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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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Burg Banias bis zu dem Eichenhain in gestrecktem Galopp hinab, wobei sein
Roß "bei jedem Satze dreißig Fuß zurücklegte". Sein Kritiker ist bereit, dreißig
zuverlässige Zeugen beizubringen, um darzuthun, daß Putnams berühmter
Sprung zu Horseneck hiermit verglichen Kleinigkeinigkeit war", und wir fügen
hinzu, daß Seidlitz und der Ritter Harras diesem Tausendsassa im Sattel
ebenfalls kaum das Wasser reichen.

Man sehe sich diesen Musterpilgrim an, wie er, immer theatralisch, dies¬
mal aber aus Unachtsamkeit ohne die Hand an der Pistole zu haben, einen
Blick auf Jerusalem thut: "Ich stand auf der Straße, meine Hand auf dem
Halse meines Pferdes, und suchte mit meinen trüben Augen die Umrisse der
heiligen Stätten zu verfolgen, die ich lange vorher schon in meiner Seele
fixirt hatte, aber die rasch hervorbrechenden Thränen ließen es mir nicht ge¬
lingen. Neben mir befanden sich unsre muhammedanischen Diener, ein latei¬
nischer Mönch, zwei Armenier und ein Jude von unserm Gefolge, und alle
miteinander blickten mit überströmenden Augen hin." -- "Wenn lateinische
Mönche und Araber weinten", bemerkt Mark Twain hierzu, "so bin ich
fest überzeugt, daß auch die Pferde geweint haben, und so ist das Bild voll¬
ständig."

Grimes ist ein weiches Gemüth, aber wenn die Nothwendigkeit es ver¬
langt , so kann er auch so fest und hart wie Diamant sein. Im Libanon-
thale stiehlt ihm ein arabischer Knabe, ein Christ -- er beeilt sich, zu erklären,
daß Muhammedaner nie stehlen -- für elende zehn Dollars Pulver und
Blei. Er überführt ihn dessen vor einem Scheich und sieht zu, wie er mit
der fürchterlichen Bastonade bestraft wird. Hören wir ihn darüber:

"Er (der Knabe Musa) lag so geschwind, wie man mit den Augen
blinzelt, auf dem Rücken, heulend, brüllend, kreischend, aber er wurde auf den
Vorplatz vor der Thür hinausgetragen, wo wir der Operation zusehen konnten,
und mit dem Gesicht der Erde zugekehrt hingelegt. Ein Mann setzte sich
ihm auf den Rücken und einer auf seine Beine, und der letztere hielt seine
Füße in die Höhe, während der dritte ihm auf seine bloßen Fußsohlen mit
einer Karbatsche aus Nilpferdhaut, die bei jedem Schritte durch die Luft pfiff,
Hiebe aufzählte. Der arme Morerigst war in Todesängsten, und Rama und
Rama Nummer Zwei (Mutter und Schwester von Musa) lagen auf ihren
Gesichtern, bettelten und heulten und umschlangen bald meine, bald Whitelys
Knie, während der Bruder draußen die Luft von Geschrei widerhallen ließ,
welches lauter als das Musa's war. Selbst Jusef kam und bat mich knie¬
fällig, Erbarmen zu haben, und zuletzt flehte sogar Batuni den Chowadscht
an, Mitleid mit dem Kerl zu haben". Dem aber fiel das nicht ein. Die
Bestrafung wurde nach dem fünfzehnten Hiebe "aufgeschoben", um
die Beichte des armen Sünders zu hören. Dann ritten Grimes und verließen


Burg Banias bis zu dem Eichenhain in gestrecktem Galopp hinab, wobei sein
Roß „bei jedem Satze dreißig Fuß zurücklegte". Sein Kritiker ist bereit, dreißig
zuverlässige Zeugen beizubringen, um darzuthun, daß Putnams berühmter
Sprung zu Horseneck hiermit verglichen Kleinigkeinigkeit war", und wir fügen
hinzu, daß Seidlitz und der Ritter Harras diesem Tausendsassa im Sattel
ebenfalls kaum das Wasser reichen.

Man sehe sich diesen Musterpilgrim an, wie er, immer theatralisch, dies¬
mal aber aus Unachtsamkeit ohne die Hand an der Pistole zu haben, einen
Blick auf Jerusalem thut: „Ich stand auf der Straße, meine Hand auf dem
Halse meines Pferdes, und suchte mit meinen trüben Augen die Umrisse der
heiligen Stätten zu verfolgen, die ich lange vorher schon in meiner Seele
fixirt hatte, aber die rasch hervorbrechenden Thränen ließen es mir nicht ge¬
lingen. Neben mir befanden sich unsre muhammedanischen Diener, ein latei¬
nischer Mönch, zwei Armenier und ein Jude von unserm Gefolge, und alle
miteinander blickten mit überströmenden Augen hin." — „Wenn lateinische
Mönche und Araber weinten", bemerkt Mark Twain hierzu, „so bin ich
fest überzeugt, daß auch die Pferde geweint haben, und so ist das Bild voll¬
ständig."

Grimes ist ein weiches Gemüth, aber wenn die Nothwendigkeit es ver¬
langt , so kann er auch so fest und hart wie Diamant sein. Im Libanon-
thale stiehlt ihm ein arabischer Knabe, ein Christ — er beeilt sich, zu erklären,
daß Muhammedaner nie stehlen — für elende zehn Dollars Pulver und
Blei. Er überführt ihn dessen vor einem Scheich und sieht zu, wie er mit
der fürchterlichen Bastonade bestraft wird. Hören wir ihn darüber:

„Er (der Knabe Musa) lag so geschwind, wie man mit den Augen
blinzelt, auf dem Rücken, heulend, brüllend, kreischend, aber er wurde auf den
Vorplatz vor der Thür hinausgetragen, wo wir der Operation zusehen konnten,
und mit dem Gesicht der Erde zugekehrt hingelegt. Ein Mann setzte sich
ihm auf den Rücken und einer auf seine Beine, und der letztere hielt seine
Füße in die Höhe, während der dritte ihm auf seine bloßen Fußsohlen mit
einer Karbatsche aus Nilpferdhaut, die bei jedem Schritte durch die Luft pfiff,
Hiebe aufzählte. Der arme Morerigst war in Todesängsten, und Rama und
Rama Nummer Zwei (Mutter und Schwester von Musa) lagen auf ihren
Gesichtern, bettelten und heulten und umschlangen bald meine, bald Whitelys
Knie, während der Bruder draußen die Luft von Geschrei widerhallen ließ,
welches lauter als das Musa's war. Selbst Jusef kam und bat mich knie¬
fällig, Erbarmen zu haben, und zuletzt flehte sogar Batuni den Chowadscht
an, Mitleid mit dem Kerl zu haben". Dem aber fiel das nicht ein. Die
Bestrafung wurde nach dem fünfzehnten Hiebe „aufgeschoben", um
die Beichte des armen Sünders zu hören. Dann ritten Grimes und verließen


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[0272] Burg Banias bis zu dem Eichenhain in gestrecktem Galopp hinab, wobei sein Roß „bei jedem Satze dreißig Fuß zurücklegte". Sein Kritiker ist bereit, dreißig zuverlässige Zeugen beizubringen, um darzuthun, daß Putnams berühmter Sprung zu Horseneck hiermit verglichen Kleinigkeinigkeit war", und wir fügen hinzu, daß Seidlitz und der Ritter Harras diesem Tausendsassa im Sattel ebenfalls kaum das Wasser reichen. Man sehe sich diesen Musterpilgrim an, wie er, immer theatralisch, dies¬ mal aber aus Unachtsamkeit ohne die Hand an der Pistole zu haben, einen Blick auf Jerusalem thut: „Ich stand auf der Straße, meine Hand auf dem Halse meines Pferdes, und suchte mit meinen trüben Augen die Umrisse der heiligen Stätten zu verfolgen, die ich lange vorher schon in meiner Seele fixirt hatte, aber die rasch hervorbrechenden Thränen ließen es mir nicht ge¬ lingen. Neben mir befanden sich unsre muhammedanischen Diener, ein latei¬ nischer Mönch, zwei Armenier und ein Jude von unserm Gefolge, und alle miteinander blickten mit überströmenden Augen hin." — „Wenn lateinische Mönche und Araber weinten", bemerkt Mark Twain hierzu, „so bin ich fest überzeugt, daß auch die Pferde geweint haben, und so ist das Bild voll¬ ständig." Grimes ist ein weiches Gemüth, aber wenn die Nothwendigkeit es ver¬ langt , so kann er auch so fest und hart wie Diamant sein. Im Libanon- thale stiehlt ihm ein arabischer Knabe, ein Christ — er beeilt sich, zu erklären, daß Muhammedaner nie stehlen — für elende zehn Dollars Pulver und Blei. Er überführt ihn dessen vor einem Scheich und sieht zu, wie er mit der fürchterlichen Bastonade bestraft wird. Hören wir ihn darüber: „Er (der Knabe Musa) lag so geschwind, wie man mit den Augen blinzelt, auf dem Rücken, heulend, brüllend, kreischend, aber er wurde auf den Vorplatz vor der Thür hinausgetragen, wo wir der Operation zusehen konnten, und mit dem Gesicht der Erde zugekehrt hingelegt. Ein Mann setzte sich ihm auf den Rücken und einer auf seine Beine, und der letztere hielt seine Füße in die Höhe, während der dritte ihm auf seine bloßen Fußsohlen mit einer Karbatsche aus Nilpferdhaut, die bei jedem Schritte durch die Luft pfiff, Hiebe aufzählte. Der arme Morerigst war in Todesängsten, und Rama und Rama Nummer Zwei (Mutter und Schwester von Musa) lagen auf ihren Gesichtern, bettelten und heulten und umschlangen bald meine, bald Whitelys Knie, während der Bruder draußen die Luft von Geschrei widerhallen ließ, welches lauter als das Musa's war. Selbst Jusef kam und bat mich knie¬ fällig, Erbarmen zu haben, und zuletzt flehte sogar Batuni den Chowadscht an, Mitleid mit dem Kerl zu haben". Dem aber fiel das nicht ein. Die Bestrafung wurde nach dem fünfzehnten Hiebe „aufgeschoben", um die Beichte des armen Sünders zu hören. Dann ritten Grimes und verließen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/272>, abgerufen am 26.06.2024.