenige Gewächsarten beschränkt. Es giebt vielmehr nur wenige
Familien des Pflanzenreichs, die in der Dunkelheit ihre Blätter nicht um¬
biegen und während der Nacht nicht ein anderes Ansehen haben als am Tage.


letzung, es ist wie das Blut, das aus der Wunde eines Thieres quillt, die
Pflanze kränkelt und stirbt, wenn man ihr nicht die erforderliche Pflege zu
Theil werden läßt.

Die Sinnpflanze faltet, wenn sie mit dem Finger berührt oder auch nur
von einem ihr unangenehmen Luftzuge getroffen wird, ihre Blättchen und
zieht sich zusammen. Der Botaniker Desfontaines sah, wie eine solche Sensi¬
tive, die er im Wagen wegbrachte, während des Fahrens ihre Blätter schloß
und, wenn das Fuhrwerk Halt machte, sie wieder öffnete, ein entschiedner
Beweis, daß die Bewegung der Pflanze unbequem war. Ein Tropfen saurer
oder herber Flüssigkeit bewirkt, auf ein Blatt der Sensitive gebracht, sofort
dessen Zusammenschrumpfen. Alle Gewächse bieten diese Erscheinung dar, ihre
Gewebe krampfen sich zusammen, wenn man sie mit einer reizenden Substanz
in Berührung bringt. Zupft man an den Spitzen einer Lattichstaude, so
genügt es, um aus ihnen den Saft hervorquellen zu lassen.

Das Gefühlsvermögen der Gewächse ist von derselben Art wie das der
Thiere, da die Elektricität jene ebenso wie diese niederwirft und tödtet, und
da die narkotischen Gifte die Pflanzen in gleicher Weise einschläfern und
sterben lassen wie die Thiere. Man kann eine Pflanze durch Begießen mit
Wasser, in welchem Opium aufgelöst ist, einschläfern, und man hat gefunden,
daß die Blausäure die Gewächse ebenso schnell tödtet als die Thiere.

Eine fernere Bestätigung seiner Behauptung findet der Verfasser unsrer
Schrift in dem Umstände, daß die Pflanzen in der Nacht schlafen. Sie ent¬
wickeln den Tag über ihre ganze Lebensthätigkeit, aber wenn die Nacht
kommt oder sie sich an einem Orte ohne Licht befinden, nehmen ihre Blätter
eine neue Stellung an, welche ein Zeichen der Ruhe ist, sie biegen sich um.
Wenn man weiß, daß die Blätter am Tage so stehen, daß ihre obere Seite
dem Himmel, ihre untere aber der Erde zugekehrt ist, und daß diese untere
Seite, mit kleinen Löchern versehen, zum Aufsaugen der Feuchtigkeit der Lust
und zum Ausdünsten bestimmt, die obere aber, ohne jene Oeffnungen, nur eine
Art Schutzdach zur Bedeckung der aufsaugenden Fläche ist, so sieht man ein,
daß jene horizontale Stellung der Blätter ihre Lebensthätigkeit, diese Um-
biegung derselben Blätter während der Nacht oder an lichtlosen Orten einen
Zustand des Rubens anzeigt. Es ist genau dieselbe Erscheinung, wie die,
wenn sich bei uns Menschen in der Nacht ein Zustand einstellt, bei dem die
Spannung der Muskeln sich löst, die am Tage stattfand.

Der Pflanzenschlaf, der zuerst von Linne beschrieben worden ist. und von
dessen Tochter entdeckt worden sein soll, ist nicht, wie Manche glauben werden,
auf einige wenige Gewächsarten beschränkt. Es giebt vielmehr nur wenige
Familien des Pflanzenreichs, die in der Dunkelheit ihre Blätter nicht um¬
biegen und während der Nacht nicht ein anderes Ansehen haben als am Tage.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/291>, abgerufen am 26.06.2024.