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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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Damen drangsalirt worden seien, von dem damit verbundenen Bazar zu
kaufen. Verwandte man sich diese Huris in schwarzbraune Hexen und zer¬
lumpte Wilde und ersetze man sich ihre gerundeten Formen mit Verschrumpf-
ungen und knotigen Verrenkungen, ihre weichen Händchen mit narbigen und
scheußlichen Ungestalten und die einschmeichelnde Musik ihrer Stimmen mit
dem mißtönenden Gewirr einer häßlichen Sprache und sehe man dann einmal
zu, wie viel Zögern und Zaudern vor dem Wegkommen einem noch übrig
bleibt. Nein, es ist ganz nett, wenn man sagt, man habe gezögert, und
wenn man daran die tiefen Gedanken hängt, die in unserm Hirn nach dem
Lautwerden rangen, aber es ist die Wahrheit, wenn man sagt, daß man
nicht zögerte, und daß man es unmöglich fand, Gedanken zu haben -- ob¬
wohl es freilich nicht respectabel ist, so etwas zu sagen, und ebenso wenig
poetisch.

Wir denken an den heiligen Stätten selbst nicht, wir denken hinterher
im Bett, wenn das grelle Licht, der Lärm und die Verwirrung verschwunden
find, und wir im Geiste allein die feierlichen Denkmäler der Vergangenheit
wieder besuchen und uns die Gespensterzüge der Zeit, die dahin gegangen ist,
wieder heraufbeschwören."




Ariese aus Belgien.
(Die elfhundertjährige Jubelfeier des heiligen Numvldus zu Mecheln.)

Heute nichts von Politik und von dem Hader der belgischen Parteien.
Diesmal will ich von der herrlichen vlamischen Cavalcade erzählen,
dem großen Nationalfest, das ich in Mecheln mitgemacht habe. Kein Schatten
eines feindseligen Gegensatzes trübte hier, wie sonst wohl bei kirchlichen Pro¬
zessionen, z. B. in Gent, die Festfreude. Ultramontane und Freidenker, Juden,
Christen und Heiden, Holländer, Vlamen, Wallonen, alles wogte hier in
friedlichster Harmonie und in rosigster Stimmung bunt durcheinander. Das
einzige, was man für ein politisches Symptom hätte nehmen können, war
das Nichterscheinen des Erzbischofs bei der Feier. Es hieß, er wäre unpäßlich.
Leute von einiger Divinationsgabe hatten übrigens schon lange vorausgesehen,
daß es so kommen würde. Man hätte ihn auch etwas mehr fragen können,
wie man ein solches Fest arrangirt, und vielleicht hätte die Cavalcade dann
einen weniger weltlichen Anstrich bekommen. Unter den zahllosen Fahnen,
mit denen die Straßen geschmückt waren, bemerkte man recht wenig päpst¬
liche. Fast immer waren es die Landesfarben, die man aufgesteckt hatte.


Damen drangsalirt worden seien, von dem damit verbundenen Bazar zu
kaufen. Verwandte man sich diese Huris in schwarzbraune Hexen und zer¬
lumpte Wilde und ersetze man sich ihre gerundeten Formen mit Verschrumpf-
ungen und knotigen Verrenkungen, ihre weichen Händchen mit narbigen und
scheußlichen Ungestalten und die einschmeichelnde Musik ihrer Stimmen mit
dem mißtönenden Gewirr einer häßlichen Sprache und sehe man dann einmal
zu, wie viel Zögern und Zaudern vor dem Wegkommen einem noch übrig
bleibt. Nein, es ist ganz nett, wenn man sagt, man habe gezögert, und
wenn man daran die tiefen Gedanken hängt, die in unserm Hirn nach dem
Lautwerden rangen, aber es ist die Wahrheit, wenn man sagt, daß man
nicht zögerte, und daß man es unmöglich fand, Gedanken zu haben — ob¬
wohl es freilich nicht respectabel ist, so etwas zu sagen, und ebenso wenig
poetisch.

Wir denken an den heiligen Stätten selbst nicht, wir denken hinterher
im Bett, wenn das grelle Licht, der Lärm und die Verwirrung verschwunden
find, und wir im Geiste allein die feierlichen Denkmäler der Vergangenheit
wieder besuchen und uns die Gespensterzüge der Zeit, die dahin gegangen ist,
wieder heraufbeschwören."




Ariese aus Belgien.
(Die elfhundertjährige Jubelfeier des heiligen Numvldus zu Mecheln.)

Heute nichts von Politik und von dem Hader der belgischen Parteien.
Diesmal will ich von der herrlichen vlamischen Cavalcade erzählen,
dem großen Nationalfest, das ich in Mecheln mitgemacht habe. Kein Schatten
eines feindseligen Gegensatzes trübte hier, wie sonst wohl bei kirchlichen Pro¬
zessionen, z. B. in Gent, die Festfreude. Ultramontane und Freidenker, Juden,
Christen und Heiden, Holländer, Vlamen, Wallonen, alles wogte hier in
friedlichster Harmonie und in rosigster Stimmung bunt durcheinander. Das
einzige, was man für ein politisches Symptom hätte nehmen können, war
das Nichterscheinen des Erzbischofs bei der Feier. Es hieß, er wäre unpäßlich.
Leute von einiger Divinationsgabe hatten übrigens schon lange vorausgesehen,
daß es so kommen würde. Man hätte ihn auch etwas mehr fragen können,
wie man ein solches Fest arrangirt, und vielleicht hätte die Cavalcade dann
einen weniger weltlichen Anstrich bekommen. Unter den zahllosen Fahnen,
mit denen die Straßen geschmückt waren, bemerkte man recht wenig päpst¬
liche. Fast immer waren es die Landesfarben, die man aufgesteckt hatte.


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[0278] Damen drangsalirt worden seien, von dem damit verbundenen Bazar zu kaufen. Verwandte man sich diese Huris in schwarzbraune Hexen und zer¬ lumpte Wilde und ersetze man sich ihre gerundeten Formen mit Verschrumpf- ungen und knotigen Verrenkungen, ihre weichen Händchen mit narbigen und scheußlichen Ungestalten und die einschmeichelnde Musik ihrer Stimmen mit dem mißtönenden Gewirr einer häßlichen Sprache und sehe man dann einmal zu, wie viel Zögern und Zaudern vor dem Wegkommen einem noch übrig bleibt. Nein, es ist ganz nett, wenn man sagt, man habe gezögert, und wenn man daran die tiefen Gedanken hängt, die in unserm Hirn nach dem Lautwerden rangen, aber es ist die Wahrheit, wenn man sagt, daß man nicht zögerte, und daß man es unmöglich fand, Gedanken zu haben — ob¬ wohl es freilich nicht respectabel ist, so etwas zu sagen, und ebenso wenig poetisch. Wir denken an den heiligen Stätten selbst nicht, wir denken hinterher im Bett, wenn das grelle Licht, der Lärm und die Verwirrung verschwunden find, und wir im Geiste allein die feierlichen Denkmäler der Vergangenheit wieder besuchen und uns die Gespensterzüge der Zeit, die dahin gegangen ist, wieder heraufbeschwören." Ariese aus Belgien. (Die elfhundertjährige Jubelfeier des heiligen Numvldus zu Mecheln.) Heute nichts von Politik und von dem Hader der belgischen Parteien. Diesmal will ich von der herrlichen vlamischen Cavalcade erzählen, dem großen Nationalfest, das ich in Mecheln mitgemacht habe. Kein Schatten eines feindseligen Gegensatzes trübte hier, wie sonst wohl bei kirchlichen Pro¬ zessionen, z. B. in Gent, die Festfreude. Ultramontane und Freidenker, Juden, Christen und Heiden, Holländer, Vlamen, Wallonen, alles wogte hier in friedlichster Harmonie und in rosigster Stimmung bunt durcheinander. Das einzige, was man für ein politisches Symptom hätte nehmen können, war das Nichterscheinen des Erzbischofs bei der Feier. Es hieß, er wäre unpäßlich. Leute von einiger Divinationsgabe hatten übrigens schon lange vorausgesehen, daß es so kommen würde. Man hätte ihn auch etwas mehr fragen können, wie man ein solches Fest arrangirt, und vielleicht hätte die Cavalcade dann einen weniger weltlichen Anstrich bekommen. Unter den zahllosen Fahnen, mit denen die Straßen geschmückt waren, bemerkte man recht wenig päpst¬ liche. Fast immer waren es die Landesfarben, die man aufgesteckt hatte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/278>, abgerufen am 26.06.2024.