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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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"Nachdem wir im Sattel waren, ritten wir nach der Quelle, um einen
letzten Blick auf die Frauen Nazareths zu thun, die im Ganzen bei Weitem
die hübschesten waren, welche wir im Morgenlande gesehen hatten. Als wir
uns der Gruppe näherten, trat ein hochgewachsenes Mädchen von neunzehn
Jahren auf Mirjam zu und bot ihr einen Becher Wasser an. Ihre Beweg¬
ungen waren anmuthig und königlich. Wir riefen auf der Stelle aus, wie
madonnenhaft schön die Züge ihres Gesichts seien. Whitely war plötzlich
durstig und bat um Wasser und trank es langsam, indem er seine Augen
über den Rand des Bechers auf ihre großen schwarzen Augen geheftet hielt,
die ihn ganz ebenso neugierig anblickten wie er sie. Dann wollte Moreright
Wasser haben. Sie gab es ihm, und er wußte es so einzurichten, daß er
um einen zweiten Becher bitten konnte, und als sie nun zu mir kam, war
sie dahin gelangt, die Operation zu durchschauen. Ihre Augen waren voll
Scherz, als sie mich anblickte. Ich lachte gerade heraus, und sie schloß sich
mir mit einem so fröhlichen Auflachen an, wie es se ein Landmädchen im
alten Orange-County hören ließ. Ich wollte, ich hätte ein Bild von ihr.
Eine Madonna, deren Antlitz ein Porträt von jenem schönen nazarenischen
Mädchen wäre, würde etwas Schönes und eine Wonne für alle Zeit sein." ...

Das ist die Sorte Suppe, die den Leuten seit Menschen Gedenken über
Palästina vorgesetzt worden ist. und zwar nicht blos von englischen und ameri¬
kanischen, sondern auch von französischen und deutschen Köchen. Der großen,
immer mehr oder minder für sentimentale oder pomphafte Lügen empfänglichen
Masse schmeckt das Zeug; der Verständige wendet sich halb lachend, halb
angeekelt davon ab und freut sich, wenn er Andere desgleichen thun sieht.
So freuen wir uns, wenn unser Reisender fortfährt, die Büchermacher, die
er unter der Firma Grimes sich gekauft hat, weiter zu entlarven und durch
feine sarkastische Hechel zu ziehen. "Schickt mich mit einem schönen Com-
pliment", so sagt er, zu Fennimore Cooper, "wenn ich die Indianer, schickt mich
zu Grimes, wenn ich die Araberinnen schön finden soll. Arabische Männer
sehen oft gut aus, aber arabische Weiber niemals. Wir können alle glauben,
daß die Jungfrau Maria schön gewesen ist; es ist nicht natürlich, sie sich
anders vorzustellen. Aber folgt denn daraus, daß es unsre Pflicht ist, in den
gegenwärtigen Weibern von Nazareth Schönheit zu finden?"

Mark Twain liebt es, Grimes zu citiren, "weil er so dramatisch ist.
Und weil er so romantisch ist. Und weil es ihn so wenig tummelt, ob er
die Wahrheit erzählt oder nicht, wenn er nur dem Leser Furcht einjagen oder
seinen Neid oder seine Bewunderung erregen kann." Immer hat der eitle
Mensch den Spiegel vor sich und die Selbstgefälligkeit hinter sich im Sattel,
ganz wie Seinesgleichen unter den Deutschen, die über das heilige Land ge-


„Nachdem wir im Sattel waren, ritten wir nach der Quelle, um einen
letzten Blick auf die Frauen Nazareths zu thun, die im Ganzen bei Weitem
die hübschesten waren, welche wir im Morgenlande gesehen hatten. Als wir
uns der Gruppe näherten, trat ein hochgewachsenes Mädchen von neunzehn
Jahren auf Mirjam zu und bot ihr einen Becher Wasser an. Ihre Beweg¬
ungen waren anmuthig und königlich. Wir riefen auf der Stelle aus, wie
madonnenhaft schön die Züge ihres Gesichts seien. Whitely war plötzlich
durstig und bat um Wasser und trank es langsam, indem er seine Augen
über den Rand des Bechers auf ihre großen schwarzen Augen geheftet hielt,
die ihn ganz ebenso neugierig anblickten wie er sie. Dann wollte Moreright
Wasser haben. Sie gab es ihm, und er wußte es so einzurichten, daß er
um einen zweiten Becher bitten konnte, und als sie nun zu mir kam, war
sie dahin gelangt, die Operation zu durchschauen. Ihre Augen waren voll
Scherz, als sie mich anblickte. Ich lachte gerade heraus, und sie schloß sich
mir mit einem so fröhlichen Auflachen an, wie es se ein Landmädchen im
alten Orange-County hören ließ. Ich wollte, ich hätte ein Bild von ihr.
Eine Madonna, deren Antlitz ein Porträt von jenem schönen nazarenischen
Mädchen wäre, würde etwas Schönes und eine Wonne für alle Zeit sein." ...

Das ist die Sorte Suppe, die den Leuten seit Menschen Gedenken über
Palästina vorgesetzt worden ist. und zwar nicht blos von englischen und ameri¬
kanischen, sondern auch von französischen und deutschen Köchen. Der großen,
immer mehr oder minder für sentimentale oder pomphafte Lügen empfänglichen
Masse schmeckt das Zeug; der Verständige wendet sich halb lachend, halb
angeekelt davon ab und freut sich, wenn er Andere desgleichen thun sieht.
So freuen wir uns, wenn unser Reisender fortfährt, die Büchermacher, die
er unter der Firma Grimes sich gekauft hat, weiter zu entlarven und durch
feine sarkastische Hechel zu ziehen. „Schickt mich mit einem schönen Com-
pliment", so sagt er, zu Fennimore Cooper, „wenn ich die Indianer, schickt mich
zu Grimes, wenn ich die Araberinnen schön finden soll. Arabische Männer
sehen oft gut aus, aber arabische Weiber niemals. Wir können alle glauben,
daß die Jungfrau Maria schön gewesen ist; es ist nicht natürlich, sie sich
anders vorzustellen. Aber folgt denn daraus, daß es unsre Pflicht ist, in den
gegenwärtigen Weibern von Nazareth Schönheit zu finden?"

Mark Twain liebt es, Grimes zu citiren, „weil er so dramatisch ist.
Und weil er so romantisch ist. Und weil es ihn so wenig tummelt, ob er
die Wahrheit erzählt oder nicht, wenn er nur dem Leser Furcht einjagen oder
seinen Neid oder seine Bewunderung erregen kann." Immer hat der eitle
Mensch den Spiegel vor sich und die Selbstgefälligkeit hinter sich im Sattel,
ganz wie Seinesgleichen unter den Deutschen, die über das heilige Land ge-


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[0270] „Nachdem wir im Sattel waren, ritten wir nach der Quelle, um einen letzten Blick auf die Frauen Nazareths zu thun, die im Ganzen bei Weitem die hübschesten waren, welche wir im Morgenlande gesehen hatten. Als wir uns der Gruppe näherten, trat ein hochgewachsenes Mädchen von neunzehn Jahren auf Mirjam zu und bot ihr einen Becher Wasser an. Ihre Beweg¬ ungen waren anmuthig und königlich. Wir riefen auf der Stelle aus, wie madonnenhaft schön die Züge ihres Gesichts seien. Whitely war plötzlich durstig und bat um Wasser und trank es langsam, indem er seine Augen über den Rand des Bechers auf ihre großen schwarzen Augen geheftet hielt, die ihn ganz ebenso neugierig anblickten wie er sie. Dann wollte Moreright Wasser haben. Sie gab es ihm, und er wußte es so einzurichten, daß er um einen zweiten Becher bitten konnte, und als sie nun zu mir kam, war sie dahin gelangt, die Operation zu durchschauen. Ihre Augen waren voll Scherz, als sie mich anblickte. Ich lachte gerade heraus, und sie schloß sich mir mit einem so fröhlichen Auflachen an, wie es se ein Landmädchen im alten Orange-County hören ließ. Ich wollte, ich hätte ein Bild von ihr. Eine Madonna, deren Antlitz ein Porträt von jenem schönen nazarenischen Mädchen wäre, würde etwas Schönes und eine Wonne für alle Zeit sein." ... Das ist die Sorte Suppe, die den Leuten seit Menschen Gedenken über Palästina vorgesetzt worden ist. und zwar nicht blos von englischen und ameri¬ kanischen, sondern auch von französischen und deutschen Köchen. Der großen, immer mehr oder minder für sentimentale oder pomphafte Lügen empfänglichen Masse schmeckt das Zeug; der Verständige wendet sich halb lachend, halb angeekelt davon ab und freut sich, wenn er Andere desgleichen thun sieht. So freuen wir uns, wenn unser Reisender fortfährt, die Büchermacher, die er unter der Firma Grimes sich gekauft hat, weiter zu entlarven und durch feine sarkastische Hechel zu ziehen. „Schickt mich mit einem schönen Com- pliment", so sagt er, zu Fennimore Cooper, „wenn ich die Indianer, schickt mich zu Grimes, wenn ich die Araberinnen schön finden soll. Arabische Männer sehen oft gut aus, aber arabische Weiber niemals. Wir können alle glauben, daß die Jungfrau Maria schön gewesen ist; es ist nicht natürlich, sie sich anders vorzustellen. Aber folgt denn daraus, daß es unsre Pflicht ist, in den gegenwärtigen Weibern von Nazareth Schönheit zu finden?" Mark Twain liebt es, Grimes zu citiren, „weil er so dramatisch ist. Und weil er so romantisch ist. Und weil es ihn so wenig tummelt, ob er die Wahrheit erzählt oder nicht, wenn er nur dem Leser Furcht einjagen oder seinen Neid oder seine Bewunderung erregen kann." Immer hat der eitle Mensch den Spiegel vor sich und die Selbstgefälligkeit hinter sich im Sattel, ganz wie Seinesgleichen unter den Deutschen, die über das heilige Land ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/270>, abgerufen am 26.06.2024.