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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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Manschetten wie eine Schildkröte. Meine erste Regung war, vorwärts zu
sprengen und die Beduinen umzubringen. Meine zweite war, nach rückwärts
zu sprengen, um zu sehen, ob etwa welche von ihnen aus dieser Richtung
kämen. Ich handelte nach der letzteren Regung. Dasselbe thaten alle Andern.
Wenn irgendwelche Beduinen sich damals von dieser Seite der Windrose ge¬
nähert hätten, so würden sie für ihre Tollkühnheit sehr übel gefahren sein.
Wir bemerkten das späterhin alle. Es würde da ein Schauspiel des Aufruhrs
und des Blutvergießens gegeben haben, das keine Feder zu beschreiben im
Stande wäre. Ich weiß das, weil jedermann sagte, was er für seine Person
gethan haben würde, und ein solches Gemisch von seltsamen und unerhörten
Erfindungen grausamer Gemüther kam da zusammen, daß der Leser es gar
nicht begreifen würde, wenn ich ihm Alles erzählen wollte. Einer sagte, er
hätte kaltblütig den Entschluß gefaßt, wenn es Noth thäte, aus der Stelle,
wo er stände, zu sterben, aber nie auch nur einen Zoll breit zurückzuweichen.
Er hätte mit tödtlicher Geduld gewartet, bis er die Streifen auf der Jacke
des ersten Beduinen zählen könne, und dann sie gezählt und ihm sein Theil
gegeben. Ein Anderer wollte stillsitzen, bis die erste Lanze bis auf einen Zoll
vor seine Brust reichte, dann ihr ausweichen und sie packen. Ich unterlasse
zu berichten, was er mit dem Beduinen machen wollte, dem sie gehörte. Das
Blut gerinnt mir in den Adern, wenn ich nur daran denke. Wieder ein
Anderer wollte die Beduinen, die auf seinen Theil fielen, skalpiren und seine
kahlköpfigen Wüstensohne als lebendige Trophäen mit heimnehmen. Aber
der wildäugige Rhapsode der Pilger verhielt sich schweigend. Seine Augen
leuchteten von verhängnißvollen Feuer, aber seine Lippen regten sich nicht. Die
Angst wuchs, und er wurde gefragt. Wenn er einen Beduinen beim Kragen
gekriegt hätte, was würde er ihm gethan haben? Todt geschossen? -- Er
lächelte ein Lächeln grimmer Verachtung und schüttelte sein Haupt. -- Würde
er ihn erstochen haben? -- Wieder ein Kopfschütteln. Würde er ihn gevier¬
theilt -- geschunden haben? -- wieder Kopfschütteln und abermals Kopf¬
schütteln. -- O Entsetzen! Was würde er denn mit ihm vorgenommen haben?
-- Gegessen würde ich ihn haben!

So lautete der furchtbare Spruch, der seinen Lippen entfuhr. Was für
ein verzweifelter Mensch! Ich war von Herzen froh, daß es mir erspart
worden war, diesen Scenen ruchlosen Gemetzels beizuwohnen. Keine Beduinen
griffen unsre schreckliche Nachhut an, und keine den Bortrab. Die neuen
Ankömmlinge waren nur eine Verstärkung von halbverhungerter Arabern in
Hemden und bloßen Beinen, die uns weit vorausgesandt worden waren, um
rostige Flinten zu schwingen, zu brüllen und zu bramarbasiren wie Verrückte,
um auf diese Weise alle Banden von marodirenden Beduinen zu verscheuchen,
die auf unserm Pfade lauern möchten.


Manschetten wie eine Schildkröte. Meine erste Regung war, vorwärts zu
sprengen und die Beduinen umzubringen. Meine zweite war, nach rückwärts
zu sprengen, um zu sehen, ob etwa welche von ihnen aus dieser Richtung
kämen. Ich handelte nach der letzteren Regung. Dasselbe thaten alle Andern.
Wenn irgendwelche Beduinen sich damals von dieser Seite der Windrose ge¬
nähert hätten, so würden sie für ihre Tollkühnheit sehr übel gefahren sein.
Wir bemerkten das späterhin alle. Es würde da ein Schauspiel des Aufruhrs
und des Blutvergießens gegeben haben, das keine Feder zu beschreiben im
Stande wäre. Ich weiß das, weil jedermann sagte, was er für seine Person
gethan haben würde, und ein solches Gemisch von seltsamen und unerhörten
Erfindungen grausamer Gemüther kam da zusammen, daß der Leser es gar
nicht begreifen würde, wenn ich ihm Alles erzählen wollte. Einer sagte, er
hätte kaltblütig den Entschluß gefaßt, wenn es Noth thäte, aus der Stelle,
wo er stände, zu sterben, aber nie auch nur einen Zoll breit zurückzuweichen.
Er hätte mit tödtlicher Geduld gewartet, bis er die Streifen auf der Jacke
des ersten Beduinen zählen könne, und dann sie gezählt und ihm sein Theil
gegeben. Ein Anderer wollte stillsitzen, bis die erste Lanze bis auf einen Zoll
vor seine Brust reichte, dann ihr ausweichen und sie packen. Ich unterlasse
zu berichten, was er mit dem Beduinen machen wollte, dem sie gehörte. Das
Blut gerinnt mir in den Adern, wenn ich nur daran denke. Wieder ein
Anderer wollte die Beduinen, die auf seinen Theil fielen, skalpiren und seine
kahlköpfigen Wüstensohne als lebendige Trophäen mit heimnehmen. Aber
der wildäugige Rhapsode der Pilger verhielt sich schweigend. Seine Augen
leuchteten von verhängnißvollen Feuer, aber seine Lippen regten sich nicht. Die
Angst wuchs, und er wurde gefragt. Wenn er einen Beduinen beim Kragen
gekriegt hätte, was würde er ihm gethan haben? Todt geschossen? — Er
lächelte ein Lächeln grimmer Verachtung und schüttelte sein Haupt. — Würde
er ihn erstochen haben? — Wieder ein Kopfschütteln. Würde er ihn gevier¬
theilt — geschunden haben? — wieder Kopfschütteln und abermals Kopf¬
schütteln. — O Entsetzen! Was würde er denn mit ihm vorgenommen haben?
— Gegessen würde ich ihn haben!

So lautete der furchtbare Spruch, der seinen Lippen entfuhr. Was für
ein verzweifelter Mensch! Ich war von Herzen froh, daß es mir erspart
worden war, diesen Scenen ruchlosen Gemetzels beizuwohnen. Keine Beduinen
griffen unsre schreckliche Nachhut an, und keine den Bortrab. Die neuen
Ankömmlinge waren nur eine Verstärkung von halbverhungerter Arabern in
Hemden und bloßen Beinen, die uns weit vorausgesandt worden waren, um
rostige Flinten zu schwingen, zu brüllen und zu bramarbasiren wie Verrückte,
um auf diese Weise alle Banden von marodirenden Beduinen zu verscheuchen,
die auf unserm Pfade lauern möchten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/276>, abgerufen am 26.06.2024.