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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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Chormitgliedern ein Schmaus zu geben, und zur Erinnerung an den etwa
errungenen Sieg endlich noch der übliche eherne Dreifuß zu weihen, wie sie
in einer der prächtigsten Straßen Athens auf Postamenten aufgestellt zu
werden pflegten, an welchen eine Inschrift den obersten Staatsbeamten, das
Fest, an welchem die Aufführung stattgefunden, den Chorausrüster und
seinen Stamm, endlich den Dichter des Stückes und bisweilen auch den ersten
Schauspieler namhaft machte. Die Dreifüße selbst enthielten oft künstlerische
Darstellungen und waren mitunter Meisterwerke der Kunst.

Aber nicht bloß nahm das attische Volk ein lebendiges und opferfreudiges
Interesse am Theater, fort'ern es brachte dafür auch ein aufs Höchste über¬
raschendes Verständniß mit. Es lag in der Natur der Sache, daß im attischen
Publikum, wo wirklich alle Einsichtigen und Kunstverständigen versammelt
waren, diese auch in Betreff der Kritik den Ton angaben. Man muß sich
aber auch vergegenwärtigen, daß die Unterschiede im Publikum damals keines¬
wegs so schroff waren wie jetzt zwischen den Gebildeten und Ungebildeten.
Allerdings bestand auch im alten Athen ein Unterschied zwischen den Wohl¬
erzogenen und denen, welche in der Werkstatt aufgewachsen und einer sorg¬
fältigeren Erziehung untheilhaft geblieben waren. Aber die Gebildeten besaßen
keine gelehrte, auf mühseligen Studien beruhende aus anderen Wegen uner¬
reichbare Bildung, sie bildeten auch keinen exclusiver Kreis einer nach Vor¬
nehmheit und Feinheit der Sitten in besondern: Maße strebenden guten Gesell¬
schaft. Die geistigen Bildungsmittel, welche nach der Gymnastik zur An¬
wendung kamen, waren Poesie und Musik, und die Schule legte hier
nur den Grund für das, was das Leben zu vollenden hatte. Von diesen
Bildungselementen konnte sich auch der gemeine Mann leicht so viel aneignen,
daß der Abstand zwischen ihm und dem Wohlerzogenen kein zu auffälliger
war, wozu denn auch die reiche Begabung, die ein Vorzug der attischen Be¬
völkerung war, wesentlich mit beitrug. Kurz, das attische Publikum, besaß,
wenn auch mit gewissen Gradunterschieden, ein ganz ungewöhnliches Verständ¬
niß für seine Dichter, wofür es durch die Erziehung, die es genossen, in ganz
vorzüglicher Weise vorbereitet worden war. Als besonders bezeichnend ist es
immer angesehen und hervorgehoben worden, daß auch die kleinsten Verstöße
gegen richtige Betonung und im Gebrauch der Versmaße, die an einem
modernen Publikum spurlos vorübergehen würden, nicht unbemerkt und unge-
rügt blieben. Das ist allerdings ein Zeichen für ein fein ausgebildetes
Gehör. Was aber noch mehr sagen will, ist doch die schnelle Auffassung des
geistigen Gehaltes und die Sicherheit des Blickes für die Vorzüge und
Schwächen einer Dichtung. Hierdurch ist es dem attischen Publikum möglich
geworden, seine Dichter in scharfe Zucht zu nehmen und nicht bloß zügelnd,
sondern auch bestimmend auf sie einzuwirken.


Chormitgliedern ein Schmaus zu geben, und zur Erinnerung an den etwa
errungenen Sieg endlich noch der übliche eherne Dreifuß zu weihen, wie sie
in einer der prächtigsten Straßen Athens auf Postamenten aufgestellt zu
werden pflegten, an welchen eine Inschrift den obersten Staatsbeamten, das
Fest, an welchem die Aufführung stattgefunden, den Chorausrüster und
seinen Stamm, endlich den Dichter des Stückes und bisweilen auch den ersten
Schauspieler namhaft machte. Die Dreifüße selbst enthielten oft künstlerische
Darstellungen und waren mitunter Meisterwerke der Kunst.

Aber nicht bloß nahm das attische Volk ein lebendiges und opferfreudiges
Interesse am Theater, fort'ern es brachte dafür auch ein aufs Höchste über¬
raschendes Verständniß mit. Es lag in der Natur der Sache, daß im attischen
Publikum, wo wirklich alle Einsichtigen und Kunstverständigen versammelt
waren, diese auch in Betreff der Kritik den Ton angaben. Man muß sich
aber auch vergegenwärtigen, daß die Unterschiede im Publikum damals keines¬
wegs so schroff waren wie jetzt zwischen den Gebildeten und Ungebildeten.
Allerdings bestand auch im alten Athen ein Unterschied zwischen den Wohl¬
erzogenen und denen, welche in der Werkstatt aufgewachsen und einer sorg¬
fältigeren Erziehung untheilhaft geblieben waren. Aber die Gebildeten besaßen
keine gelehrte, auf mühseligen Studien beruhende aus anderen Wegen uner¬
reichbare Bildung, sie bildeten auch keinen exclusiver Kreis einer nach Vor¬
nehmheit und Feinheit der Sitten in besondern: Maße strebenden guten Gesell¬
schaft. Die geistigen Bildungsmittel, welche nach der Gymnastik zur An¬
wendung kamen, waren Poesie und Musik, und die Schule legte hier
nur den Grund für das, was das Leben zu vollenden hatte. Von diesen
Bildungselementen konnte sich auch der gemeine Mann leicht so viel aneignen,
daß der Abstand zwischen ihm und dem Wohlerzogenen kein zu auffälliger
war, wozu denn auch die reiche Begabung, die ein Vorzug der attischen Be¬
völkerung war, wesentlich mit beitrug. Kurz, das attische Publikum, besaß,
wenn auch mit gewissen Gradunterschieden, ein ganz ungewöhnliches Verständ¬
niß für seine Dichter, wofür es durch die Erziehung, die es genossen, in ganz
vorzüglicher Weise vorbereitet worden war. Als besonders bezeichnend ist es
immer angesehen und hervorgehoben worden, daß auch die kleinsten Verstöße
gegen richtige Betonung und im Gebrauch der Versmaße, die an einem
modernen Publikum spurlos vorübergehen würden, nicht unbemerkt und unge-
rügt blieben. Das ist allerdings ein Zeichen für ein fein ausgebildetes
Gehör. Was aber noch mehr sagen will, ist doch die schnelle Auffassung des
geistigen Gehaltes und die Sicherheit des Blickes für die Vorzüge und
Schwächen einer Dichtung. Hierdurch ist es dem attischen Publikum möglich
geworden, seine Dichter in scharfe Zucht zu nehmen und nicht bloß zügelnd,
sondern auch bestimmend auf sie einzuwirken.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/254>, abgerufen am 26.06.2024.