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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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Züge spielen auch in ihr keine unbedeutende Rolle. Was sie aber wesentlich
von den meisten der bisher erwähnten Erscheinungen unterscheidet, ist, daß
ihr, und zwar nicht bloß in ihrem vollkommensten Vertreter Aristophanes,
ein tiefer Ernst zu Grunde liegt. Was ihr aber ausschließlich eignet, ist
das politische und durchaus patriotische Interesse, wobei der weite
Blick der attischen Komiker sich nicht begnügt, Einzelnheiten des Lebens,
namentlich des Privatlebens aufzufassen, vielmehr das ganze öffentliche
Leben, die Gesammtheit der staatlichen und socialen Verhältnisse umfaßt und
jede Verkehrtheit einer scharfen Kritik unterzieht. Die attischen Komiker haben
ein hohes Ideal, und dieses bildet den Maßstab, mit dem sie die Gegen¬
wart messen. Und daß eben dieser Maßstab angelegt wird, darf man nicht
außer Acht lassen, wenn sie die Zustände ihrer Zeit oft mit grellen Farben
malen. Ist doch selbst die großartige Staatsverwaltung des Perikles ein
Lieblingsthema für die Komiker geworden, und kein Zug an Leib und Leben
des größten Staatsmannes unter den Griechen ist ihrem Scharfblick entgangen.
Als nach dem Tode desselben die Komödie das volle Recht einer Staatscensur
und demgemäß unbedingte Redefreiheit erhielt, boten die hereinbrechende
Ochlokratie und die den Staat erschütternden Ereignisse des peloponnesischen
Krieges einem für eine große Vergangenheit begeisterten patriotischen Gemüth
natürlich besonders reichen Stoff zu einer schneidenden Kritik, und so kam
es, daß die alte Komödie, deren Blüthe um 440 beginnt, diese Blüthe nach
480 besonders reich entfaltete.

Wenn sie nun in dem Gewände einer ausgelassenen und übermüthigen
Laune auftrat, so war diese eben nur Mittel zum Zweck, und eben das
unterschied diese dramatische Gattung so wesentlich von der Posse des übrigen
Griechenlandes, bei welcher der Ton der Ausgelassenheit Selbstzweck war.

Wie sehr der dem Schmerz zu Grunde liegende Ernst den Dichtern der
alten attischen Komödie Hauptsache war, geht schon daraus hervor, daß ihr
Ton anfänglich oft noch ein ziemlich herber war. Erst mit der zunehmenden
Herrschaft über die poetischen Mittel gelang es den Dichtern, den Ton zu
mildern, und auch der vernichtendsten Kritik den Schein des unverwüstlichsten
Humors zu leihen.

Besonders aber fällt hierbei noch ins Gewicht die vollendete Meisterschaft,
mit welcher die Dichter ihren Stoff poetisch zu gestalten wußten. Was
ihre Conception betrifft, so lieferten sie nicht eine gemeine Nachahmung der
Wirklichkeit, sondern versetzten durch geniale Erfindung in eine poetische Welt,
wobei sie doch reichlich Gelegenheit erhielten, ein Bild, und zwar ein Gesammt-
bild von der Wirklichkeit mit allen ihren Einzelnheiten zu schaffen. In der
Handhabung aber der poetischen Form zeigt namentlich Aristophanes eine
Meisterschaft, die ihn als Dichter ersten Ranges kennzeichnet. Ihm


Züge spielen auch in ihr keine unbedeutende Rolle. Was sie aber wesentlich
von den meisten der bisher erwähnten Erscheinungen unterscheidet, ist, daß
ihr, und zwar nicht bloß in ihrem vollkommensten Vertreter Aristophanes,
ein tiefer Ernst zu Grunde liegt. Was ihr aber ausschließlich eignet, ist
das politische und durchaus patriotische Interesse, wobei der weite
Blick der attischen Komiker sich nicht begnügt, Einzelnheiten des Lebens,
namentlich des Privatlebens aufzufassen, vielmehr das ganze öffentliche
Leben, die Gesammtheit der staatlichen und socialen Verhältnisse umfaßt und
jede Verkehrtheit einer scharfen Kritik unterzieht. Die attischen Komiker haben
ein hohes Ideal, und dieses bildet den Maßstab, mit dem sie die Gegen¬
wart messen. Und daß eben dieser Maßstab angelegt wird, darf man nicht
außer Acht lassen, wenn sie die Zustände ihrer Zeit oft mit grellen Farben
malen. Ist doch selbst die großartige Staatsverwaltung des Perikles ein
Lieblingsthema für die Komiker geworden, und kein Zug an Leib und Leben
des größten Staatsmannes unter den Griechen ist ihrem Scharfblick entgangen.
Als nach dem Tode desselben die Komödie das volle Recht einer Staatscensur
und demgemäß unbedingte Redefreiheit erhielt, boten die hereinbrechende
Ochlokratie und die den Staat erschütternden Ereignisse des peloponnesischen
Krieges einem für eine große Vergangenheit begeisterten patriotischen Gemüth
natürlich besonders reichen Stoff zu einer schneidenden Kritik, und so kam
es, daß die alte Komödie, deren Blüthe um 440 beginnt, diese Blüthe nach
480 besonders reich entfaltete.

Wenn sie nun in dem Gewände einer ausgelassenen und übermüthigen
Laune auftrat, so war diese eben nur Mittel zum Zweck, und eben das
unterschied diese dramatische Gattung so wesentlich von der Posse des übrigen
Griechenlandes, bei welcher der Ton der Ausgelassenheit Selbstzweck war.

Wie sehr der dem Schmerz zu Grunde liegende Ernst den Dichtern der
alten attischen Komödie Hauptsache war, geht schon daraus hervor, daß ihr
Ton anfänglich oft noch ein ziemlich herber war. Erst mit der zunehmenden
Herrschaft über die poetischen Mittel gelang es den Dichtern, den Ton zu
mildern, und auch der vernichtendsten Kritik den Schein des unverwüstlichsten
Humors zu leihen.

Besonders aber fällt hierbei noch ins Gewicht die vollendete Meisterschaft,
mit welcher die Dichter ihren Stoff poetisch zu gestalten wußten. Was
ihre Conception betrifft, so lieferten sie nicht eine gemeine Nachahmung der
Wirklichkeit, sondern versetzten durch geniale Erfindung in eine poetische Welt,
wobei sie doch reichlich Gelegenheit erhielten, ein Bild, und zwar ein Gesammt-
bild von der Wirklichkeit mit allen ihren Einzelnheiten zu schaffen. In der
Handhabung aber der poetischen Form zeigt namentlich Aristophanes eine
Meisterschaft, die ihn als Dichter ersten Ranges kennzeichnet. Ihm


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/258>, abgerufen am 26.06.2024.