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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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nen, die das Tröpfeln eines Sommerregens nachahmten, in ruhigen Schlaf
versunken.

Das war das Bild, ganz so wie ich es aus Reisebüchern, welche die
Phantasie entzünden, entnommen hatte. . . Die Wirklichkeit gleicht ihm nicht
mehr als Samt Glich dem Garten Eden gleicht. Man empfing mich in einem
großen Hofe, der mit Marmorplatten gepflastert war. Ringsherum liefen
breite Galerien, eine über der andern, die mit schmutzigen Matten statt mit
Teppichen belegt waren, und welche unangestrichne Balustraden einfaßten.
Möblirt waren sie mit riesigen gichtbrüchigen Stühlen, die zerfressene alte
Matratzen als Sitzkissen hatten, welche von den Eindrücken eingebogen und
ausgeholt waren, die von den Formen von neun auf einander folgenden
Generationen Menschen, welche auf ihnen geruht, zurückgeblieben waren. Der
Ort war geräumig, nackt, traurig, sein Hof eine Scheune, seine Galerieen
Standorte für Pferde in Menschengestalt. Die leichenhaften, halbnackten
Knechte, die in dem Etablissement Dienste leisteten, hatten in ihrer Erscheinung
nichts von Poesie, nichts von Romantik, nichts von morgenländischer Pracht.
Sie verbreiteten keine entzückenden Düfte ^ vielmehr das Gegentheil. Ihre
hungrigen Augen und ihre hagern Gestalten ließen einem fortwährend an eine
grell in die Augen fallende unbehagliche Thatsache denken -- sie wünschen
sich, was man in Californien eine rechtschaffne Abfütterung nennt.

Ich ging in eine von den Zellen der Galerie und entkleidete mich. Ein
unsauberer, verhungert aussehender Bursch umgürtete seine Lenden mit einem
bunten Tischtuche und hing mir einen weißen Fetzen über die Schultern.
Wenn ich jetzt ein Waschfaß vor mir gehabt hätte, so würde es mir natürlich
erschienen sein, mich jetzt an's Waschen zu machen. Ich wurde in den feuchten
schlüpfrigen Hof hinabgeführt, und die ersten Dinge, welche meine Aufmerk¬
samkeit erregten, waren meine Fersen. Mein Hinfallen rief keine Bemerkungen
hervor. Sie erwarteten es ohne Zweifel. Es gehörte zu der Liste der sänf-
tigenden, wollüstigen Einflüsse, die dieser Heimstätte des morgenländischen
Luxus eigenthümlich waren. Es war sicher besänftigend genug, aber seine
Anwendung war keine glückliche. Man gab mir setzt ein paar hölzerne Pan¬
toffeln oder Bänkchen mit Lederstrippen, um sie mir an den Füßen festzu¬
halten. Diese Dinger baumelten unbequem an den Strippen, wenn ich meine
Füße erhob, und geriethen an verdrießliche und unerwartete Stellen, wenn
ich sie wieder auf den Fußboden setzte. Bisweilen drehten sie sich auch seit>
wärts, sodaß meine Fußknöchel umknickten und sich aus dem Gelenke renkten.
Indeß war das Alles morgenländischer Luxus, und ich that, was ich konnte,
mich seiner zu erfreuen. Man brachte mich in einen andern Theil der Scheune
und legte mich auf eine Art plumper Pritsche, die nicht aus Goldbroccat oder
persischen Shawls gemacht, sondern das einfache, anspruchslose Ding war


nen, die das Tröpfeln eines Sommerregens nachahmten, in ruhigen Schlaf
versunken.

Das war das Bild, ganz so wie ich es aus Reisebüchern, welche die
Phantasie entzünden, entnommen hatte. . . Die Wirklichkeit gleicht ihm nicht
mehr als Samt Glich dem Garten Eden gleicht. Man empfing mich in einem
großen Hofe, der mit Marmorplatten gepflastert war. Ringsherum liefen
breite Galerien, eine über der andern, die mit schmutzigen Matten statt mit
Teppichen belegt waren, und welche unangestrichne Balustraden einfaßten.
Möblirt waren sie mit riesigen gichtbrüchigen Stühlen, die zerfressene alte
Matratzen als Sitzkissen hatten, welche von den Eindrücken eingebogen und
ausgeholt waren, die von den Formen von neun auf einander folgenden
Generationen Menschen, welche auf ihnen geruht, zurückgeblieben waren. Der
Ort war geräumig, nackt, traurig, sein Hof eine Scheune, seine Galerieen
Standorte für Pferde in Menschengestalt. Die leichenhaften, halbnackten
Knechte, die in dem Etablissement Dienste leisteten, hatten in ihrer Erscheinung
nichts von Poesie, nichts von Romantik, nichts von morgenländischer Pracht.
Sie verbreiteten keine entzückenden Düfte ^ vielmehr das Gegentheil. Ihre
hungrigen Augen und ihre hagern Gestalten ließen einem fortwährend an eine
grell in die Augen fallende unbehagliche Thatsache denken — sie wünschen
sich, was man in Californien eine rechtschaffne Abfütterung nennt.

Ich ging in eine von den Zellen der Galerie und entkleidete mich. Ein
unsauberer, verhungert aussehender Bursch umgürtete seine Lenden mit einem
bunten Tischtuche und hing mir einen weißen Fetzen über die Schultern.
Wenn ich jetzt ein Waschfaß vor mir gehabt hätte, so würde es mir natürlich
erschienen sein, mich jetzt an's Waschen zu machen. Ich wurde in den feuchten
schlüpfrigen Hof hinabgeführt, und die ersten Dinge, welche meine Aufmerk¬
samkeit erregten, waren meine Fersen. Mein Hinfallen rief keine Bemerkungen
hervor. Sie erwarteten es ohne Zweifel. Es gehörte zu der Liste der sänf-
tigenden, wollüstigen Einflüsse, die dieser Heimstätte des morgenländischen
Luxus eigenthümlich waren. Es war sicher besänftigend genug, aber seine
Anwendung war keine glückliche. Man gab mir setzt ein paar hölzerne Pan¬
toffeln oder Bänkchen mit Lederstrippen, um sie mir an den Füßen festzu¬
halten. Diese Dinger baumelten unbequem an den Strippen, wenn ich meine
Füße erhob, und geriethen an verdrießliche und unerwartete Stellen, wenn
ich sie wieder auf den Fußboden setzte. Bisweilen drehten sie sich auch seit>
wärts, sodaß meine Fußknöchel umknickten und sich aus dem Gelenke renkten.
Indeß war das Alles morgenländischer Luxus, und ich that, was ich konnte,
mich seiner zu erfreuen. Man brachte mich in einen andern Theil der Scheune
und legte mich auf eine Art plumper Pritsche, die nicht aus Goldbroccat oder
persischen Shawls gemacht, sondern das einfache, anspruchslose Ding war


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/264>, abgerufen am 26.06.2024.