Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Harpalos, welcher sich, seine Schätze und sein Heer Athen anbot, gemeinsame
Sache machen und einen allgemeinen Aufstand gegen Alexander hervorrufen;
Demosthenes in Gegentheil, der damals noch Leiter der Bürgerschaft war,
bewirkte durch einen Volksbeschluß die Verhaftung des ohne Mannschaft nach
Athen gekommenen Flüchtlings und die Beschlagnahme der von ihm mitge¬
brachten Gelder, womit jene geplante Erhebung völlig unmöglich wurde.
Daß Demosthenes richtig handelte und seine Vaterstadt vor einer furchtbaren
Gefahr behütete, unterliegt uns keinem Zweifel; Hypereides aber begriff das
nicht, und in der Ueberzeugung, daß Demosthones bestochen im Interesse Ale-
randers handle, wandte er sich gegen ihn und betrieb seinen Sturz, wozu
ihm die Untersuchung über die an Harpalos' Schätzen fehlenden Summen die
Gelegenheit bot. Es ist nun heutzutage ziemlich allgemein anerkannt, daß
das Urtheil, welches über Demosthenes wegen Bestechung durch Harpalos eine
schwere Geldbuße verhängte und ihn dadurch in die Verbannung trieb, ein
durchaus ungerechtes war; die Athener selber gestanden dies zu, indem sie,
sowie die politischen Verhältnisse einen Umschwung erfuhren, das durch Ten¬
denz und Rücksicht bewirkte Urtheil soweit aufhoben, wie das nach den Ge¬
setzen möglich war. Die von Hypereides damals wider Demosthenes gehaltene
Rede liegt uns jetzt wenigstens in Bruchstücken vor, und sie bestätigt durch¬
aus, was Demosthenes in seinen Briefen sagt, daß keinerlei Beweise gegen
ihn vorgebracht seien. Hypereides steht auch in der harpalischen Sache, gleich¬
wie vorher, stets über allem Verdacht eigner Bestechlichkeit, und er hat weder,
wie wohl mancher Andre, zur Verheimlichung eigner Schuld noch sonst aus
verwerflichen Rücksichten den Demosthenes angeklagt, aber der Vorwurf der
Leidenschaftlichkeit und Unüberlegtheit trifft ihn um so mehr, als er sich selber
sagen mußte, daß der Sturz des Demosthenes lediglich den Makedonien und
ihren Parteigängern zu Gute kommen konnte. Denn auch Lykurgos war kurz
zuvor gestorben, und zahlreiche andre Männer der patriotischen Partei waren
demselben schon vorangegangen; allein konnte Hypereides die Partei nicht
halten. Wer weiß, was noch geschehen wäre, wenn nicht auf einmal die un¬
geheure Kunde von Alexanders Tode die ganze Lage der Dinge verändert, und
den letzten hellenischen Befreiungsversuch, den lamischen Krieg, hervorgerufen
hätte. Auch dieser Versuch war, wie der Erfolg und die weitere Entwickelung
bewies, noch voreilig, und Demosthenes, zur Zeit der Kriegserklärung in der
Verbannung, hätte, wenn er gekonnt, vielleicht abgerathen. Anders Hype¬
reides , der indeß bei allem Kriegseifer und bei aller Thätigkeit auch jetzt nicht
der eigentliche Urheber des Krieges und der leitende Berather der Bürgerschaft
war, vielmehr selber, in selner auf die Gefallenen des ersten Kriegsjahres
gehaltenen Grabrede, diese Ehre dem Leosthenes läßt: Der Tod dieses Feld¬
herrn entschied wesentlich über den Ausgang des Krieges und über Grie-


Harpalos, welcher sich, seine Schätze und sein Heer Athen anbot, gemeinsame
Sache machen und einen allgemeinen Aufstand gegen Alexander hervorrufen;
Demosthenes in Gegentheil, der damals noch Leiter der Bürgerschaft war,
bewirkte durch einen Volksbeschluß die Verhaftung des ohne Mannschaft nach
Athen gekommenen Flüchtlings und die Beschlagnahme der von ihm mitge¬
brachten Gelder, womit jene geplante Erhebung völlig unmöglich wurde.
Daß Demosthenes richtig handelte und seine Vaterstadt vor einer furchtbaren
Gefahr behütete, unterliegt uns keinem Zweifel; Hypereides aber begriff das
nicht, und in der Ueberzeugung, daß Demosthones bestochen im Interesse Ale-
randers handle, wandte er sich gegen ihn und betrieb seinen Sturz, wozu
ihm die Untersuchung über die an Harpalos' Schätzen fehlenden Summen die
Gelegenheit bot. Es ist nun heutzutage ziemlich allgemein anerkannt, daß
das Urtheil, welches über Demosthenes wegen Bestechung durch Harpalos eine
schwere Geldbuße verhängte und ihn dadurch in die Verbannung trieb, ein
durchaus ungerechtes war; die Athener selber gestanden dies zu, indem sie,
sowie die politischen Verhältnisse einen Umschwung erfuhren, das durch Ten¬
denz und Rücksicht bewirkte Urtheil soweit aufhoben, wie das nach den Ge¬
setzen möglich war. Die von Hypereides damals wider Demosthenes gehaltene
Rede liegt uns jetzt wenigstens in Bruchstücken vor, und sie bestätigt durch¬
aus, was Demosthenes in seinen Briefen sagt, daß keinerlei Beweise gegen
ihn vorgebracht seien. Hypereides steht auch in der harpalischen Sache, gleich¬
wie vorher, stets über allem Verdacht eigner Bestechlichkeit, und er hat weder,
wie wohl mancher Andre, zur Verheimlichung eigner Schuld noch sonst aus
verwerflichen Rücksichten den Demosthenes angeklagt, aber der Vorwurf der
Leidenschaftlichkeit und Unüberlegtheit trifft ihn um so mehr, als er sich selber
sagen mußte, daß der Sturz des Demosthenes lediglich den Makedonien und
ihren Parteigängern zu Gute kommen konnte. Denn auch Lykurgos war kurz
zuvor gestorben, und zahlreiche andre Männer der patriotischen Partei waren
demselben schon vorangegangen; allein konnte Hypereides die Partei nicht
halten. Wer weiß, was noch geschehen wäre, wenn nicht auf einmal die un¬
geheure Kunde von Alexanders Tode die ganze Lage der Dinge verändert, und
den letzten hellenischen Befreiungsversuch, den lamischen Krieg, hervorgerufen
hätte. Auch dieser Versuch war, wie der Erfolg und die weitere Entwickelung
bewies, noch voreilig, und Demosthenes, zur Zeit der Kriegserklärung in der
Verbannung, hätte, wenn er gekonnt, vielleicht abgerathen. Anders Hype¬
reides , der indeß bei allem Kriegseifer und bei aller Thätigkeit auch jetzt nicht
der eigentliche Urheber des Krieges und der leitende Berather der Bürgerschaft
war, vielmehr selber, in selner auf die Gefallenen des ersten Kriegsjahres
gehaltenen Grabrede, diese Ehre dem Leosthenes läßt: Der Tod dieses Feld¬
herrn entschied wesentlich über den Ausgang des Krieges und über Grie-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0018" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133836"/>
          <p xml:id="ID_18" prev="#ID_17" next="#ID_19"> Harpalos, welcher sich, seine Schätze und sein Heer Athen anbot, gemeinsame<lb/>
Sache machen und einen allgemeinen Aufstand gegen Alexander hervorrufen;<lb/>
Demosthenes in Gegentheil, der damals noch Leiter der Bürgerschaft war,<lb/>
bewirkte durch einen Volksbeschluß die Verhaftung des ohne Mannschaft nach<lb/>
Athen gekommenen Flüchtlings und die Beschlagnahme der von ihm mitge¬<lb/>
brachten Gelder, womit jene geplante Erhebung völlig unmöglich wurde.<lb/>
Daß Demosthenes richtig handelte und seine Vaterstadt vor einer furchtbaren<lb/>
Gefahr behütete, unterliegt uns keinem Zweifel; Hypereides aber begriff das<lb/>
nicht, und in der Ueberzeugung, daß Demosthones bestochen im Interesse Ale-<lb/>
randers handle, wandte er sich gegen ihn und betrieb seinen Sturz, wozu<lb/>
ihm die Untersuchung über die an Harpalos' Schätzen fehlenden Summen die<lb/>
Gelegenheit bot. Es ist nun heutzutage ziemlich allgemein anerkannt, daß<lb/>
das Urtheil, welches über Demosthenes wegen Bestechung durch Harpalos eine<lb/>
schwere Geldbuße verhängte und ihn dadurch in die Verbannung trieb, ein<lb/>
durchaus ungerechtes war; die Athener selber gestanden dies zu, indem sie,<lb/>
sowie die politischen Verhältnisse einen Umschwung erfuhren, das durch Ten¬<lb/>
denz und Rücksicht bewirkte Urtheil soweit aufhoben, wie das nach den Ge¬<lb/>
setzen möglich war. Die von Hypereides damals wider Demosthenes gehaltene<lb/>
Rede liegt uns jetzt wenigstens in Bruchstücken vor, und sie bestätigt durch¬<lb/>
aus, was Demosthenes in seinen Briefen sagt, daß keinerlei Beweise gegen<lb/>
ihn vorgebracht seien. Hypereides steht auch in der harpalischen Sache, gleich¬<lb/>
wie vorher, stets über allem Verdacht eigner Bestechlichkeit, und er hat weder,<lb/>
wie wohl mancher Andre, zur Verheimlichung eigner Schuld noch sonst aus<lb/>
verwerflichen Rücksichten den Demosthenes angeklagt, aber der Vorwurf der<lb/>
Leidenschaftlichkeit und Unüberlegtheit trifft ihn um so mehr, als er sich selber<lb/>
sagen mußte, daß der Sturz des Demosthenes lediglich den Makedonien und<lb/>
ihren Parteigängern zu Gute kommen konnte. Denn auch Lykurgos war kurz<lb/>
zuvor gestorben, und zahlreiche andre Männer der patriotischen Partei waren<lb/>
demselben schon vorangegangen; allein konnte Hypereides die Partei nicht<lb/>
halten. Wer weiß, was noch geschehen wäre, wenn nicht auf einmal die un¬<lb/>
geheure Kunde von Alexanders Tode die ganze Lage der Dinge verändert, und<lb/>
den letzten hellenischen Befreiungsversuch, den lamischen Krieg, hervorgerufen<lb/>
hätte. Auch dieser Versuch war, wie der Erfolg und die weitere Entwickelung<lb/>
bewies, noch voreilig, und Demosthenes, zur Zeit der Kriegserklärung in der<lb/>
Verbannung, hätte, wenn er gekonnt, vielleicht abgerathen. Anders Hype¬<lb/>
reides , der indeß bei allem Kriegseifer und bei aller Thätigkeit auch jetzt nicht<lb/>
der eigentliche Urheber des Krieges und der leitende Berather der Bürgerschaft<lb/>
war, vielmehr selber, in selner auf die Gefallenen des ersten Kriegsjahres<lb/>
gehaltenen Grabrede, diese Ehre dem Leosthenes läßt: Der Tod dieses Feld¬<lb/>
herrn entschied wesentlich über den Ausgang des Krieges und über Grie-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0018] Harpalos, welcher sich, seine Schätze und sein Heer Athen anbot, gemeinsame Sache machen und einen allgemeinen Aufstand gegen Alexander hervorrufen; Demosthenes in Gegentheil, der damals noch Leiter der Bürgerschaft war, bewirkte durch einen Volksbeschluß die Verhaftung des ohne Mannschaft nach Athen gekommenen Flüchtlings und die Beschlagnahme der von ihm mitge¬ brachten Gelder, womit jene geplante Erhebung völlig unmöglich wurde. Daß Demosthenes richtig handelte und seine Vaterstadt vor einer furchtbaren Gefahr behütete, unterliegt uns keinem Zweifel; Hypereides aber begriff das nicht, und in der Ueberzeugung, daß Demosthones bestochen im Interesse Ale- randers handle, wandte er sich gegen ihn und betrieb seinen Sturz, wozu ihm die Untersuchung über die an Harpalos' Schätzen fehlenden Summen die Gelegenheit bot. Es ist nun heutzutage ziemlich allgemein anerkannt, daß das Urtheil, welches über Demosthenes wegen Bestechung durch Harpalos eine schwere Geldbuße verhängte und ihn dadurch in die Verbannung trieb, ein durchaus ungerechtes war; die Athener selber gestanden dies zu, indem sie, sowie die politischen Verhältnisse einen Umschwung erfuhren, das durch Ten¬ denz und Rücksicht bewirkte Urtheil soweit aufhoben, wie das nach den Ge¬ setzen möglich war. Die von Hypereides damals wider Demosthenes gehaltene Rede liegt uns jetzt wenigstens in Bruchstücken vor, und sie bestätigt durch¬ aus, was Demosthenes in seinen Briefen sagt, daß keinerlei Beweise gegen ihn vorgebracht seien. Hypereides steht auch in der harpalischen Sache, gleich¬ wie vorher, stets über allem Verdacht eigner Bestechlichkeit, und er hat weder, wie wohl mancher Andre, zur Verheimlichung eigner Schuld noch sonst aus verwerflichen Rücksichten den Demosthenes angeklagt, aber der Vorwurf der Leidenschaftlichkeit und Unüberlegtheit trifft ihn um so mehr, als er sich selber sagen mußte, daß der Sturz des Demosthenes lediglich den Makedonien und ihren Parteigängern zu Gute kommen konnte. Denn auch Lykurgos war kurz zuvor gestorben, und zahlreiche andre Männer der patriotischen Partei waren demselben schon vorangegangen; allein konnte Hypereides die Partei nicht halten. Wer weiß, was noch geschehen wäre, wenn nicht auf einmal die un¬ geheure Kunde von Alexanders Tode die ganze Lage der Dinge verändert, und den letzten hellenischen Befreiungsversuch, den lamischen Krieg, hervorgerufen hätte. Auch dieser Versuch war, wie der Erfolg und die weitere Entwickelung bewies, noch voreilig, und Demosthenes, zur Zeit der Kriegserklärung in der Verbannung, hätte, wenn er gekonnt, vielleicht abgerathen. Anders Hype¬ reides , der indeß bei allem Kriegseifer und bei aller Thätigkeit auch jetzt nicht der eigentliche Urheber des Krieges und der leitende Berather der Bürgerschaft war, vielmehr selber, in selner auf die Gefallenen des ersten Kriegsjahres gehaltenen Grabrede, diese Ehre dem Leosthenes läßt: Der Tod dieses Feld¬ herrn entschied wesentlich über den Ausgang des Krieges und über Grie-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/18
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/18>, abgerufen am 26.06.2024.