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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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weil sich der Boden für Rechtsstreitigkeiten besonders günstig zeigte, als weil
unsere Advokaten unter dem Schutze völliger Taxfreiheit stehen, eine
Einrichtung, die, soviel wir wissen, in Deutschland nicht zum zweiten Male
vorkommt und im Publikum auch keine guten Freunde hat. Die Reichs¬
gesetzgebung wird ihr wahrscheinlich ein Ende machen; indessen ist das
Experiment ohne Zweifel gut gemeint gewesen, denn es war nicht etwa ein
Advokatenlandtag, sondern das Staatsministerium selbst, welches schon vor
länger als einem Jahrzehnt die Initiative zur Einführung der Taxfreiheit
ergriff und mit ihr ein schwieriges legislatorisches Problem zu lösen glaubte.

Auch die "freie Advokatur", die auf dem Programm der liberalen
Parteien steht, besitzt Coburg-Gotha schon lange: Rechtsanwalt kann Jeder
werden, der die Befähigung zum Richter hat, und diese wird nach unserer
Gesetzgebung über die juristischen Staatsprüfungen in der Regel schon im
23. bis 26. Lebensjahre -- nach unserer Anschauung etwas zu bald --.
"rlangt. Ein so frühzeitiger Zugang zur anwaltschaftlichen Berufsthätigkeit
ist, wie die hier gemachten Erfahrungen beweisen, ganz dazu angethan, dem
Staatsdienste die strebsamsten, rührigsten Elemente vollends abwendig zu
machen, zugleich aber auch die Reihen der Advokatur so zu füllen, daß in ihr
sehr zum Nachtheile ihres Ansehens ein gewisses industriell-betriebsames Jagen
und Haschen nach Erwerb immer mehr in den Bordergrund tritt. Wir
gedenken mit dieser Bemerkung nicht etwa die "freie Advokatur" zu bekämpfen,
aber wir meinen, daß dieselbe, abgesehen von dem Erfordernisse eines längeren
Vorbereitungsdienstes, nur dann am Platze ist, wenn ihr ein Sta atsdie use
gegenüber steht, dessen Aussichten im Großen und Ganzen
denen des Ano altsberuss die Waage halten; nur dann werden die
Kräfte sich zum Wohle des Staates und seiner Angehörigen auf beide Zweige
des Rechtslebens gleichmäßig vertheilen.

Hemmender noch als den vorzugsweise sogenannten Staatsdienern macht
sich die Enge der Verhältnisse den Lehrern an den höheren Bildung s-
anstalten fühlbar. Ein großer Staat eröffnet in einer Mehrzahl solcher
Anstalten unter einer gemeinsamen Oberbehörde den Lehrkräften ein geräumiges
Feld des Wetteifers und des Fortkommens; in Coburg und in Gotha steht
jedes der beiden Gymnasien und ebenso die Coburger Realschule vereinzelt
für sich da, nicht als Glied eines organisirten, innerlich zusammenhängenden
größeren Schulwesens. So sitzen hier und dort die Lehrer wie auf einsamen,
verlorenen Posten, in der Regel ungenannt und ungekannt außerhalb ihres
Wohnortes. Es gehört zu den Aufsehen machenden Ereignissen, wenn ja
einmal zu einem derselben ein Ruf nach außen dringt: der Gelehrte, welcher
einer Schule in Coburg-Gotha seine Dienste widmet, bleibt ihr mit den
seltensten Ausnahmen verschrieben bis ans Ende seiner Tage; er kann zwar


weil sich der Boden für Rechtsstreitigkeiten besonders günstig zeigte, als weil
unsere Advokaten unter dem Schutze völliger Taxfreiheit stehen, eine
Einrichtung, die, soviel wir wissen, in Deutschland nicht zum zweiten Male
vorkommt und im Publikum auch keine guten Freunde hat. Die Reichs¬
gesetzgebung wird ihr wahrscheinlich ein Ende machen; indessen ist das
Experiment ohne Zweifel gut gemeint gewesen, denn es war nicht etwa ein
Advokatenlandtag, sondern das Staatsministerium selbst, welches schon vor
länger als einem Jahrzehnt die Initiative zur Einführung der Taxfreiheit
ergriff und mit ihr ein schwieriges legislatorisches Problem zu lösen glaubte.

Auch die „freie Advokatur", die auf dem Programm der liberalen
Parteien steht, besitzt Coburg-Gotha schon lange: Rechtsanwalt kann Jeder
werden, der die Befähigung zum Richter hat, und diese wird nach unserer
Gesetzgebung über die juristischen Staatsprüfungen in der Regel schon im
23. bis 26. Lebensjahre — nach unserer Anschauung etwas zu bald —.
»rlangt. Ein so frühzeitiger Zugang zur anwaltschaftlichen Berufsthätigkeit
ist, wie die hier gemachten Erfahrungen beweisen, ganz dazu angethan, dem
Staatsdienste die strebsamsten, rührigsten Elemente vollends abwendig zu
machen, zugleich aber auch die Reihen der Advokatur so zu füllen, daß in ihr
sehr zum Nachtheile ihres Ansehens ein gewisses industriell-betriebsames Jagen
und Haschen nach Erwerb immer mehr in den Bordergrund tritt. Wir
gedenken mit dieser Bemerkung nicht etwa die „freie Advokatur" zu bekämpfen,
aber wir meinen, daß dieselbe, abgesehen von dem Erfordernisse eines längeren
Vorbereitungsdienstes, nur dann am Platze ist, wenn ihr ein Sta atsdie use
gegenüber steht, dessen Aussichten im Großen und Ganzen
denen des Ano altsberuss die Waage halten; nur dann werden die
Kräfte sich zum Wohle des Staates und seiner Angehörigen auf beide Zweige
des Rechtslebens gleichmäßig vertheilen.

Hemmender noch als den vorzugsweise sogenannten Staatsdienern macht
sich die Enge der Verhältnisse den Lehrern an den höheren Bildung s-
anstalten fühlbar. Ein großer Staat eröffnet in einer Mehrzahl solcher
Anstalten unter einer gemeinsamen Oberbehörde den Lehrkräften ein geräumiges
Feld des Wetteifers und des Fortkommens; in Coburg und in Gotha steht
jedes der beiden Gymnasien und ebenso die Coburger Realschule vereinzelt
für sich da, nicht als Glied eines organisirten, innerlich zusammenhängenden
größeren Schulwesens. So sitzen hier und dort die Lehrer wie auf einsamen,
verlorenen Posten, in der Regel ungenannt und ungekannt außerhalb ihres
Wohnortes. Es gehört zu den Aufsehen machenden Ereignissen, wenn ja
einmal zu einem derselben ein Ruf nach außen dringt: der Gelehrte, welcher
einer Schule in Coburg-Gotha seine Dienste widmet, bleibt ihr mit den
seltensten Ausnahmen verschrieben bis ans Ende seiner Tage; er kann zwar


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/191>, abgerufen am 28.09.2024.