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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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die Wallfahrer die große Tour nach Damaskus und Jerusalem machen, um
schließlich den ägyptischen Pyramiden und einigen andern Wundern des
Pharaonenlandes ihren Besuch abzustatten. Alle diese Dinge sind schon
hundert Mal -- wenn das langt -- beschrieben, niemals aber so wie hier,
wo das Auge des Humors und der Satire sie gesehen, und eine Feder sie
geschildert hat, die sich nicht leicht von etwas imponiren läßt, und in der kein
Tropfen von der sentimentalen Tinte ist. welche namentlich über Palästina
so viele thörichte Schwärmereien, Gefühlsduseleien und offenbare Lügen in
die Welt gesetzt hat. Diesen Unsinn dahin zu stellen, wohin er gehört, ist
eine der Hauptbestrebungen unseres Amerikaners; und so werden wir unsere
Proben aus seinem Buche vorzüglich diesen Kapiteln der "Pilgerfahrt" ent¬
nehmen. Sie sind auch die ergötzlichsten Stücke derselben, obwohl viele andere
zum Beispiel der Bruch der Quarantäne, welcher den Verfasser mit andern
Wagehälsen vom Piräus zu mitternächtlichen Schwelgen unter den mond¬
beschienenen Ruinen der Akropolis führt, der Besuch beim Kaiser von Ru߬
land in Livadia, der Excurs über die konstantinopolitanischen Hunde, die
wiederholten Schilderungen der "Pilgrime", ihrer Frömmelei und ihres steten
Abschlages von Andenken bei geschichtlichen Denkmälern, ebenfalls ungemein
viel des Ergötzlichen enthalten. Ein paar nicht besonders gelungne Einfälle,
wie die Geschichte von den ephesischen Siebenschläfern, wollen wir dem Ver¬
fasser, seiner sonstigen Verdienste halber, nicht hoch anrechnen. Einige Un¬
richtigkeiten hat der Uebersetzer, der den Vortheil hatte, die Reise ebenfalls
gemacht zu haben und so den Autor des Originals controliren zu können, in
Anmerkungen verbessert.

Ehe wir zu den Proben des Humors übergehen, mit denen der Ver¬
sasser die Ueberschwänglichkeiten der herkömmlichen Art, Reisen im Morgen¬
lande zu schildern, verspottet, sei ,noch eine hübsche Geschichte vom "Orakel"
erzählt.

"Von Beruf ist das Orakel ein Quacksalber, und folglich ist seine grenzen¬
lose Unwissenheit sein werthvollstes Besitzthum. Da er gar nichts weiß, so
thut er, als ob er Alles wüßte. Es ist nichts Ungewöhnliches im Schiffe,
daß man ihm besonders heiklige Fragen vorlegt, blos um zu sehen, mit
welcher Seelenruhe er zu ihrer Lösung vorschreitet. Neulich stieß der kleine
Sohn des Kapitäns, Harry, im Verlauf seiner Studien auf den Ausdruck
horizontale Parallaxe. Er dachte, das würde einen guten Gegenstand
für das Orakel abgeben. So sah er sich nach ihm um und sagte: Doctor,
was ist gut gegen eine horizontale Parallaxe. -- Eine hori -- horiz --
was für Zeug? -- horizontale Parallaxe. Einer der Matrosen vorne im
Logis hat sie bekommen und zwar recht schlimm. -- Horizontale Parallaxe --
er kratzte sich den Kopf -- horizontale Parallaxe? Hin. Horizont -- hör


die Wallfahrer die große Tour nach Damaskus und Jerusalem machen, um
schließlich den ägyptischen Pyramiden und einigen andern Wundern des
Pharaonenlandes ihren Besuch abzustatten. Alle diese Dinge sind schon
hundert Mal — wenn das langt — beschrieben, niemals aber so wie hier,
wo das Auge des Humors und der Satire sie gesehen, und eine Feder sie
geschildert hat, die sich nicht leicht von etwas imponiren läßt, und in der kein
Tropfen von der sentimentalen Tinte ist. welche namentlich über Palästina
so viele thörichte Schwärmereien, Gefühlsduseleien und offenbare Lügen in
die Welt gesetzt hat. Diesen Unsinn dahin zu stellen, wohin er gehört, ist
eine der Hauptbestrebungen unseres Amerikaners; und so werden wir unsere
Proben aus seinem Buche vorzüglich diesen Kapiteln der „Pilgerfahrt" ent¬
nehmen. Sie sind auch die ergötzlichsten Stücke derselben, obwohl viele andere
zum Beispiel der Bruch der Quarantäne, welcher den Verfasser mit andern
Wagehälsen vom Piräus zu mitternächtlichen Schwelgen unter den mond¬
beschienenen Ruinen der Akropolis führt, der Besuch beim Kaiser von Ru߬
land in Livadia, der Excurs über die konstantinopolitanischen Hunde, die
wiederholten Schilderungen der „Pilgrime", ihrer Frömmelei und ihres steten
Abschlages von Andenken bei geschichtlichen Denkmälern, ebenfalls ungemein
viel des Ergötzlichen enthalten. Ein paar nicht besonders gelungne Einfälle,
wie die Geschichte von den ephesischen Siebenschläfern, wollen wir dem Ver¬
fasser, seiner sonstigen Verdienste halber, nicht hoch anrechnen. Einige Un¬
richtigkeiten hat der Uebersetzer, der den Vortheil hatte, die Reise ebenfalls
gemacht zu haben und so den Autor des Originals controliren zu können, in
Anmerkungen verbessert.

Ehe wir zu den Proben des Humors übergehen, mit denen der Ver¬
sasser die Ueberschwänglichkeiten der herkömmlichen Art, Reisen im Morgen¬
lande zu schildern, verspottet, sei ,noch eine hübsche Geschichte vom „Orakel"
erzählt.

„Von Beruf ist das Orakel ein Quacksalber, und folglich ist seine grenzen¬
lose Unwissenheit sein werthvollstes Besitzthum. Da er gar nichts weiß, so
thut er, als ob er Alles wüßte. Es ist nichts Ungewöhnliches im Schiffe,
daß man ihm besonders heiklige Fragen vorlegt, blos um zu sehen, mit
welcher Seelenruhe er zu ihrer Lösung vorschreitet. Neulich stieß der kleine
Sohn des Kapitäns, Harry, im Verlauf seiner Studien auf den Ausdruck
horizontale Parallaxe. Er dachte, das würde einen guten Gegenstand
für das Orakel abgeben. So sah er sich nach ihm um und sagte: Doctor,
was ist gut gegen eine horizontale Parallaxe. — Eine hori — horiz —
was für Zeug? — horizontale Parallaxe. Einer der Matrosen vorne im
Logis hat sie bekommen und zwar recht schlimm. — Horizontale Parallaxe —
er kratzte sich den Kopf — horizontale Parallaxe? Hin. Horizont — hör


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[0262] die Wallfahrer die große Tour nach Damaskus und Jerusalem machen, um schließlich den ägyptischen Pyramiden und einigen andern Wundern des Pharaonenlandes ihren Besuch abzustatten. Alle diese Dinge sind schon hundert Mal — wenn das langt — beschrieben, niemals aber so wie hier, wo das Auge des Humors und der Satire sie gesehen, und eine Feder sie geschildert hat, die sich nicht leicht von etwas imponiren läßt, und in der kein Tropfen von der sentimentalen Tinte ist. welche namentlich über Palästina so viele thörichte Schwärmereien, Gefühlsduseleien und offenbare Lügen in die Welt gesetzt hat. Diesen Unsinn dahin zu stellen, wohin er gehört, ist eine der Hauptbestrebungen unseres Amerikaners; und so werden wir unsere Proben aus seinem Buche vorzüglich diesen Kapiteln der „Pilgerfahrt" ent¬ nehmen. Sie sind auch die ergötzlichsten Stücke derselben, obwohl viele andere zum Beispiel der Bruch der Quarantäne, welcher den Verfasser mit andern Wagehälsen vom Piräus zu mitternächtlichen Schwelgen unter den mond¬ beschienenen Ruinen der Akropolis führt, der Besuch beim Kaiser von Ru߬ land in Livadia, der Excurs über die konstantinopolitanischen Hunde, die wiederholten Schilderungen der „Pilgrime", ihrer Frömmelei und ihres steten Abschlages von Andenken bei geschichtlichen Denkmälern, ebenfalls ungemein viel des Ergötzlichen enthalten. Ein paar nicht besonders gelungne Einfälle, wie die Geschichte von den ephesischen Siebenschläfern, wollen wir dem Ver¬ fasser, seiner sonstigen Verdienste halber, nicht hoch anrechnen. Einige Un¬ richtigkeiten hat der Uebersetzer, der den Vortheil hatte, die Reise ebenfalls gemacht zu haben und so den Autor des Originals controliren zu können, in Anmerkungen verbessert. Ehe wir zu den Proben des Humors übergehen, mit denen der Ver¬ sasser die Ueberschwänglichkeiten der herkömmlichen Art, Reisen im Morgen¬ lande zu schildern, verspottet, sei ,noch eine hübsche Geschichte vom „Orakel" erzählt. „Von Beruf ist das Orakel ein Quacksalber, und folglich ist seine grenzen¬ lose Unwissenheit sein werthvollstes Besitzthum. Da er gar nichts weiß, so thut er, als ob er Alles wüßte. Es ist nichts Ungewöhnliches im Schiffe, daß man ihm besonders heiklige Fragen vorlegt, blos um zu sehen, mit welcher Seelenruhe er zu ihrer Lösung vorschreitet. Neulich stieß der kleine Sohn des Kapitäns, Harry, im Verlauf seiner Studien auf den Ausdruck horizontale Parallaxe. Er dachte, das würde einen guten Gegenstand für das Orakel abgeben. So sah er sich nach ihm um und sagte: Doctor, was ist gut gegen eine horizontale Parallaxe. — Eine hori — horiz — was für Zeug? — horizontale Parallaxe. Einer der Matrosen vorne im Logis hat sie bekommen und zwar recht schlimm. — Horizontale Parallaxe — er kratzte sich den Kopf — horizontale Parallaxe? Hin. Horizont — hör

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/262>, abgerufen am 26.06.2024.