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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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Trägt es aber wirklich etwas zu unserem Urtheil über Goethe bei, wenn wir
z. B. erfahren, daß der Schuster, bei welchem der Leipziger Student Goethe
im Jahre 1767 in Dresden wohnte, möglicherweise Engelmann hieß?
Lohnt es der Mühe, um dieses Resultates willen die Dresdner Adreßbücher
des vorigen Jahrhunderts oder wohl gar die Acten der Dresdner Schuhmacher¬
innung zu durchstöbern? Und dabei berichtet der Verfasser über solch eine
Entdeckung mit so unwiderstehlich komischem Ernste, daß, wenn man derartige
Kleinigkeitsjägerei verspotten wollte, man es nicht witziger thun könnte als
durch den wörtlichen Abdruck dieses seines Berichtes. Welch ein Schwarm
der untergeordnetsten Persönlichkeiten auf diese Weise sich herandrängt, um
im Glänze des Goethischen Namens sich minutenlang zu sonnen und dann
wieder in die Nacht der Vergessenheit zu verschwinden, ersieht man am besten
aus der Thatsache: Zu den 140 Seiten Text, welche die drei Capitel des
Btedermann'schen Buches ausmachen, hat der Verfasser ein Namenverzeichniß
von 32 Seiten hinzugefügt! Wäre es d" nicht vielleicht besser gewesen, das
ganze Buch lieber gleich in lexikalischer Form zu geben? Der Zusammenhang
im Texte ist doch nur ein scheinbarer; Notiz reiht sich an Notiz, Schnitzelan
Schnitzel, und mitunter meint man noch zu sehen, wie die einzelnen Zettelchen
im Manuscript des Verfassers an einander geklebt gewesen sind; so äußerlich
ist der Stoff an einander geschoben.

Daß unter solchen Umständen von künstlerischer Darstellung in dieser
Schrift nicht die Rede sein kann, versteht sich von selbst. Mit etwas mehr
Feile hätte sich die Sache aber doch vielleicht ein wenig geschmackvoller her¬
stellen lassen. Fast das ganze Buch ist in einem nicht sehr erfreulichen
Gemisch von trocknem Notendeutsch, steifhalsigem Uetersen und wiederum
familiärer Ausdrucksweise geschrieben und obendrein verbrämt durch eine alt¬
fränkische Orthographie, wie "Schlußlied", "verdrüßlich", "Gebürge". Anstatt
zu sagen: "wie aus dem und dem Briefe hervorgeht" schreibt Herr V.Bieder¬
mann stets: "in Brief", "laut Briefs" oder noch lieber "besage Briefs",
"besage Mittheilung", "besage der Tag- und Jahreshefte". "Dem Gesuche
wurde gefügt" (anstatt: das Gesuch wurde bewilligt) oder "das Lustspiel mußte
beigelegt werden" (anstatt: bei Seite gelegt) sind auch eben so wenig schöne
Wendungen, wie "ebendortig" und "letzthandig" schöne Wörter sind; und der
fehlerhafte Accusativ "Kurfürst" ist um so auffälliger, da der Verfasser sonst
ja mit so gemüthlichen Genetiven und Dativen wie Carusens, Eckermannen,
Tiecken, Gubitzen, Goethen u. a. äußerst freigebig ist. Kürze ist des Witzes
Seele, sagt zwar Polonius; aber manchmal thut auch allzugroße Kürze
eine fatale komische Wirkung, die nicht beabsichtigt ist, so z. B. wenn der
Verfasser erzählt, daß "Frau von Burgsdorff um ein leidendes Kind, jetzt


Trägt es aber wirklich etwas zu unserem Urtheil über Goethe bei, wenn wir
z. B. erfahren, daß der Schuster, bei welchem der Leipziger Student Goethe
im Jahre 1767 in Dresden wohnte, möglicherweise Engelmann hieß?
Lohnt es der Mühe, um dieses Resultates willen die Dresdner Adreßbücher
des vorigen Jahrhunderts oder wohl gar die Acten der Dresdner Schuhmacher¬
innung zu durchstöbern? Und dabei berichtet der Verfasser über solch eine
Entdeckung mit so unwiderstehlich komischem Ernste, daß, wenn man derartige
Kleinigkeitsjägerei verspotten wollte, man es nicht witziger thun könnte als
durch den wörtlichen Abdruck dieses seines Berichtes. Welch ein Schwarm
der untergeordnetsten Persönlichkeiten auf diese Weise sich herandrängt, um
im Glänze des Goethischen Namens sich minutenlang zu sonnen und dann
wieder in die Nacht der Vergessenheit zu verschwinden, ersieht man am besten
aus der Thatsache: Zu den 140 Seiten Text, welche die drei Capitel des
Btedermann'schen Buches ausmachen, hat der Verfasser ein Namenverzeichniß
von 32 Seiten hinzugefügt! Wäre es d« nicht vielleicht besser gewesen, das
ganze Buch lieber gleich in lexikalischer Form zu geben? Der Zusammenhang
im Texte ist doch nur ein scheinbarer; Notiz reiht sich an Notiz, Schnitzelan
Schnitzel, und mitunter meint man noch zu sehen, wie die einzelnen Zettelchen
im Manuscript des Verfassers an einander geklebt gewesen sind; so äußerlich
ist der Stoff an einander geschoben.

Daß unter solchen Umständen von künstlerischer Darstellung in dieser
Schrift nicht die Rede sein kann, versteht sich von selbst. Mit etwas mehr
Feile hätte sich die Sache aber doch vielleicht ein wenig geschmackvoller her¬
stellen lassen. Fast das ganze Buch ist in einem nicht sehr erfreulichen
Gemisch von trocknem Notendeutsch, steifhalsigem Uetersen und wiederum
familiärer Ausdrucksweise geschrieben und obendrein verbrämt durch eine alt¬
fränkische Orthographie, wie „Schlußlied", „verdrüßlich", „Gebürge". Anstatt
zu sagen: „wie aus dem und dem Briefe hervorgeht" schreibt Herr V.Bieder¬
mann stets: „in Brief", „laut Briefs" oder noch lieber „besage Briefs",
„besage Mittheilung", „besage der Tag- und Jahreshefte". „Dem Gesuche
wurde gefügt" (anstatt: das Gesuch wurde bewilligt) oder „das Lustspiel mußte
beigelegt werden" (anstatt: bei Seite gelegt) sind auch eben so wenig schöne
Wendungen, wie „ebendortig" und „letzthandig" schöne Wörter sind; und der
fehlerhafte Accusativ „Kurfürst" ist um so auffälliger, da der Verfasser sonst
ja mit so gemüthlichen Genetiven und Dativen wie Carusens, Eckermannen,
Tiecken, Gubitzen, Goethen u. a. äußerst freigebig ist. Kürze ist des Witzes
Seele, sagt zwar Polonius; aber manchmal thut auch allzugroße Kürze
eine fatale komische Wirkung, die nicht beabsichtigt ist, so z. B. wenn der
Verfasser erzählt, daß „Frau von Burgsdorff um ein leidendes Kind, jetzt


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[0286] Trägt es aber wirklich etwas zu unserem Urtheil über Goethe bei, wenn wir z. B. erfahren, daß der Schuster, bei welchem der Leipziger Student Goethe im Jahre 1767 in Dresden wohnte, möglicherweise Engelmann hieß? Lohnt es der Mühe, um dieses Resultates willen die Dresdner Adreßbücher des vorigen Jahrhunderts oder wohl gar die Acten der Dresdner Schuhmacher¬ innung zu durchstöbern? Und dabei berichtet der Verfasser über solch eine Entdeckung mit so unwiderstehlich komischem Ernste, daß, wenn man derartige Kleinigkeitsjägerei verspotten wollte, man es nicht witziger thun könnte als durch den wörtlichen Abdruck dieses seines Berichtes. Welch ein Schwarm der untergeordnetsten Persönlichkeiten auf diese Weise sich herandrängt, um im Glänze des Goethischen Namens sich minutenlang zu sonnen und dann wieder in die Nacht der Vergessenheit zu verschwinden, ersieht man am besten aus der Thatsache: Zu den 140 Seiten Text, welche die drei Capitel des Btedermann'schen Buches ausmachen, hat der Verfasser ein Namenverzeichniß von 32 Seiten hinzugefügt! Wäre es d« nicht vielleicht besser gewesen, das ganze Buch lieber gleich in lexikalischer Form zu geben? Der Zusammenhang im Texte ist doch nur ein scheinbarer; Notiz reiht sich an Notiz, Schnitzelan Schnitzel, und mitunter meint man noch zu sehen, wie die einzelnen Zettelchen im Manuscript des Verfassers an einander geklebt gewesen sind; so äußerlich ist der Stoff an einander geschoben. Daß unter solchen Umständen von künstlerischer Darstellung in dieser Schrift nicht die Rede sein kann, versteht sich von selbst. Mit etwas mehr Feile hätte sich die Sache aber doch vielleicht ein wenig geschmackvoller her¬ stellen lassen. Fast das ganze Buch ist in einem nicht sehr erfreulichen Gemisch von trocknem Notendeutsch, steifhalsigem Uetersen und wiederum familiärer Ausdrucksweise geschrieben und obendrein verbrämt durch eine alt¬ fränkische Orthographie, wie „Schlußlied", „verdrüßlich", „Gebürge". Anstatt zu sagen: „wie aus dem und dem Briefe hervorgeht" schreibt Herr V.Bieder¬ mann stets: „in Brief", „laut Briefs" oder noch lieber „besage Briefs", „besage Mittheilung", „besage der Tag- und Jahreshefte". „Dem Gesuche wurde gefügt" (anstatt: das Gesuch wurde bewilligt) oder „das Lustspiel mußte beigelegt werden" (anstatt: bei Seite gelegt) sind auch eben so wenig schöne Wendungen, wie „ebendortig" und „letzthandig" schöne Wörter sind; und der fehlerhafte Accusativ „Kurfürst" ist um so auffälliger, da der Verfasser sonst ja mit so gemüthlichen Genetiven und Dativen wie Carusens, Eckermannen, Tiecken, Gubitzen, Goethen u. a. äußerst freigebig ist. Kürze ist des Witzes Seele, sagt zwar Polonius; aber manchmal thut auch allzugroße Kürze eine fatale komische Wirkung, die nicht beabsichtigt ist, so z. B. wenn der Verfasser erzählt, daß „Frau von Burgsdorff um ein leidendes Kind, jetzt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/286>, abgerufen am 26.06.2024.