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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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ihre starke Zahl und ihre imposante Entwickelung von Kriegsmaterial sie vor
gänzlicher Vernichtung bewahrt hatten. . . Hier war Holland in Nöthen.
Aber was würde der Leser gethan haben, wo die Pferde vor der Thür stan¬
den und alle Welt wußte, zu welchem Zwecke sie da waren? Würde er ein¬
gestanden haben, daß er Angst habe, und schmählich zurückgetreten sein?
Schwerlich. Es würde gegen die menschliche Natur gewesen sein, wo so viele
Frauen dabei waren. Er würde gethan haben, was wir thaten, er würde
gesagt haben, daß er sich selbst vor einer Million Beduinen nicht fürchte --
sein Testament gemacht und sich in der Stille vorgenommen haben, eine nicht
auffällige Stelle in der Nachhut der Procession einzunehmen.

Ich glaube, wir entschlossen uns damals alle, diese Taktik zu befolgen;
denn es schien wirklich, als ob wir nie nach Jericho gelangen sollten. Ich
hatte ein notorisch langsames Pferd, aber ich weiß nicht, wie es kam, niemals
konnte ich es so einrichten, daß es bei der Nachhut blieb, und wenn es mir
den Hals gekostet hätte. Ewig war es wieder an der Spitze des Zuges. In
solchen Fällen zitterte ich ein Bischen und stieg ab, um meinen Sattel anders
zu schnallen. Aber es nutzte mir gar nichts. Die Andern stiegen alle eben¬
falls ab, um ihre Sättel anders zu schnallen. Nie sah ich einen solchen
Eifer, das Pferd anders zu satteln. Es war das erste Mal in drei Wochen,
daß einer der Sättel in Unordnung gerieth, und jetzt waren sie alle auf
einmal verdorben. Ich versuchte es mit Gehen -- der Bewegung wegen;
denn ich hatte in Jerusalem beim Aufsuchen von hundert heiligen Stätten
nicht genug gehabt. Aber auch das mißglückte. Die ganze Bande litt vom
Mangel an Bewegung, und es dauerte keine fünfzehn Minuten, so waren
sie alle miteinander zu Fuße, und ich hatte wieder die Führung. Es war
sehr entmuthigend. -- Dies geschah alles, nachdem wir über Bethanien hinaus
waren .... Von einem Berggipfel hatten wir hier einen Blick auf das
todte Meer, das wie ein blauer Schild in der Ebene des Jordan lag, und
jetzt marschirten wir eine enge, flammende, öde, zerklüftete Schlucht hinab,
wo kein lebendes Wesen sich des Daseins erfreuen konnte, ausgenommen
vielleicht ein Salamander. Es war eine solche traurige, abstoßende, furchtbare
Einöde! Es war die Wüste, in welcher Johannes predigte mit Kameelhaar
um seine Lenden -- Bekleidung genug, aber unmöglich konnte er sich hier
seine Heuschrecken und seinen wilden Honig verschaffen, noch auch eine Gemeinde,
die ihm zuhörte, sollte man denken. Mürrisch ritten wir hinab, durch diesen
fürchterlichen Paß -- jedermann in der Nachhut. Unsre Eskorte, zwei
prachtvolle junge arabische Scheichs, die ganze Ladungen von Säbeln.
Flinten, Pistolen und Dolchen an Bord hatten, trottelten träg voraus.

Beduinen!

Jedermann schrumpfte zusammen und verschwand in Hemdkragen und


ihre starke Zahl und ihre imposante Entwickelung von Kriegsmaterial sie vor
gänzlicher Vernichtung bewahrt hatten. . . Hier war Holland in Nöthen.
Aber was würde der Leser gethan haben, wo die Pferde vor der Thür stan¬
den und alle Welt wußte, zu welchem Zwecke sie da waren? Würde er ein¬
gestanden haben, daß er Angst habe, und schmählich zurückgetreten sein?
Schwerlich. Es würde gegen die menschliche Natur gewesen sein, wo so viele
Frauen dabei waren. Er würde gethan haben, was wir thaten, er würde
gesagt haben, daß er sich selbst vor einer Million Beduinen nicht fürchte —
sein Testament gemacht und sich in der Stille vorgenommen haben, eine nicht
auffällige Stelle in der Nachhut der Procession einzunehmen.

Ich glaube, wir entschlossen uns damals alle, diese Taktik zu befolgen;
denn es schien wirklich, als ob wir nie nach Jericho gelangen sollten. Ich
hatte ein notorisch langsames Pferd, aber ich weiß nicht, wie es kam, niemals
konnte ich es so einrichten, daß es bei der Nachhut blieb, und wenn es mir
den Hals gekostet hätte. Ewig war es wieder an der Spitze des Zuges. In
solchen Fällen zitterte ich ein Bischen und stieg ab, um meinen Sattel anders
zu schnallen. Aber es nutzte mir gar nichts. Die Andern stiegen alle eben¬
falls ab, um ihre Sättel anders zu schnallen. Nie sah ich einen solchen
Eifer, das Pferd anders zu satteln. Es war das erste Mal in drei Wochen,
daß einer der Sättel in Unordnung gerieth, und jetzt waren sie alle auf
einmal verdorben. Ich versuchte es mit Gehen — der Bewegung wegen;
denn ich hatte in Jerusalem beim Aufsuchen von hundert heiligen Stätten
nicht genug gehabt. Aber auch das mißglückte. Die ganze Bande litt vom
Mangel an Bewegung, und es dauerte keine fünfzehn Minuten, so waren
sie alle miteinander zu Fuße, und ich hatte wieder die Führung. Es war
sehr entmuthigend. — Dies geschah alles, nachdem wir über Bethanien hinaus
waren .... Von einem Berggipfel hatten wir hier einen Blick auf das
todte Meer, das wie ein blauer Schild in der Ebene des Jordan lag, und
jetzt marschirten wir eine enge, flammende, öde, zerklüftete Schlucht hinab,
wo kein lebendes Wesen sich des Daseins erfreuen konnte, ausgenommen
vielleicht ein Salamander. Es war eine solche traurige, abstoßende, furchtbare
Einöde! Es war die Wüste, in welcher Johannes predigte mit Kameelhaar
um seine Lenden — Bekleidung genug, aber unmöglich konnte er sich hier
seine Heuschrecken und seinen wilden Honig verschaffen, noch auch eine Gemeinde,
die ihm zuhörte, sollte man denken. Mürrisch ritten wir hinab, durch diesen
fürchterlichen Paß — jedermann in der Nachhut. Unsre Eskorte, zwei
prachtvolle junge arabische Scheichs, die ganze Ladungen von Säbeln.
Flinten, Pistolen und Dolchen an Bord hatten, trottelten träg voraus.

Beduinen!

Jedermann schrumpfte zusammen und verschwand in Hemdkragen und


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[0275] ihre starke Zahl und ihre imposante Entwickelung von Kriegsmaterial sie vor gänzlicher Vernichtung bewahrt hatten. . . Hier war Holland in Nöthen. Aber was würde der Leser gethan haben, wo die Pferde vor der Thür stan¬ den und alle Welt wußte, zu welchem Zwecke sie da waren? Würde er ein¬ gestanden haben, daß er Angst habe, und schmählich zurückgetreten sein? Schwerlich. Es würde gegen die menschliche Natur gewesen sein, wo so viele Frauen dabei waren. Er würde gethan haben, was wir thaten, er würde gesagt haben, daß er sich selbst vor einer Million Beduinen nicht fürchte — sein Testament gemacht und sich in der Stille vorgenommen haben, eine nicht auffällige Stelle in der Nachhut der Procession einzunehmen. Ich glaube, wir entschlossen uns damals alle, diese Taktik zu befolgen; denn es schien wirklich, als ob wir nie nach Jericho gelangen sollten. Ich hatte ein notorisch langsames Pferd, aber ich weiß nicht, wie es kam, niemals konnte ich es so einrichten, daß es bei der Nachhut blieb, und wenn es mir den Hals gekostet hätte. Ewig war es wieder an der Spitze des Zuges. In solchen Fällen zitterte ich ein Bischen und stieg ab, um meinen Sattel anders zu schnallen. Aber es nutzte mir gar nichts. Die Andern stiegen alle eben¬ falls ab, um ihre Sättel anders zu schnallen. Nie sah ich einen solchen Eifer, das Pferd anders zu satteln. Es war das erste Mal in drei Wochen, daß einer der Sättel in Unordnung gerieth, und jetzt waren sie alle auf einmal verdorben. Ich versuchte es mit Gehen — der Bewegung wegen; denn ich hatte in Jerusalem beim Aufsuchen von hundert heiligen Stätten nicht genug gehabt. Aber auch das mißglückte. Die ganze Bande litt vom Mangel an Bewegung, und es dauerte keine fünfzehn Minuten, so waren sie alle miteinander zu Fuße, und ich hatte wieder die Führung. Es war sehr entmuthigend. — Dies geschah alles, nachdem wir über Bethanien hinaus waren .... Von einem Berggipfel hatten wir hier einen Blick auf das todte Meer, das wie ein blauer Schild in der Ebene des Jordan lag, und jetzt marschirten wir eine enge, flammende, öde, zerklüftete Schlucht hinab, wo kein lebendes Wesen sich des Daseins erfreuen konnte, ausgenommen vielleicht ein Salamander. Es war eine solche traurige, abstoßende, furchtbare Einöde! Es war die Wüste, in welcher Johannes predigte mit Kameelhaar um seine Lenden — Bekleidung genug, aber unmöglich konnte er sich hier seine Heuschrecken und seinen wilden Honig verschaffen, noch auch eine Gemeinde, die ihm zuhörte, sollte man denken. Mürrisch ritten wir hinab, durch diesen fürchterlichen Paß — jedermann in der Nachhut. Unsre Eskorte, zwei prachtvolle junge arabische Scheichs, die ganze Ladungen von Säbeln. Flinten, Pistolen und Dolchen an Bord hatten, trottelten träg voraus. Beduinen! Jedermann schrumpfte zusammen und verschwand in Hemdkragen und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/275>, abgerufen am 26.06.2024.