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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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ihre Redegabe so außerordentlich, daß Aischines, trotz der mangelnden rheto¬
rischen Bildung, mit Demosthenes nicht ganz unglücklich wetteiferte, Demades
aber ohne alle Bildung und ohne jede Mühe den Demosthenes in der Meinung
mancher Zeitgenossen sogar übertraf. Bei ihm war alles extemporirt, alles
urkräftige Natur; um das Aufschreiben seiner Reden vor- oder nachher küm¬
merte er sich so wenig, wie er sich überhaupt um Nachruhm und Nachwelt
kümmerte. So sind denn von seinen originellen Ausdrücken und Bergleichen
nur spärliche Reste auf uns gekommen: wie daß er auf die ersten Gerüchte
von Alexander's Tode in der Volksversammlung gesagt! ..Alexander ist nicht
todt, ihr Männer von Athen; der Erdkreis würde nach dem Leichnam riechen."
und wiederum von Athen: "nicht die streitbare Stadt der Vorfahren habe ich
zu leiten überkommen, sondern ein altes Weib, die weiche Schuhe an hat
und ihren Gerstenbrei schlürft." mit Anspielung auf die zahlreichen Feste, an
denen sich das Volk auf Staatskosten speisen ließ. Ganz das Gegentheil
dieses scurrilen Tones zeigt Aischines, der als ehemaliger tragischer Schau¬
spieler stets Anstand und Würde, oft auch Pathos und sogar durchaus hohles
Pathos zur Schau trägt. Ein ähnlicher Gegensatz ist auch zwischen dem per¬
sönlichen Charakter beider Männer, insofern der eine ein verschlagener Heuchler,
der andre ehrlich und offen bis zur Schamlosigkeit war. einer von den Erzeug¬
nissen der Ochlokratie, welche, wie die Alten sagen, nicht bloß schlecht waren,
sondern sich auch als schlecht bekannten. So soll er. wie der Römer G. Grac-
chus erzählt, als in seiner Gegenwart ein tragischer Schauspieler sich rühmte,
daß er für eine einzige Vorstellung ein ganzes Talent (1360 Thlr.) erhalten,
spottend entgegnet haben: das scheint dir groß, daß durch soviel Schreien ein
Talent erworben? Ich habe für Schweigen vom Könige zehn bekommen."
Nicht minder schamlos ist seine Aeußerung über das Zuschieben u,ut Leisten
des Eides in Privathändeln: man müsse dabei wie in allen andern Dingen
das Nützlichste wählen: nun habe der. welcher den falschen Eid schwöre, als¬
bald das streitige Object gewonnen, dagegen der, welcher schwören lasse, gehe eben
so erklärlich des Seinigen verlustig. Bei einer solchen Denkweise versteht es sich
von selbst, daß er als Staatsmann leitende Ideen und eine bestimmte Politik
nicht hatte, sondern nach Umständen dies und wiederum jenes verfocht, gleich¬
wie er selbst äußerte, er habe sich selbst oft widersprochen, dem Vortheil des
Staates aber niemals. Um ganz offen zu sein, hätte er freilich "dem eignen
Vortheil" sagen müssen. So gelangte er aus den dürftigsten Umständen --
sein Vater war Schiffer gewesen -- durch die Gunst der auswärtigen
Mächtigen zu Wohlleben und Reichthum, so daß er wie unter anderm Plu-
tarch erzählt, bei der Hochzeit seines Sohnes zu demselben sagen konnte: "als
ich deine Mutter heirathete, merkte nicht einmal der Nachbar davon; bei deiner
Hochzeit aber geben Könige und Fürsten die Ausstattung." Trotz seiner Ver-


ihre Redegabe so außerordentlich, daß Aischines, trotz der mangelnden rheto¬
rischen Bildung, mit Demosthenes nicht ganz unglücklich wetteiferte, Demades
aber ohne alle Bildung und ohne jede Mühe den Demosthenes in der Meinung
mancher Zeitgenossen sogar übertraf. Bei ihm war alles extemporirt, alles
urkräftige Natur; um das Aufschreiben seiner Reden vor- oder nachher küm¬
merte er sich so wenig, wie er sich überhaupt um Nachruhm und Nachwelt
kümmerte. So sind denn von seinen originellen Ausdrücken und Bergleichen
nur spärliche Reste auf uns gekommen: wie daß er auf die ersten Gerüchte
von Alexander's Tode in der Volksversammlung gesagt! ..Alexander ist nicht
todt, ihr Männer von Athen; der Erdkreis würde nach dem Leichnam riechen."
und wiederum von Athen: „nicht die streitbare Stadt der Vorfahren habe ich
zu leiten überkommen, sondern ein altes Weib, die weiche Schuhe an hat
und ihren Gerstenbrei schlürft." mit Anspielung auf die zahlreichen Feste, an
denen sich das Volk auf Staatskosten speisen ließ. Ganz das Gegentheil
dieses scurrilen Tones zeigt Aischines, der als ehemaliger tragischer Schau¬
spieler stets Anstand und Würde, oft auch Pathos und sogar durchaus hohles
Pathos zur Schau trägt. Ein ähnlicher Gegensatz ist auch zwischen dem per¬
sönlichen Charakter beider Männer, insofern der eine ein verschlagener Heuchler,
der andre ehrlich und offen bis zur Schamlosigkeit war. einer von den Erzeug¬
nissen der Ochlokratie, welche, wie die Alten sagen, nicht bloß schlecht waren,
sondern sich auch als schlecht bekannten. So soll er. wie der Römer G. Grac-
chus erzählt, als in seiner Gegenwart ein tragischer Schauspieler sich rühmte,
daß er für eine einzige Vorstellung ein ganzes Talent (1360 Thlr.) erhalten,
spottend entgegnet haben: das scheint dir groß, daß durch soviel Schreien ein
Talent erworben? Ich habe für Schweigen vom Könige zehn bekommen."
Nicht minder schamlos ist seine Aeußerung über das Zuschieben u,ut Leisten
des Eides in Privathändeln: man müsse dabei wie in allen andern Dingen
das Nützlichste wählen: nun habe der. welcher den falschen Eid schwöre, als¬
bald das streitige Object gewonnen, dagegen der, welcher schwören lasse, gehe eben
so erklärlich des Seinigen verlustig. Bei einer solchen Denkweise versteht es sich
von selbst, daß er als Staatsmann leitende Ideen und eine bestimmte Politik
nicht hatte, sondern nach Umständen dies und wiederum jenes verfocht, gleich¬
wie er selbst äußerte, er habe sich selbst oft widersprochen, dem Vortheil des
Staates aber niemals. Um ganz offen zu sein, hätte er freilich „dem eignen
Vortheil" sagen müssen. So gelangte er aus den dürftigsten Umständen —
sein Vater war Schiffer gewesen — durch die Gunst der auswärtigen
Mächtigen zu Wohlleben und Reichthum, so daß er wie unter anderm Plu-
tarch erzählt, bei der Hochzeit seines Sohnes zu demselben sagen konnte: „als
ich deine Mutter heirathete, merkte nicht einmal der Nachbar davon; bei deiner
Hochzeit aber geben Könige und Fürsten die Ausstattung." Trotz seiner Ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/21>, abgerufen am 26.06.2024.