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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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Man hat es auffallend gefunden, daß zur Zeit der Reformation kein
einziger deutscher Bischof sich an dem Kampfe gegen die römischen Anmaßungen
betheiligte. Von diesem Kampfe allein reden wir hier; nicht von lutherisch
oder calvinisch werden. Dasselbe Schauspiel, daß eine ganze Generation
von Bischöfen die Wahrheit in einer entscheidenden welthistorischen Krise
verläßt, hat sich in unseren Tagen widerholt. Oder vielmehr ist das ein
neues Schauspiel, welches noch nicht da gewesen, daß dieselben Bischöfe,
welche zuerst den Maaßlosigkeiten des Vatikans Opposition gemacht, mit einer
unerhörten Schwenkung die standhaften Vertreter der Opposition mit kirchlichen
Censuren und Flüchen verdammen. Eine so höchst frappante fremdartige Er¬
scheinung muß doch ihre psychologischen Gründe haben, zunächst aber zu einer
Revue der gesammten bischöflichen Kirchengeschichte veranlassen. Bei einer
solchen Revue möchte es sich dann wohl herausstellen, daß es in allen Zeiten
viele Bischöfe gegeben hat, welche durch ihre Herrschsucht, ihre Beschränktheit
und ihren Fanatismus der Kirche mehr geschadet als genützt haben.

Und sollte das ein Wunder sein? Die menschliche Natur kann nun
einmal, wenn wir von höchst seltenen Ausnahmen absehen, eine solche
Stellung, wie sie den Bischöfen nach der Idee der göttlichen Stiftung, nach
der Successionstheorie gegeben ist, nicht ertragen. Der Bischof von dieser
Art fühlte sich berufen, sich als ein Glaubensherr, ja als ein Glaubens¬
herrscher zu erweisen. Da nun der christliche Geist als Geist des Nachdenkens,
der Erkenntniß, der Selbstbestimmung, der Menschenliebe durchaus ein Geist
der Freiheit ist, so ist schon mit der schiefen Stellung selber die Collision
gegeben. Selbst der Bischof nach der bloßen Idee der menschlichen Ordnung
wird sich nur moralisch recht auf den Beinen halten, wenn der Geist der
wissenschaftlichen Theologie seiner Frömmigkeit zur Seite steht. Daß aber
auch die ansehnlichste wissenschaftliche Rüstung einen klerikalen Bischof nicht
auf die Dauer aufrecht halten kann, hat die neueste Zeit gelehrt. Daher
hat sich denn auch das triste Verhältniß gebildet, daß in dieser Region
der unwissendste auch der unschuldigste ist, und der französische jedenfalls
patriotischer als der deutsche, wenngleich das französische episkopale Unisono
wie das deutsche einen furchtbaren moralischen Eindruck macht. Bei allen
Urtheilen über den ultramontanen Episcopat aber wird eine Entschuldigung
wohl zu viel außer Acht gelassen, nämlich der furchtbar fesselnde Eid, welchen
die Bischöfe dem Papste geschworen haben. Auf diesen Eid sollte sich das
Augenmerk des Jahrhunderts richten, wie auf den eigentlichsten Brennpunkt
aller Uebel. Freilich ist dieser Brennpunkt nur das Centrum zahlreicher-
Krankheitsursachen, unter denen die Ueberlassung der Kirche an die Weiber
Seitens der Indifferenz der Männer, und die Ueberlassung der Gemeine sogar
auch der Theologie an eine Ueberzahl talentloser Pfleger Seitens der


Man hat es auffallend gefunden, daß zur Zeit der Reformation kein
einziger deutscher Bischof sich an dem Kampfe gegen die römischen Anmaßungen
betheiligte. Von diesem Kampfe allein reden wir hier; nicht von lutherisch
oder calvinisch werden. Dasselbe Schauspiel, daß eine ganze Generation
von Bischöfen die Wahrheit in einer entscheidenden welthistorischen Krise
verläßt, hat sich in unseren Tagen widerholt. Oder vielmehr ist das ein
neues Schauspiel, welches noch nicht da gewesen, daß dieselben Bischöfe,
welche zuerst den Maaßlosigkeiten des Vatikans Opposition gemacht, mit einer
unerhörten Schwenkung die standhaften Vertreter der Opposition mit kirchlichen
Censuren und Flüchen verdammen. Eine so höchst frappante fremdartige Er¬
scheinung muß doch ihre psychologischen Gründe haben, zunächst aber zu einer
Revue der gesammten bischöflichen Kirchengeschichte veranlassen. Bei einer
solchen Revue möchte es sich dann wohl herausstellen, daß es in allen Zeiten
viele Bischöfe gegeben hat, welche durch ihre Herrschsucht, ihre Beschränktheit
und ihren Fanatismus der Kirche mehr geschadet als genützt haben.

Und sollte das ein Wunder sein? Die menschliche Natur kann nun
einmal, wenn wir von höchst seltenen Ausnahmen absehen, eine solche
Stellung, wie sie den Bischöfen nach der Idee der göttlichen Stiftung, nach
der Successionstheorie gegeben ist, nicht ertragen. Der Bischof von dieser
Art fühlte sich berufen, sich als ein Glaubensherr, ja als ein Glaubens¬
herrscher zu erweisen. Da nun der christliche Geist als Geist des Nachdenkens,
der Erkenntniß, der Selbstbestimmung, der Menschenliebe durchaus ein Geist
der Freiheit ist, so ist schon mit der schiefen Stellung selber die Collision
gegeben. Selbst der Bischof nach der bloßen Idee der menschlichen Ordnung
wird sich nur moralisch recht auf den Beinen halten, wenn der Geist der
wissenschaftlichen Theologie seiner Frömmigkeit zur Seite steht. Daß aber
auch die ansehnlichste wissenschaftliche Rüstung einen klerikalen Bischof nicht
auf die Dauer aufrecht halten kann, hat die neueste Zeit gelehrt. Daher
hat sich denn auch das triste Verhältniß gebildet, daß in dieser Region
der unwissendste auch der unschuldigste ist, und der französische jedenfalls
patriotischer als der deutsche, wenngleich das französische episkopale Unisono
wie das deutsche einen furchtbaren moralischen Eindruck macht. Bei allen
Urtheilen über den ultramontanen Episcopat aber wird eine Entschuldigung
wohl zu viel außer Acht gelassen, nämlich der furchtbar fesselnde Eid, welchen
die Bischöfe dem Papste geschworen haben. Auf diesen Eid sollte sich das
Augenmerk des Jahrhunderts richten, wie auf den eigentlichsten Brennpunkt
aller Uebel. Freilich ist dieser Brennpunkt nur das Centrum zahlreicher-
Krankheitsursachen, unter denen die Ueberlassung der Kirche an die Weiber
Seitens der Indifferenz der Männer, und die Ueberlassung der Gemeine sogar
auch der Theologie an eine Ueberzahl talentloser Pfleger Seitens der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/200>, abgerufen am 26.06.2024.