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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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verrathen, ätherische Ehren beantragte. Als gewandter und nicht minder
hinsichtlich seiner Gesinnung vertrauenswürdiger Sprecher wurde er auch als
Vertreter ätherischer Sachen vor auswärtigen Behörden und Versammlungen
öfters abgeordnet, zum Beispiel angelegentlich der Vorstandschaft des delischen
Heiligthums zu den Amphiktyonen, wofür ursprünglich Aischines vom Volke
erwählt war, der Areopag aber, dem auf erhobene Einsprache gegen diese Wahl
die Entscheidung übertragen war, den Hypereides bestimmte; desgleichen finden
wir ihn als Gesandten thätig, und so erwarb er sich im einzelnen nicht wenige
Verdienste um Athen, wiewohl das eigentliche Haupt der Partei und, nachdem
dieselbe endlich durchgedrungen, leitender Staatsmann unbedingt Demosthenes
war. Die Rolle eines solchen siel dem Hypereides zu Philipp's Zeiten nur
einmal zu, als nach der Schlacht bei Chaironeia die schleunigsten Maßregeln
gegen die in nächster Nähe drohende Gefahr erfordert wurden, und Demo¬
sthenes. der mit dem Heere ausgezogen, nicht anwesend war; damals beantragte
Hypereides jenen Bolksbeschluß, welcher für die Theilnahme am Kampfe den
Ehrlosen Wiedereinsetzung, den Fremden Bürgerrecht, den Sklaven Freiheit
verhieß. Der elende Aristogeiton focht den Volksbeschluß gerichtlich als den
Gesetzen zuwiderlausend an, und Hypereides vertheidigte sich in einer nachmals
berühmten Rede, worin er die Ungesetzlichkeit bereitwilligst zugab, aber er¬
klärte, daß nicht der Redner, sondern die Schlacht von Chaironeia das Dekret
geschrieben, und daß die Waffen der Makedonier ihn von den verwehrenden
Gesetzen nichts hätten sehen lassen. Sonst aber war das Stellen der wich¬
tigsten Anträge nicht Hypereides' Sache, sondern die des Demosthenes, in dessen
Hände es, sowie er zurückgekehrt war, alsbald wieder überging, und darum
waren auch diesem, solange der Krieg glücklichen Fortgang gehabt hatte, die
Kränze und Ehren zuerkannt worden, und andrerseits richteten sich gegen ihn,
nachdem mit Chaironeia die makedonische Partei freie Bewegung und Macht
zurückerlangt hatte, alle die zahllosen Angriffe und Anklagen derselben. Auch
Alexander hat, nach den besten Quellen, unter den Bürgern, deren Ausliefe¬
rung er nach der Zerstörung Thebens forderte, den Hypereides nicht aufge¬
führt. Nichts destoweniger ist dieser Redner als politischer Charakter aller
Ehren werth und insbesondre durchaus unantastbar und fleckenlos, bis zu jener
unglücklichen Zeit, wo der aus Indiens Ferne siegreich zurückgekehrte Alexan¬
der die Hellenen die volle Schwere seiner Herrschaft fühlen ließ, indem er seine
göttliche Verehrung und, was viel härter empfunden wurde, die Wiederein¬
setzung der Verbannten sämmtlicher Gemeinden von ihnen forderte. Gleich¬
zeitig erschien der vor dem wiederkehrenden Heere geflüchtet? Satrap Harpalos
in Griechenland mit reichen Schätzen und einer starken Söldnertruppe; andere
Satrapen waren zum Abfall bereit, in ganz Hellas war Unwille und Zorn
wider den Makedonenkönig. Hypereides nun war der Ansicht, man müsse mit


Grenzboten III. 1875. 2

verrathen, ätherische Ehren beantragte. Als gewandter und nicht minder
hinsichtlich seiner Gesinnung vertrauenswürdiger Sprecher wurde er auch als
Vertreter ätherischer Sachen vor auswärtigen Behörden und Versammlungen
öfters abgeordnet, zum Beispiel angelegentlich der Vorstandschaft des delischen
Heiligthums zu den Amphiktyonen, wofür ursprünglich Aischines vom Volke
erwählt war, der Areopag aber, dem auf erhobene Einsprache gegen diese Wahl
die Entscheidung übertragen war, den Hypereides bestimmte; desgleichen finden
wir ihn als Gesandten thätig, und so erwarb er sich im einzelnen nicht wenige
Verdienste um Athen, wiewohl das eigentliche Haupt der Partei und, nachdem
dieselbe endlich durchgedrungen, leitender Staatsmann unbedingt Demosthenes
war. Die Rolle eines solchen siel dem Hypereides zu Philipp's Zeiten nur
einmal zu, als nach der Schlacht bei Chaironeia die schleunigsten Maßregeln
gegen die in nächster Nähe drohende Gefahr erfordert wurden, und Demo¬
sthenes. der mit dem Heere ausgezogen, nicht anwesend war; damals beantragte
Hypereides jenen Bolksbeschluß, welcher für die Theilnahme am Kampfe den
Ehrlosen Wiedereinsetzung, den Fremden Bürgerrecht, den Sklaven Freiheit
verhieß. Der elende Aristogeiton focht den Volksbeschluß gerichtlich als den
Gesetzen zuwiderlausend an, und Hypereides vertheidigte sich in einer nachmals
berühmten Rede, worin er die Ungesetzlichkeit bereitwilligst zugab, aber er¬
klärte, daß nicht der Redner, sondern die Schlacht von Chaironeia das Dekret
geschrieben, und daß die Waffen der Makedonier ihn von den verwehrenden
Gesetzen nichts hätten sehen lassen. Sonst aber war das Stellen der wich¬
tigsten Anträge nicht Hypereides' Sache, sondern die des Demosthenes, in dessen
Hände es, sowie er zurückgekehrt war, alsbald wieder überging, und darum
waren auch diesem, solange der Krieg glücklichen Fortgang gehabt hatte, die
Kränze und Ehren zuerkannt worden, und andrerseits richteten sich gegen ihn,
nachdem mit Chaironeia die makedonische Partei freie Bewegung und Macht
zurückerlangt hatte, alle die zahllosen Angriffe und Anklagen derselben. Auch
Alexander hat, nach den besten Quellen, unter den Bürgern, deren Ausliefe¬
rung er nach der Zerstörung Thebens forderte, den Hypereides nicht aufge¬
führt. Nichts destoweniger ist dieser Redner als politischer Charakter aller
Ehren werth und insbesondre durchaus unantastbar und fleckenlos, bis zu jener
unglücklichen Zeit, wo der aus Indiens Ferne siegreich zurückgekehrte Alexan¬
der die Hellenen die volle Schwere seiner Herrschaft fühlen ließ, indem er seine
göttliche Verehrung und, was viel härter empfunden wurde, die Wiederein¬
setzung der Verbannten sämmtlicher Gemeinden von ihnen forderte. Gleich¬
zeitig erschien der vor dem wiederkehrenden Heere geflüchtet? Satrap Harpalos
in Griechenland mit reichen Schätzen und einer starken Söldnertruppe; andere
Satrapen waren zum Abfall bereit, in ganz Hellas war Unwille und Zorn
wider den Makedonenkönig. Hypereides nun war der Ansicht, man müsse mit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/17>, abgerufen am 26.06.2024.