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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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Winzer gaben in neckischen Reden, üppigen Geberden und Tänzen einer
excentrischen Stimmung Ausdruck. Daraus wurden wirkliche Spiele, zunächst
aus dem Stegreif, wobei lächerliche Charaktere gemalt und verspottet wurden.
An Stegreifspiele schlossen sich endlich vorher überlegte Gestaltungen an.
Der Stoff zu diesen Aeußerungen des Muthwillens fand sich zu allen Zeiten.
Und fo finden wir denn die Posse in Griechenland, lange bevor die Zeit der
Zersetzung des antiken Lebens eintrat. Sie ist beim dorischen Stamme
heimisch und von diesem in ihren verschiedenen Spielarten sowohl im Mutter¬
lande, als auch in den Colonieen ausgebildet worden.

Bet den Spartanern beschränkte sie sich auf pantomimische Dar¬
stellung lächerlicher Charaktere und spaßhafter Abenteuer aus dem alltäglichen
Leben. Bei den Megarensern scheint sie in den erbitterten Parteikämpfen
zwischen Adel und Volk den Charakter eines beißenden Schwankens zum Zweck
persönlicher Verspottung erhalten zu haben. Vielleicht läßt das von einem
megarischen Komiker in Umlauf gekommene Sprichwort: "Myllos hört alles"
den Schluß zu, daß nichts in der Stadt Lächerliches und der Spottlust
Nahrung bietendes Passiren konnte, was von den Komikern nicht verwendet
worden wäre. Durch diesen megarischen Schwank ist die attische Komödie
angeregt worden, die aber sehr bald nach ihrem Aufblühen "megarischen
Scherz" als "lasciv und fade" mit Spott und Hohn verfolgte.

Der fruchtbarste Boden für eine entwickeltere Posse ist das von Sparta
aus gegründete Tarent. In dieser Stadt des Genusses und unverwüstlicher
Heiterkeit gab es sogenannte "Mimen und Lustigmacher". Bei den Volks¬
festen der Weinlese oder bei glänzenden Gastmälern lösten sie jede ihnen von
der Gesellschaft gestellte Aufgabe, sei es daß sie eine Dichterstelle durch Tra¬
vestie ins Lächerliche zogen oder bekannte Charaktere der Gegenwart handelnd
und redend einführten. Wie verschieden nun auch diese "Mimen und Lusttg-
macher" ihr Talent verwertheten, so hatte man doch für sie alle den Gesammt-
namen Phlyakes d. h. Possenreißer oder, wie es in einem edleren
Sinne auch übersetzt wird, "joviale, redselige Geister." Das meiste von den
drolligen Einfällen dieser Spaßmacher ist für die Nachwelt verloren gegangen.
Es waren Erzeugnisse des Augenblickes, die in die Literatur keinen Eingang
fanden, bis gegen 300 Rhinton seine Hilarotragödien oder Tragikomödien,
wie es die Römer nannten, d. h. Parodieen mythisch tragischer Stoffe, und
um dieselbe Zeit Sotad es seine mehr ans Gemeine streifenden und auf
derbe Sittenzeichnung gerichteten Possen schrieb.

Die bisher geschilderte griechische Komödie dient also ganz offenbar aus¬
schließlich dem Zwecke der Belustigung, und ihre Mittel gehören durchaus
dem Bereich derber und niedrig er Komik an. Es fehlt an jedem höheren
Element, und eben darin steht diese Komödie im diametralen Gegensatz zur


Winzer gaben in neckischen Reden, üppigen Geberden und Tänzen einer
excentrischen Stimmung Ausdruck. Daraus wurden wirkliche Spiele, zunächst
aus dem Stegreif, wobei lächerliche Charaktere gemalt und verspottet wurden.
An Stegreifspiele schlossen sich endlich vorher überlegte Gestaltungen an.
Der Stoff zu diesen Aeußerungen des Muthwillens fand sich zu allen Zeiten.
Und fo finden wir denn die Posse in Griechenland, lange bevor die Zeit der
Zersetzung des antiken Lebens eintrat. Sie ist beim dorischen Stamme
heimisch und von diesem in ihren verschiedenen Spielarten sowohl im Mutter¬
lande, als auch in den Colonieen ausgebildet worden.

Bet den Spartanern beschränkte sie sich auf pantomimische Dar¬
stellung lächerlicher Charaktere und spaßhafter Abenteuer aus dem alltäglichen
Leben. Bei den Megarensern scheint sie in den erbitterten Parteikämpfen
zwischen Adel und Volk den Charakter eines beißenden Schwankens zum Zweck
persönlicher Verspottung erhalten zu haben. Vielleicht läßt das von einem
megarischen Komiker in Umlauf gekommene Sprichwort: „Myllos hört alles"
den Schluß zu, daß nichts in der Stadt Lächerliches und der Spottlust
Nahrung bietendes Passiren konnte, was von den Komikern nicht verwendet
worden wäre. Durch diesen megarischen Schwank ist die attische Komödie
angeregt worden, die aber sehr bald nach ihrem Aufblühen „megarischen
Scherz" als „lasciv und fade" mit Spott und Hohn verfolgte.

Der fruchtbarste Boden für eine entwickeltere Posse ist das von Sparta
aus gegründete Tarent. In dieser Stadt des Genusses und unverwüstlicher
Heiterkeit gab es sogenannte „Mimen und Lustigmacher". Bei den Volks¬
festen der Weinlese oder bei glänzenden Gastmälern lösten sie jede ihnen von
der Gesellschaft gestellte Aufgabe, sei es daß sie eine Dichterstelle durch Tra¬
vestie ins Lächerliche zogen oder bekannte Charaktere der Gegenwart handelnd
und redend einführten. Wie verschieden nun auch diese „Mimen und Lusttg-
macher" ihr Talent verwertheten, so hatte man doch für sie alle den Gesammt-
namen Phlyakes d. h. Possenreißer oder, wie es in einem edleren
Sinne auch übersetzt wird, „joviale, redselige Geister." Das meiste von den
drolligen Einfällen dieser Spaßmacher ist für die Nachwelt verloren gegangen.
Es waren Erzeugnisse des Augenblickes, die in die Literatur keinen Eingang
fanden, bis gegen 300 Rhinton seine Hilarotragödien oder Tragikomödien,
wie es die Römer nannten, d. h. Parodieen mythisch tragischer Stoffe, und
um dieselbe Zeit Sotad es seine mehr ans Gemeine streifenden und auf
derbe Sittenzeichnung gerichteten Possen schrieb.

Die bisher geschilderte griechische Komödie dient also ganz offenbar aus¬
schließlich dem Zwecke der Belustigung, und ihre Mittel gehören durchaus
dem Bereich derber und niedrig er Komik an. Es fehlt an jedem höheren
Element, und eben darin steht diese Komödie im diametralen Gegensatz zur


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[0256] Winzer gaben in neckischen Reden, üppigen Geberden und Tänzen einer excentrischen Stimmung Ausdruck. Daraus wurden wirkliche Spiele, zunächst aus dem Stegreif, wobei lächerliche Charaktere gemalt und verspottet wurden. An Stegreifspiele schlossen sich endlich vorher überlegte Gestaltungen an. Der Stoff zu diesen Aeußerungen des Muthwillens fand sich zu allen Zeiten. Und fo finden wir denn die Posse in Griechenland, lange bevor die Zeit der Zersetzung des antiken Lebens eintrat. Sie ist beim dorischen Stamme heimisch und von diesem in ihren verschiedenen Spielarten sowohl im Mutter¬ lande, als auch in den Colonieen ausgebildet worden. Bet den Spartanern beschränkte sie sich auf pantomimische Dar¬ stellung lächerlicher Charaktere und spaßhafter Abenteuer aus dem alltäglichen Leben. Bei den Megarensern scheint sie in den erbitterten Parteikämpfen zwischen Adel und Volk den Charakter eines beißenden Schwankens zum Zweck persönlicher Verspottung erhalten zu haben. Vielleicht läßt das von einem megarischen Komiker in Umlauf gekommene Sprichwort: „Myllos hört alles" den Schluß zu, daß nichts in der Stadt Lächerliches und der Spottlust Nahrung bietendes Passiren konnte, was von den Komikern nicht verwendet worden wäre. Durch diesen megarischen Schwank ist die attische Komödie angeregt worden, die aber sehr bald nach ihrem Aufblühen „megarischen Scherz" als „lasciv und fade" mit Spott und Hohn verfolgte. Der fruchtbarste Boden für eine entwickeltere Posse ist das von Sparta aus gegründete Tarent. In dieser Stadt des Genusses und unverwüstlicher Heiterkeit gab es sogenannte „Mimen und Lustigmacher". Bei den Volks¬ festen der Weinlese oder bei glänzenden Gastmälern lösten sie jede ihnen von der Gesellschaft gestellte Aufgabe, sei es daß sie eine Dichterstelle durch Tra¬ vestie ins Lächerliche zogen oder bekannte Charaktere der Gegenwart handelnd und redend einführten. Wie verschieden nun auch diese „Mimen und Lusttg- macher" ihr Talent verwertheten, so hatte man doch für sie alle den Gesammt- namen Phlyakes d. h. Possenreißer oder, wie es in einem edleren Sinne auch übersetzt wird, „joviale, redselige Geister." Das meiste von den drolligen Einfällen dieser Spaßmacher ist für die Nachwelt verloren gegangen. Es waren Erzeugnisse des Augenblickes, die in die Literatur keinen Eingang fanden, bis gegen 300 Rhinton seine Hilarotragödien oder Tragikomödien, wie es die Römer nannten, d. h. Parodieen mythisch tragischer Stoffe, und um dieselbe Zeit Sotad es seine mehr ans Gemeine streifenden und auf derbe Sittenzeichnung gerichteten Possen schrieb. Die bisher geschilderte griechische Komödie dient also ganz offenbar aus¬ schließlich dem Zwecke der Belustigung, und ihre Mittel gehören durchaus dem Bereich derber und niedrig er Komik an. Es fehlt an jedem höheren Element, und eben darin steht diese Komödie im diametralen Gegensatz zur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/256>, abgerufen am 26.06.2024.