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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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wurde unser Humorist inne, daß er auch ein Sterblicher war wie Grimes.
Lassen wir ihn dies selbst erzählen:

"Das Grab Adams! Wie rührend war es, hier, in einem Lande frem¬
der Menschen, fern von der Heimath und den Freunden und allen, die sich
um mich kümmerten, auf diese Art das Grab eines Blutsverwandten zu
entdecken! Zwar eines entfernten, aber immerhin eines Verwandten. Der
nie irrende Instinct der Natur durchzuckte mich und führte mich so dazu,
daß ich ihn erkannte. Der Quell meiner kindlichen Liebe wurde bis zu seinen
tiefsten Tiefen aufgerührt, und ich überließ mich einem stürmischen Ausbruche
meiner Empfindungen. Edler, alter Mann! so rief ich -- er erlebte es nicht,
mich zu sehen -- er erlebte es nicht, sein Kind zu sehen. Und ich -- ach!
auch ich lebte nicht so, daß ich ihn sehen konnte. niedergebeugt von Kummer
und Enttäuschung starb er, bevor ich geboren wurde -- sechstausend kurze
Sommer, bevor ich geboren wurde. -- Ich lehnte mich an einen Pfeiler und
brach in Thränen aus. Ich halte es für keine Schande, über dem Grabe
meines armen verstorbenen Verwandten geweint zu haben. Möge der, welcher
zu meiner Rührung die Nase rümpft, diesen Band hier zu schlagen; denn er
wird in meinen Reisen durch das heilige Land wenig finden, was seinem
Geschmacke zusagt." . . .

Im Folgenden eine andere Probe des Humors, der unsern amerikanischen
Freund auf seiner Reise begleitet. Die Reisenden haben beschlossen, einen
Ausflug nach dem Jordan und dem Todten Meere zu machen. Aber die
Sache ist gefährlich. "Es herrschte Aufregung in Jerusalem. Allenthalben
flogen Gerüchte von Krieg und Blutvergießen herum. Die gesetzfeindlichen
Beduinen des Jordanthales und der Wüsten unten am Todten Meere hatten
sich in Waffen erhoben und waren im Begriffe, alle Ankömmlinge umzubringen.
Sie hatten ein Gefecht mit einem Trupp türkischer Reiter gehabt und sie in
die Flucht geschlagen, wobei mehrere Mann getödtet worden waren. Sie
hatten die Bewohner eines Dorfes und eine türkische Besatzung in einem
alten Fort bei Jericho eingeschlossen und belagerten sie. Sie waren gegen
ein Lager von Leuten, die zu unserer Excursion gehörten, gezogen, das am
Jordan aufgeschlagen war, und die Pilger hatten ihr Leben nur dadurch
gerettet, daß sie sich davon geschlichen hatten und unter Peitschen und Sporen
in der Dunkelheit der Nacht nach Jerusalem geflohen waren. Auf eine
andere von unsern Gesellschaften war aus dem Hinterhalt gefeuert worden,
worauf man am hellen Tage einen Angriff auf sie gemacht hatte. Auf beiden
Seiten wurden Schüsse abgefeuert. Glücklicher Weise kam es dabei zu keinem
Blutvergießen. Wir sprachen mit demselben Pilgrim, der einen der Schüsse
abgefeuert hatte, und erfuhren von seinen eignen Lippen, daß in dieser ganz
nahe über ihnen schwebenden Gefahr nur der kaltblütige Muth der Pilger,


wurde unser Humorist inne, daß er auch ein Sterblicher war wie Grimes.
Lassen wir ihn dies selbst erzählen:

„Das Grab Adams! Wie rührend war es, hier, in einem Lande frem¬
der Menschen, fern von der Heimath und den Freunden und allen, die sich
um mich kümmerten, auf diese Art das Grab eines Blutsverwandten zu
entdecken! Zwar eines entfernten, aber immerhin eines Verwandten. Der
nie irrende Instinct der Natur durchzuckte mich und führte mich so dazu,
daß ich ihn erkannte. Der Quell meiner kindlichen Liebe wurde bis zu seinen
tiefsten Tiefen aufgerührt, und ich überließ mich einem stürmischen Ausbruche
meiner Empfindungen. Edler, alter Mann! so rief ich — er erlebte es nicht,
mich zu sehen — er erlebte es nicht, sein Kind zu sehen. Und ich — ach!
auch ich lebte nicht so, daß ich ihn sehen konnte. niedergebeugt von Kummer
und Enttäuschung starb er, bevor ich geboren wurde — sechstausend kurze
Sommer, bevor ich geboren wurde. — Ich lehnte mich an einen Pfeiler und
brach in Thränen aus. Ich halte es für keine Schande, über dem Grabe
meines armen verstorbenen Verwandten geweint zu haben. Möge der, welcher
zu meiner Rührung die Nase rümpft, diesen Band hier zu schlagen; denn er
wird in meinen Reisen durch das heilige Land wenig finden, was seinem
Geschmacke zusagt." . . .

Im Folgenden eine andere Probe des Humors, der unsern amerikanischen
Freund auf seiner Reise begleitet. Die Reisenden haben beschlossen, einen
Ausflug nach dem Jordan und dem Todten Meere zu machen. Aber die
Sache ist gefährlich. „Es herrschte Aufregung in Jerusalem. Allenthalben
flogen Gerüchte von Krieg und Blutvergießen herum. Die gesetzfeindlichen
Beduinen des Jordanthales und der Wüsten unten am Todten Meere hatten
sich in Waffen erhoben und waren im Begriffe, alle Ankömmlinge umzubringen.
Sie hatten ein Gefecht mit einem Trupp türkischer Reiter gehabt und sie in
die Flucht geschlagen, wobei mehrere Mann getödtet worden waren. Sie
hatten die Bewohner eines Dorfes und eine türkische Besatzung in einem
alten Fort bei Jericho eingeschlossen und belagerten sie. Sie waren gegen
ein Lager von Leuten, die zu unserer Excursion gehörten, gezogen, das am
Jordan aufgeschlagen war, und die Pilger hatten ihr Leben nur dadurch
gerettet, daß sie sich davon geschlichen hatten und unter Peitschen und Sporen
in der Dunkelheit der Nacht nach Jerusalem geflohen waren. Auf eine
andere von unsern Gesellschaften war aus dem Hinterhalt gefeuert worden,
worauf man am hellen Tage einen Angriff auf sie gemacht hatte. Auf beiden
Seiten wurden Schüsse abgefeuert. Glücklicher Weise kam es dabei zu keinem
Blutvergießen. Wir sprachen mit demselben Pilgrim, der einen der Schüsse
abgefeuert hatte, und erfuhren von seinen eignen Lippen, daß in dieser ganz
nahe über ihnen schwebenden Gefahr nur der kaltblütige Muth der Pilger,


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[0274] wurde unser Humorist inne, daß er auch ein Sterblicher war wie Grimes. Lassen wir ihn dies selbst erzählen: „Das Grab Adams! Wie rührend war es, hier, in einem Lande frem¬ der Menschen, fern von der Heimath und den Freunden und allen, die sich um mich kümmerten, auf diese Art das Grab eines Blutsverwandten zu entdecken! Zwar eines entfernten, aber immerhin eines Verwandten. Der nie irrende Instinct der Natur durchzuckte mich und führte mich so dazu, daß ich ihn erkannte. Der Quell meiner kindlichen Liebe wurde bis zu seinen tiefsten Tiefen aufgerührt, und ich überließ mich einem stürmischen Ausbruche meiner Empfindungen. Edler, alter Mann! so rief ich — er erlebte es nicht, mich zu sehen — er erlebte es nicht, sein Kind zu sehen. Und ich — ach! auch ich lebte nicht so, daß ich ihn sehen konnte. niedergebeugt von Kummer und Enttäuschung starb er, bevor ich geboren wurde — sechstausend kurze Sommer, bevor ich geboren wurde. — Ich lehnte mich an einen Pfeiler und brach in Thränen aus. Ich halte es für keine Schande, über dem Grabe meines armen verstorbenen Verwandten geweint zu haben. Möge der, welcher zu meiner Rührung die Nase rümpft, diesen Band hier zu schlagen; denn er wird in meinen Reisen durch das heilige Land wenig finden, was seinem Geschmacke zusagt." . . . Im Folgenden eine andere Probe des Humors, der unsern amerikanischen Freund auf seiner Reise begleitet. Die Reisenden haben beschlossen, einen Ausflug nach dem Jordan und dem Todten Meere zu machen. Aber die Sache ist gefährlich. „Es herrschte Aufregung in Jerusalem. Allenthalben flogen Gerüchte von Krieg und Blutvergießen herum. Die gesetzfeindlichen Beduinen des Jordanthales und der Wüsten unten am Todten Meere hatten sich in Waffen erhoben und waren im Begriffe, alle Ankömmlinge umzubringen. Sie hatten ein Gefecht mit einem Trupp türkischer Reiter gehabt und sie in die Flucht geschlagen, wobei mehrere Mann getödtet worden waren. Sie hatten die Bewohner eines Dorfes und eine türkische Besatzung in einem alten Fort bei Jericho eingeschlossen und belagerten sie. Sie waren gegen ein Lager von Leuten, die zu unserer Excursion gehörten, gezogen, das am Jordan aufgeschlagen war, und die Pilger hatten ihr Leben nur dadurch gerettet, daß sie sich davon geschlichen hatten und unter Peitschen und Sporen in der Dunkelheit der Nacht nach Jerusalem geflohen waren. Auf eine andere von unsern Gesellschaften war aus dem Hinterhalt gefeuert worden, worauf man am hellen Tage einen Angriff auf sie gemacht hatte. Auf beiden Seiten wurden Schüsse abgefeuert. Glücklicher Weise kam es dabei zu keinem Blutvergießen. Wir sprachen mit demselben Pilgrim, der einen der Schüsse abgefeuert hatte, und erfuhren von seinen eignen Lippen, daß in dieser ganz nahe über ihnen schwebenden Gefahr nur der kaltblütige Muth der Pilger,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/274>, abgerufen am 26.06.2024.