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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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schlesische Feldlager, und zum dritten Male auf der Rückreise von da Ende
September desselben Jahres. Sein vierter Aufenthalt fällt in den Sommer
1794, wo er von Dessau aus auf eine Woche nach Dresden kam, der fünfte
in den September 1810, wo er von Teplttz zurückkehrte. Die beiden letzten
Male sah er die Stadt im April und August 1813 auf der Reise nach und
von Teplitz. Von den zahlreichen Persönlichkeiten, mit denen er bei dieser
siebenmaligen, übrigens immer nur auf wenige Tage sich erstreckenden An¬
wesenheit in Berührung kam, sind die hervorragendsten der Galleriedirektor
Hagedorn (1767), der bekannte Kunstfreund Freiherr von Rankwitz, der alte
Körner (1790) und der Maler Kügelgen (1810). Allgemeineres Interesse
bieten in diesem Capitel in den beiden hier zuerst publicirten Briefen an
Körner ein paar Aeußerungen, die sich auf Goethische und Schiller'sche Dich¬
tungen beziehen, und die deshalb hier eine Stelle finden mögen. In dem
einen Briefe vom 22. Juni 1797 schreibt Goethe: "Haben Sie schon etwas
von dem Prolog zum Wallenstein gesehen? Er ist sehr glücklich gerathen und
giebt einen freien Blick in die große und sonderbare Welt, in welcher das
Stück spielen wird". Ueber "Hermann und Dorothea" bemerkt er einen
Monat später: "Lassen Sie sich mein idyllisch-episches Gedicht gefallen. Leider
ist auch dieses wie die meisten meiner Sachen beinah' nur aus dem Stegreife;
meine Tage rollen sich gar zu geschwinde auf, und ich möchte mir die Ehre
anthun, mich mit der Leier des Orpheus zu vergleichen, die nur noch zufällige
Töne von sich giebt, indem sie von den Wellen eilig dem großen Meere zu¬
geschaukelt wird", und über seine in demselben Jahre im Wetteifer mit Schiller
gedichteten Balladen (Zauberlehrling, Braut von Korinth, Gott und Baja¬
dere u. a.) äußert er mit eben so ehrlicher wie treffender Selbstkritik: "Sie
haben durch Schillern erfahren, daß wir uns jetzt im Balladenwesen und
Unwesen herumtreiben. Die seinigen sind ihm, wie Sie schon wissen, sehr
geglückt; ich wünsche, daß die meinigen einigermaßen daneben stehen dürfen:
er ist zu dieser Dichtart in jedem Sinne mehr berufen, als ich."

Im zweiten Capitel "Goethe mit Dresdnern" ist der Begriff "Dresdner"
so dehnbar als möglich gefaßt. Nicht bloß Personen, die zur Zeit ihres
Verkehrs mit Goethe Dresdner waren, sind hier berücksichtigt, sondern auch
solche, die es früher einmal gewesen waren oder später wurden, sind in
großer Anzahl mit herangezogen. Aus der langen Reihe, die auf diese Weise
sich ergiebt, mögen nur hervorgehoben sein: Tieck, Elise v. d. Recke, der
Naturforscher und Mediciner Carus, der Oberhofprediger Reinhard, Graf
Moritz von Brühl, und der Graf und die Gräfin Werthern von Neuen-
Heilingen. Dem letzteren Paar widmet der Verfasser einen längeren Abschnitt,
der eine der interessantem, vielleicht die interessanteste Partie des ganzen Buches
bildet. Wiederholt ist, nach scholl's Vorgange, behauptet worden, daß Graf


schlesische Feldlager, und zum dritten Male auf der Rückreise von da Ende
September desselben Jahres. Sein vierter Aufenthalt fällt in den Sommer
1794, wo er von Dessau aus auf eine Woche nach Dresden kam, der fünfte
in den September 1810, wo er von Teplttz zurückkehrte. Die beiden letzten
Male sah er die Stadt im April und August 1813 auf der Reise nach und
von Teplitz. Von den zahlreichen Persönlichkeiten, mit denen er bei dieser
siebenmaligen, übrigens immer nur auf wenige Tage sich erstreckenden An¬
wesenheit in Berührung kam, sind die hervorragendsten der Galleriedirektor
Hagedorn (1767), der bekannte Kunstfreund Freiherr von Rankwitz, der alte
Körner (1790) und der Maler Kügelgen (1810). Allgemeineres Interesse
bieten in diesem Capitel in den beiden hier zuerst publicirten Briefen an
Körner ein paar Aeußerungen, die sich auf Goethische und Schiller'sche Dich¬
tungen beziehen, und die deshalb hier eine Stelle finden mögen. In dem
einen Briefe vom 22. Juni 1797 schreibt Goethe: „Haben Sie schon etwas
von dem Prolog zum Wallenstein gesehen? Er ist sehr glücklich gerathen und
giebt einen freien Blick in die große und sonderbare Welt, in welcher das
Stück spielen wird". Ueber „Hermann und Dorothea" bemerkt er einen
Monat später: „Lassen Sie sich mein idyllisch-episches Gedicht gefallen. Leider
ist auch dieses wie die meisten meiner Sachen beinah' nur aus dem Stegreife;
meine Tage rollen sich gar zu geschwinde auf, und ich möchte mir die Ehre
anthun, mich mit der Leier des Orpheus zu vergleichen, die nur noch zufällige
Töne von sich giebt, indem sie von den Wellen eilig dem großen Meere zu¬
geschaukelt wird", und über seine in demselben Jahre im Wetteifer mit Schiller
gedichteten Balladen (Zauberlehrling, Braut von Korinth, Gott und Baja¬
dere u. a.) äußert er mit eben so ehrlicher wie treffender Selbstkritik: „Sie
haben durch Schillern erfahren, daß wir uns jetzt im Balladenwesen und
Unwesen herumtreiben. Die seinigen sind ihm, wie Sie schon wissen, sehr
geglückt; ich wünsche, daß die meinigen einigermaßen daneben stehen dürfen:
er ist zu dieser Dichtart in jedem Sinne mehr berufen, als ich."

Im zweiten Capitel „Goethe mit Dresdnern" ist der Begriff „Dresdner"
so dehnbar als möglich gefaßt. Nicht bloß Personen, die zur Zeit ihres
Verkehrs mit Goethe Dresdner waren, sind hier berücksichtigt, sondern auch
solche, die es früher einmal gewesen waren oder später wurden, sind in
großer Anzahl mit herangezogen. Aus der langen Reihe, die auf diese Weise
sich ergiebt, mögen nur hervorgehoben sein: Tieck, Elise v. d. Recke, der
Naturforscher und Mediciner Carus, der Oberhofprediger Reinhard, Graf
Moritz von Brühl, und der Graf und die Gräfin Werthern von Neuen-
Heilingen. Dem letzteren Paar widmet der Verfasser einen längeren Abschnitt,
der eine der interessantem, vielleicht die interessanteste Partie des ganzen Buches
bildet. Wiederholt ist, nach scholl's Vorgange, behauptet worden, daß Graf


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[0284] schlesische Feldlager, und zum dritten Male auf der Rückreise von da Ende September desselben Jahres. Sein vierter Aufenthalt fällt in den Sommer 1794, wo er von Dessau aus auf eine Woche nach Dresden kam, der fünfte in den September 1810, wo er von Teplttz zurückkehrte. Die beiden letzten Male sah er die Stadt im April und August 1813 auf der Reise nach und von Teplitz. Von den zahlreichen Persönlichkeiten, mit denen er bei dieser siebenmaligen, übrigens immer nur auf wenige Tage sich erstreckenden An¬ wesenheit in Berührung kam, sind die hervorragendsten der Galleriedirektor Hagedorn (1767), der bekannte Kunstfreund Freiherr von Rankwitz, der alte Körner (1790) und der Maler Kügelgen (1810). Allgemeineres Interesse bieten in diesem Capitel in den beiden hier zuerst publicirten Briefen an Körner ein paar Aeußerungen, die sich auf Goethische und Schiller'sche Dich¬ tungen beziehen, und die deshalb hier eine Stelle finden mögen. In dem einen Briefe vom 22. Juni 1797 schreibt Goethe: „Haben Sie schon etwas von dem Prolog zum Wallenstein gesehen? Er ist sehr glücklich gerathen und giebt einen freien Blick in die große und sonderbare Welt, in welcher das Stück spielen wird". Ueber „Hermann und Dorothea" bemerkt er einen Monat später: „Lassen Sie sich mein idyllisch-episches Gedicht gefallen. Leider ist auch dieses wie die meisten meiner Sachen beinah' nur aus dem Stegreife; meine Tage rollen sich gar zu geschwinde auf, und ich möchte mir die Ehre anthun, mich mit der Leier des Orpheus zu vergleichen, die nur noch zufällige Töne von sich giebt, indem sie von den Wellen eilig dem großen Meere zu¬ geschaukelt wird", und über seine in demselben Jahre im Wetteifer mit Schiller gedichteten Balladen (Zauberlehrling, Braut von Korinth, Gott und Baja¬ dere u. a.) äußert er mit eben so ehrlicher wie treffender Selbstkritik: „Sie haben durch Schillern erfahren, daß wir uns jetzt im Balladenwesen und Unwesen herumtreiben. Die seinigen sind ihm, wie Sie schon wissen, sehr geglückt; ich wünsche, daß die meinigen einigermaßen daneben stehen dürfen: er ist zu dieser Dichtart in jedem Sinne mehr berufen, als ich." Im zweiten Capitel „Goethe mit Dresdnern" ist der Begriff „Dresdner" so dehnbar als möglich gefaßt. Nicht bloß Personen, die zur Zeit ihres Verkehrs mit Goethe Dresdner waren, sind hier berücksichtigt, sondern auch solche, die es früher einmal gewesen waren oder später wurden, sind in großer Anzahl mit herangezogen. Aus der langen Reihe, die auf diese Weise sich ergiebt, mögen nur hervorgehoben sein: Tieck, Elise v. d. Recke, der Naturforscher und Mediciner Carus, der Oberhofprediger Reinhard, Graf Moritz von Brühl, und der Graf und die Gräfin Werthern von Neuen- Heilingen. Dem letzteren Paar widmet der Verfasser einen längeren Abschnitt, der eine der interessantem, vielleicht die interessanteste Partie des ganzen Buches bildet. Wiederholt ist, nach scholl's Vorgange, behauptet worden, daß Graf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/284>, abgerufen am 26.06.2024.