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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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machte, gab dem Phokion Anlaß zu dem Spott: "es verlohnt sich wirklich auf
dessen Rath hin den Krieg zu beschließen; denn was wird der machen, wenn
er erst Panzer und Schild trägt, da er beim Vortrage seiner zu Hause aus¬
gearbeiteten Rede beinahe erstickt?" Von den andern Vertretern der patrio¬
tischen Partei kennen wir kaum mehr als Namen, diese allerdings in ziem¬
licher Zahl; den sittlich anrüchigen Timarchos, den Demosthenes in seiner
früheren Zeit, wo noch nicht so viele Mitstreiter um ihn geschaart waren,
bei seiner Anklage gegen Aischines zum Genossen nahm, und den dann dieser
stürzte, werden wir noch nachher erwähnen.

Kaum geringer ist die Zahl der Redner auf der andern Seite, und groß
auch hier die Verschiedenheit der Charaktere, wiewohl, wie ich im Anfang
angedeutet, ein schwerer Makel schon der Partei als solcher anhängt, und
nur durch besondere Eigenthümlichkeit des Geistes und der Bildung ein ehr¬
licher und wohlmeinender Mann, wie Phokion, sich unter sie verirren konnte.
Denn die ganze Partei trifft das, was Demosthenes gegen Aischines sagt:
er habe, so lange die Vaterstadt in ihren Unternehmungen Glück und Erfolg
hatte, das Leben eines Hasen geführt, in beständiger Angst und Zittern, daß
man ihn zur Veranrwortung ziehe, mit dem öffentlichen Unglück aber habe
er aufgeathmet und sei groß und mächtig geworden. Anderswo als in der atheni¬
schen Demokratie, wo die Redefreiheit für die Schlechtesten fast am größten
war, und wo die Bürgerschaft im allgemeinen solche Unbeständigkeit und
Charakterlosigkeit zeigte, daß sich je nach Umständen die trotzigsten und kühn¬
sten und wiederum die verworfensten und schmachvollsten Volksbeschlüsse durch¬
sehen ließen, hätten Leute wie Aischines und Demades nicht so lange sich
halten und verhältnißmäßig unangefochten durchkommen können. Nun aber
war es allezeit in Athen lohnend und ungefährlich, das hervorragende Ver¬
dienst und die Tugend herunterzuziehen und anzufeinden; denn auch dies
schmeichelte der demokratischen Menge, die ungern irgend jemanden über sich
sah. Und besser noch lohnte es, immer für Frieden und Ruhe und Genuß
zu reden, statt für Krieg und Anstrengung und Opfer; hat doch Demades
dafür, daß er nach Chaironeia einen leidlichen Frieden durch seine Unterhand¬
lung erreichte -- leidlich für den, dem an der Ehre nichts lag -- bei Leb¬
zeiten die höchsten bürgerlichen Ehren erlangt, die dem Demosthenes und Ly-
kurgos lange nach ihrem Tode wurden, früher aber nur solchen, die durch
Kriegsthaten Athens Macht und Herrschaft gemehrr, wie Timotheos und
Chabrias, gewährt worden waren- Freilich blieben dafür Demosthenes' Ehren
für alle Zeit, wogegen Demades' Erzstandbild alsbald nach seinem Tode zu
niedrigem Gebrauche eingeschmolzen wurde.

Die beiden genannten Redner, Aischines und Demades, waren in
der Partei durch Talent und Wirksamkeit die bedeutendsten; namentlich war


machte, gab dem Phokion Anlaß zu dem Spott: „es verlohnt sich wirklich auf
dessen Rath hin den Krieg zu beschließen; denn was wird der machen, wenn
er erst Panzer und Schild trägt, da er beim Vortrage seiner zu Hause aus¬
gearbeiteten Rede beinahe erstickt?" Von den andern Vertretern der patrio¬
tischen Partei kennen wir kaum mehr als Namen, diese allerdings in ziem¬
licher Zahl; den sittlich anrüchigen Timarchos, den Demosthenes in seiner
früheren Zeit, wo noch nicht so viele Mitstreiter um ihn geschaart waren,
bei seiner Anklage gegen Aischines zum Genossen nahm, und den dann dieser
stürzte, werden wir noch nachher erwähnen.

Kaum geringer ist die Zahl der Redner auf der andern Seite, und groß
auch hier die Verschiedenheit der Charaktere, wiewohl, wie ich im Anfang
angedeutet, ein schwerer Makel schon der Partei als solcher anhängt, und
nur durch besondere Eigenthümlichkeit des Geistes und der Bildung ein ehr¬
licher und wohlmeinender Mann, wie Phokion, sich unter sie verirren konnte.
Denn die ganze Partei trifft das, was Demosthenes gegen Aischines sagt:
er habe, so lange die Vaterstadt in ihren Unternehmungen Glück und Erfolg
hatte, das Leben eines Hasen geführt, in beständiger Angst und Zittern, daß
man ihn zur Veranrwortung ziehe, mit dem öffentlichen Unglück aber habe
er aufgeathmet und sei groß und mächtig geworden. Anderswo als in der atheni¬
schen Demokratie, wo die Redefreiheit für die Schlechtesten fast am größten
war, und wo die Bürgerschaft im allgemeinen solche Unbeständigkeit und
Charakterlosigkeit zeigte, daß sich je nach Umständen die trotzigsten und kühn¬
sten und wiederum die verworfensten und schmachvollsten Volksbeschlüsse durch¬
sehen ließen, hätten Leute wie Aischines und Demades nicht so lange sich
halten und verhältnißmäßig unangefochten durchkommen können. Nun aber
war es allezeit in Athen lohnend und ungefährlich, das hervorragende Ver¬
dienst und die Tugend herunterzuziehen und anzufeinden; denn auch dies
schmeichelte der demokratischen Menge, die ungern irgend jemanden über sich
sah. Und besser noch lohnte es, immer für Frieden und Ruhe und Genuß
zu reden, statt für Krieg und Anstrengung und Opfer; hat doch Demades
dafür, daß er nach Chaironeia einen leidlichen Frieden durch seine Unterhand¬
lung erreichte — leidlich für den, dem an der Ehre nichts lag — bei Leb¬
zeiten die höchsten bürgerlichen Ehren erlangt, die dem Demosthenes und Ly-
kurgos lange nach ihrem Tode wurden, früher aber nur solchen, die durch
Kriegsthaten Athens Macht und Herrschaft gemehrr, wie Timotheos und
Chabrias, gewährt worden waren- Freilich blieben dafür Demosthenes' Ehren
für alle Zeit, wogegen Demades' Erzstandbild alsbald nach seinem Tode zu
niedrigem Gebrauche eingeschmolzen wurde.

Die beiden genannten Redner, Aischines und Demades, waren in
der Partei durch Talent und Wirksamkeit die bedeutendsten; namentlich war


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/20>, abgerufen am 26.06.2024.