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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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Land und Buch. Sie haben oft mit glücklich gewählten Worten, die immer
dieselben blieben, davon gesprochen, wie sie zu Bethel gleich Jacob ihre müden
Häupter auf einen Stein legen, ihre trüben Augen schließen und vielleicht von
Engeln träumen würden, die auf einer Leiter vom Himmel stiegen. Es war
sehr hübsch. Aber ich habe das müde Haupt und die trüben Augen zuletzt
wo anders wieder entdeckt. Sie entlehrten die Idee -- und die Worte --
und die Construction und Jnterpunction von -- Grimes." . . .

In Nazareth giebt es einen "Brunnen der Jungfrau". Nach der Ueber¬
lieferung der Mönche, die hier ausnahmsweise richtig sein könnte, pflegte
Maria, als sie noch Mädchen war. dort jeden Tag zwanzig Mal Wasser zu
holen und es in einem Kruge auf ihrem Kopfe heim zu tragen. Das Wasser
strömt durch Röhren in der Facade einer Mauer von alterthümlichen Bau,
die abseits von den Häusern des Städtchens steht. Die jungen Dirnen
Nazareth's versammeln sich bei demselben noch heutzutage zu Dutzenden und
ergötzen sich unter lautem Lachen und allerhand Possen. Nun aber erzählt
unser Humorist:

"Die nazarenischen Mädchen sind häßlich. Einige von ihnen haben große
leuchtende Augen, aber keine von ihnen hat ein hübsches Gesicht. Diese
Mädchen tragen in der Regel nur ein einziges Kleidungsstück, und dasselbe
ist schlotterig, von unbestimmter Farbe, schmutzig, es ist gewöhnlich auch nicht
ausgebessert. Sie tragen vom Scheitel bis zur Kinnlade wunderliche Bänder
mit aufgereihter alten Münzen in der Weise der Schönen von Tiberias und
Messingkleinodien an den Handgelenken und in den Ohren. Sie tragen weder
Strümpfe noch Schuhe. Sie sind die gutmüthigsten Mädchen, die wir bis
jetzt im Lande gefunden haben. Aber es kann keine Frage sein, daß es diesen
malerischen Mädchen leider an einem gefälligen Aeußern fehlt. Nun sagte,
als wir dort waren, ein Pilgrim, den wir Weltkinder den Enthusiasten zu
nennen gewohnt waren: Sehen Sie 'mal das hochgewachsene anmuthige
Mädchen da! Sehen sie nur die madonnenhafte Schönheit ihres Gesichts! --
Ein anderer Wallfahrer kam hinzu und sagte: Bemerken sie wohl jenes
schlanke graziöse Mädchen, welch' eine königliche madonnenhafte Schönheit in
ihren Zügen! -- Ich sagte: Sie ist nicht hochgewachsen, sondern klein, sie
ist nicht schön, sondern häßlich, sie ist ganz anmuthig in ihren Bewegungen,
das geb' ich zu, aber ziemlich unbändig. -- Der dritte und letzte Pilgrim
ging bald nachher vorüber, und der sagte: Ach, was für ein schlankes grazi¬
öses Mädchen! Was für eine madonnenhafte Anmuth und königliche Schön¬
heit! Die Wahrsprüche waren jetzt alle eingegangen. Es war nun Zeit, die
Autoritäten für alle diese Meinungen aufzusuchen. Ich fand den Paragraphen,
der folgt. Geschrieben von wem? Von William C, Grimes:


Land und Buch. Sie haben oft mit glücklich gewählten Worten, die immer
dieselben blieben, davon gesprochen, wie sie zu Bethel gleich Jacob ihre müden
Häupter auf einen Stein legen, ihre trüben Augen schließen und vielleicht von
Engeln träumen würden, die auf einer Leiter vom Himmel stiegen. Es war
sehr hübsch. Aber ich habe das müde Haupt und die trüben Augen zuletzt
wo anders wieder entdeckt. Sie entlehrten die Idee — und die Worte —
und die Construction und Jnterpunction von — Grimes." . . .

In Nazareth giebt es einen „Brunnen der Jungfrau". Nach der Ueber¬
lieferung der Mönche, die hier ausnahmsweise richtig sein könnte, pflegte
Maria, als sie noch Mädchen war. dort jeden Tag zwanzig Mal Wasser zu
holen und es in einem Kruge auf ihrem Kopfe heim zu tragen. Das Wasser
strömt durch Röhren in der Facade einer Mauer von alterthümlichen Bau,
die abseits von den Häusern des Städtchens steht. Die jungen Dirnen
Nazareth's versammeln sich bei demselben noch heutzutage zu Dutzenden und
ergötzen sich unter lautem Lachen und allerhand Possen. Nun aber erzählt
unser Humorist:

„Die nazarenischen Mädchen sind häßlich. Einige von ihnen haben große
leuchtende Augen, aber keine von ihnen hat ein hübsches Gesicht. Diese
Mädchen tragen in der Regel nur ein einziges Kleidungsstück, und dasselbe
ist schlotterig, von unbestimmter Farbe, schmutzig, es ist gewöhnlich auch nicht
ausgebessert. Sie tragen vom Scheitel bis zur Kinnlade wunderliche Bänder
mit aufgereihter alten Münzen in der Weise der Schönen von Tiberias und
Messingkleinodien an den Handgelenken und in den Ohren. Sie tragen weder
Strümpfe noch Schuhe. Sie sind die gutmüthigsten Mädchen, die wir bis
jetzt im Lande gefunden haben. Aber es kann keine Frage sein, daß es diesen
malerischen Mädchen leider an einem gefälligen Aeußern fehlt. Nun sagte,
als wir dort waren, ein Pilgrim, den wir Weltkinder den Enthusiasten zu
nennen gewohnt waren: Sehen Sie 'mal das hochgewachsene anmuthige
Mädchen da! Sehen sie nur die madonnenhafte Schönheit ihres Gesichts! —
Ein anderer Wallfahrer kam hinzu und sagte: Bemerken sie wohl jenes
schlanke graziöse Mädchen, welch' eine königliche madonnenhafte Schönheit in
ihren Zügen! — Ich sagte: Sie ist nicht hochgewachsen, sondern klein, sie
ist nicht schön, sondern häßlich, sie ist ganz anmuthig in ihren Bewegungen,
das geb' ich zu, aber ziemlich unbändig. — Der dritte und letzte Pilgrim
ging bald nachher vorüber, und der sagte: Ach, was für ein schlankes grazi¬
öses Mädchen! Was für eine madonnenhafte Anmuth und königliche Schön¬
heit! Die Wahrsprüche waren jetzt alle eingegangen. Es war nun Zeit, die
Autoritäten für alle diese Meinungen aufzusuchen. Ich fand den Paragraphen,
der folgt. Geschrieben von wem? Von William C, Grimes:


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[0269] Land und Buch. Sie haben oft mit glücklich gewählten Worten, die immer dieselben blieben, davon gesprochen, wie sie zu Bethel gleich Jacob ihre müden Häupter auf einen Stein legen, ihre trüben Augen schließen und vielleicht von Engeln träumen würden, die auf einer Leiter vom Himmel stiegen. Es war sehr hübsch. Aber ich habe das müde Haupt und die trüben Augen zuletzt wo anders wieder entdeckt. Sie entlehrten die Idee — und die Worte — und die Construction und Jnterpunction von — Grimes." . . . In Nazareth giebt es einen „Brunnen der Jungfrau". Nach der Ueber¬ lieferung der Mönche, die hier ausnahmsweise richtig sein könnte, pflegte Maria, als sie noch Mädchen war. dort jeden Tag zwanzig Mal Wasser zu holen und es in einem Kruge auf ihrem Kopfe heim zu tragen. Das Wasser strömt durch Röhren in der Facade einer Mauer von alterthümlichen Bau, die abseits von den Häusern des Städtchens steht. Die jungen Dirnen Nazareth's versammeln sich bei demselben noch heutzutage zu Dutzenden und ergötzen sich unter lautem Lachen und allerhand Possen. Nun aber erzählt unser Humorist: „Die nazarenischen Mädchen sind häßlich. Einige von ihnen haben große leuchtende Augen, aber keine von ihnen hat ein hübsches Gesicht. Diese Mädchen tragen in der Regel nur ein einziges Kleidungsstück, und dasselbe ist schlotterig, von unbestimmter Farbe, schmutzig, es ist gewöhnlich auch nicht ausgebessert. Sie tragen vom Scheitel bis zur Kinnlade wunderliche Bänder mit aufgereihter alten Münzen in der Weise der Schönen von Tiberias und Messingkleinodien an den Handgelenken und in den Ohren. Sie tragen weder Strümpfe noch Schuhe. Sie sind die gutmüthigsten Mädchen, die wir bis jetzt im Lande gefunden haben. Aber es kann keine Frage sein, daß es diesen malerischen Mädchen leider an einem gefälligen Aeußern fehlt. Nun sagte, als wir dort waren, ein Pilgrim, den wir Weltkinder den Enthusiasten zu nennen gewohnt waren: Sehen Sie 'mal das hochgewachsene anmuthige Mädchen da! Sehen sie nur die madonnenhafte Schönheit ihres Gesichts! — Ein anderer Wallfahrer kam hinzu und sagte: Bemerken sie wohl jenes schlanke graziöse Mädchen, welch' eine königliche madonnenhafte Schönheit in ihren Zügen! — Ich sagte: Sie ist nicht hochgewachsen, sondern klein, sie ist nicht schön, sondern häßlich, sie ist ganz anmuthig in ihren Bewegungen, das geb' ich zu, aber ziemlich unbändig. — Der dritte und letzte Pilgrim ging bald nachher vorüber, und der sagte: Ach, was für ein schlankes grazi¬ öses Mädchen! Was für eine madonnenhafte Anmuth und königliche Schön¬ heit! Die Wahrsprüche waren jetzt alle eingegangen. Es war nun Zeit, die Autoritäten für alle diese Meinungen aufzusuchen. Ich fand den Paragraphen, der folgt. Geschrieben von wem? Von William C, Grimes:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/269>, abgerufen am 26.06.2024.