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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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des Episcopats eine Förderung der christlichen Cultur gewesen, ist sein
Bestehen ein Segen für die christliche Menschheit?

Eine orientirende Bemerkung möge die Frage einleiten. Es ist bekannt,
daß man die Stellung der Könige als eine sehr ernste und versuchungsvolle
bezeichnet hat. Indessen sind die Könige, wenn sie nicht in der Gestalt
orientalischer Despoten ihren Beruf und ihre Stellung mißbrauchen, in hohem
Maaße bedingt in ihrem Verhalten, vor allem durch das Urtheil und die
Stimmung ihrer Unterthanen, sowie durch die Forderungen der Politik.
Wie aber steht in dieser Beziehung der Bischof? Unter der Firma des
Theokraten ist er Autokrat in eminentester Sinne.

Doch unterscheiden wir zunächst zwischen dem nomineller Episcopat der
Bibel und dem realen Episcopat oder auktoritativem Machtwalten in der
Kirche. Unterscheiden wir ferner zwischen dem Episcopat nach protestantischen
Begriffen, wonach die bischöfliche Würde nur eine gedeihliche menschliche
Ordnung in der Kirche sein will, und zwischen der hochkirchlichen klerikalen
Ansicht, nach welcher diese Würde eine göttliche Stiftung ist und als solche
der einzige Kanal aller Gnaden und geistlichen Gaben und Rechte für das
christliche Volk und die Menschheit. Unterscheiden wir weiterhin das Bedürf¬
niß verschiedener Zeiten und endlich besonders auch den Unterschied zwischen
auserwählten und gemeinen Naturen im bischöflichen Ornat.

Die nähere Erörterung darüber, wie der nominelle biblische Episcopat
zunächst ein collektiver Begriff des Presbyteriums ist und am Ende der
ersten kirchlichen Periode höchstens der Begriff des ?rimus mehr pares, über¬
lassen wir hier der Theologie.

Was die bischöfliche Verfassung als eine gedeihliche menschliche und
kirchliche Ordnung anlangt, so wird dieselbe immer noch durch großartige
herrliche Charaktere empfohlen. Die skandinavische Kirche hat einen wahren
Kranz solcher Bischöfe aufzuweisen, z. B. den großen dänischen Theologen
Martensen, der viele deutsche Theologen reichlich aufwiegt; auch der jetzige
anglikanische Erzbischof von Canterbury, sowie der altkatholische Bischof
Retnkens sind hohe Zierden des Christenthums und der Kirche. Und so war
denn auch das bischöfliche Amt in der ersten Hälfte des Mtttelalters vielfach
ein Organ großen Segens, einerseits, weil der Begriff der bischöflichen
Autorität und Succession sich noch nicht verknöchert hatte, andererseits, weil
die christlichen Völker rives in hohem Maaße der pädagogischen Zucht und
selbst einer militärisch strammen Disciplin bedurften. Allein schon in der
zweiten Hälfte des Mittelalters wendete sich das Blatt. Die Volksgeister
wurden mündig, während die bisherigen Vormünder vielfach mit einem hohen
Grade von intellektueller Unmündigkeit ihre Ansprüche auf das Recht einer
ewigen absoluten Vormundschaft steigerten.


des Episcopats eine Förderung der christlichen Cultur gewesen, ist sein
Bestehen ein Segen für die christliche Menschheit?

Eine orientirende Bemerkung möge die Frage einleiten. Es ist bekannt,
daß man die Stellung der Könige als eine sehr ernste und versuchungsvolle
bezeichnet hat. Indessen sind die Könige, wenn sie nicht in der Gestalt
orientalischer Despoten ihren Beruf und ihre Stellung mißbrauchen, in hohem
Maaße bedingt in ihrem Verhalten, vor allem durch das Urtheil und die
Stimmung ihrer Unterthanen, sowie durch die Forderungen der Politik.
Wie aber steht in dieser Beziehung der Bischof? Unter der Firma des
Theokraten ist er Autokrat in eminentester Sinne.

Doch unterscheiden wir zunächst zwischen dem nomineller Episcopat der
Bibel und dem realen Episcopat oder auktoritativem Machtwalten in der
Kirche. Unterscheiden wir ferner zwischen dem Episcopat nach protestantischen
Begriffen, wonach die bischöfliche Würde nur eine gedeihliche menschliche
Ordnung in der Kirche sein will, und zwischen der hochkirchlichen klerikalen
Ansicht, nach welcher diese Würde eine göttliche Stiftung ist und als solche
der einzige Kanal aller Gnaden und geistlichen Gaben und Rechte für das
christliche Volk und die Menschheit. Unterscheiden wir weiterhin das Bedürf¬
niß verschiedener Zeiten und endlich besonders auch den Unterschied zwischen
auserwählten und gemeinen Naturen im bischöflichen Ornat.

Die nähere Erörterung darüber, wie der nominelle biblische Episcopat
zunächst ein collektiver Begriff des Presbyteriums ist und am Ende der
ersten kirchlichen Periode höchstens der Begriff des ?rimus mehr pares, über¬
lassen wir hier der Theologie.

Was die bischöfliche Verfassung als eine gedeihliche menschliche und
kirchliche Ordnung anlangt, so wird dieselbe immer noch durch großartige
herrliche Charaktere empfohlen. Die skandinavische Kirche hat einen wahren
Kranz solcher Bischöfe aufzuweisen, z. B. den großen dänischen Theologen
Martensen, der viele deutsche Theologen reichlich aufwiegt; auch der jetzige
anglikanische Erzbischof von Canterbury, sowie der altkatholische Bischof
Retnkens sind hohe Zierden des Christenthums und der Kirche. Und so war
denn auch das bischöfliche Amt in der ersten Hälfte des Mtttelalters vielfach
ein Organ großen Segens, einerseits, weil der Begriff der bischöflichen
Autorität und Succession sich noch nicht verknöchert hatte, andererseits, weil
die christlichen Völker rives in hohem Maaße der pädagogischen Zucht und
selbst einer militärisch strammen Disciplin bedurften. Allein schon in der
zweiten Hälfte des Mittelalters wendete sich das Blatt. Die Volksgeister
wurden mündig, während die bisherigen Vormünder vielfach mit einem hohen
Grade von intellektueller Unmündigkeit ihre Ansprüche auf das Recht einer
ewigen absoluten Vormundschaft steigerten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/199>, abgerufen am 29.06.2024.