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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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Elsaß-Lothringe"; soviel ist ja bekannt, daß gerade im Elsaß die Agitation
zu Gunsten der Handelsgerichte sehr lebhaft betrieben, daß sogar eine Depu¬
tation an den Reichskanzler von dort abgegangen ist, welche, nach allerdings
unverbürgten Zeitungsnachrichten, beruhigende Versicherungen bezüglich des
Fortbestands der fraglichen Gerichte erhalten hat; jedenfalls kommt durch die
auf Elsaß-Lothringen zu nehmende oder nicht zu nehmende Rücksicht ein poli¬
tisches Element in Frage, welche sonst eine fast ausschließlich juristische
wäre; und gerade mit Bezug auf dieses politische Element möchten wir auf
unsern Vorschlag der Handelsschiedsgerichte zurückkommen.

Daß den Elsässern Berücksichtigung ihrer Wünsche zugesagt worden ist,
erscheint keineswegs unwahrscheinlich; ist doch die Frage, ob gewisse bürger¬
liche Rechtsstreitigkeiten von rechtsgelehrten oder von kaufmännischen Richtern
entschieden werden sollen, an sich keineswegs eine politische Frage, und möchte
es auf den ersten Anblick scheinen, als ob das Streben der Reichspolitik: das
Reichsland zu einem nicht bloß äußerlich, sondern auch innerlich deutschen
Land zu machen, durch eine Eonnivenz gegen dessen in Betreff der Handels¬
gerichte geäußerte Wünsche keineswegs gefährdet oder gehemmt würde; darüber,
daß das Reich auf die Neigungen und Gewohnheiten seiner neuen Bürger alle
billige Rücksicht nehmen und gegen bestehende und dort geschätzte Einrichtungen
mit möglichster Schonung vorgehen solle, wird ja kaum eine Meinungs¬
verschiedenheit bestehen; diese beginnt erst bei der Frage nach den Grenzen
der billigen Rücksicht und der möglichen Schonung.

In Bezug auf die Handelsgerichte ist zu untersuchen. 1) Was begehren
die Elsässer? 2) Was kann ihnen überhaupt vom nationalen Standpunkt aus
gewährt werden? 3) Was will ihnen der Bundesrath gewähren?

Am wenigsten Schwierigkeit bereitet die dritte Frage: der Bundesrat!)
will dem Reichsland in Bezug auf Handelsgerichte das gewähren, was das
übrige Deutschland erhalten soll, also: "soweit die Landesjustizverwaltung ein
Bedürfniß als vorhanden annimmt, Handelsgerichte, welche in der Besetzung
mit einem rechtsverständigen Richter als Vorsitzenden und zwei auf Vorschlag
des zur Vertretung des Handelstands berufenen Organs ernannten Handels¬
richtern, entscheiden" (Erko. des Ger.-Verf.-Geh. §§. 81, 86, 92).

Auch die Antwort auf die erste Frage wird leicht zu finden sein: die
Elsässer begehren die Erhaltung ihrer Handelsgerichte. Damit ist aber
bereits ausgesprochen, daß das Reichsland etwas wesentlich Anderes begehrt, als
ihm der Bundesrath gewähren will; wenn in anderhalb oder zwei Jahren
die deutsche Gerichtsverfassung ins Leben tritt und man nun der Kaufmann¬
schaft des Reichslandes die in dem Entwurf vorgesehenen Handelsgerichte
präsentiren würde, d. h. ein Collegium bestehend aus einem ganz und g^
ohne ihr Zuthun vom Kaiser ernannten rechtsgelehrten, vielleicht eingeborenen


Elsaß-Lothringe»; soviel ist ja bekannt, daß gerade im Elsaß die Agitation
zu Gunsten der Handelsgerichte sehr lebhaft betrieben, daß sogar eine Depu¬
tation an den Reichskanzler von dort abgegangen ist, welche, nach allerdings
unverbürgten Zeitungsnachrichten, beruhigende Versicherungen bezüglich des
Fortbestands der fraglichen Gerichte erhalten hat; jedenfalls kommt durch die
auf Elsaß-Lothringen zu nehmende oder nicht zu nehmende Rücksicht ein poli¬
tisches Element in Frage, welche sonst eine fast ausschließlich juristische
wäre; und gerade mit Bezug auf dieses politische Element möchten wir auf
unsern Vorschlag der Handelsschiedsgerichte zurückkommen.

Daß den Elsässern Berücksichtigung ihrer Wünsche zugesagt worden ist,
erscheint keineswegs unwahrscheinlich; ist doch die Frage, ob gewisse bürger¬
liche Rechtsstreitigkeiten von rechtsgelehrten oder von kaufmännischen Richtern
entschieden werden sollen, an sich keineswegs eine politische Frage, und möchte
es auf den ersten Anblick scheinen, als ob das Streben der Reichspolitik: das
Reichsland zu einem nicht bloß äußerlich, sondern auch innerlich deutschen
Land zu machen, durch eine Eonnivenz gegen dessen in Betreff der Handels¬
gerichte geäußerte Wünsche keineswegs gefährdet oder gehemmt würde; darüber,
daß das Reich auf die Neigungen und Gewohnheiten seiner neuen Bürger alle
billige Rücksicht nehmen und gegen bestehende und dort geschätzte Einrichtungen
mit möglichster Schonung vorgehen solle, wird ja kaum eine Meinungs¬
verschiedenheit bestehen; diese beginnt erst bei der Frage nach den Grenzen
der billigen Rücksicht und der möglichen Schonung.

In Bezug auf die Handelsgerichte ist zu untersuchen. 1) Was begehren
die Elsässer? 2) Was kann ihnen überhaupt vom nationalen Standpunkt aus
gewährt werden? 3) Was will ihnen der Bundesrath gewähren?

Am wenigsten Schwierigkeit bereitet die dritte Frage: der Bundesrat!)
will dem Reichsland in Bezug auf Handelsgerichte das gewähren, was das
übrige Deutschland erhalten soll, also: „soweit die Landesjustizverwaltung ein
Bedürfniß als vorhanden annimmt, Handelsgerichte, welche in der Besetzung
mit einem rechtsverständigen Richter als Vorsitzenden und zwei auf Vorschlag
des zur Vertretung des Handelstands berufenen Organs ernannten Handels¬
richtern, entscheiden" (Erko. des Ger.-Verf.-Geh. §§. 81, 86, 92).

Auch die Antwort auf die erste Frage wird leicht zu finden sein: die
Elsässer begehren die Erhaltung ihrer Handelsgerichte. Damit ist aber
bereits ausgesprochen, daß das Reichsland etwas wesentlich Anderes begehrt, als
ihm der Bundesrath gewähren will; wenn in anderhalb oder zwei Jahren
die deutsche Gerichtsverfassung ins Leben tritt und man nun der Kaufmann¬
schaft des Reichslandes die in dem Entwurf vorgesehenen Handelsgerichte
präsentiren würde, d. h. ein Collegium bestehend aus einem ganz und g^
ohne ihr Zuthun vom Kaiser ernannten rechtsgelehrten, vielleicht eingeborenen


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[0170] Elsaß-Lothringe»; soviel ist ja bekannt, daß gerade im Elsaß die Agitation zu Gunsten der Handelsgerichte sehr lebhaft betrieben, daß sogar eine Depu¬ tation an den Reichskanzler von dort abgegangen ist, welche, nach allerdings unverbürgten Zeitungsnachrichten, beruhigende Versicherungen bezüglich des Fortbestands der fraglichen Gerichte erhalten hat; jedenfalls kommt durch die auf Elsaß-Lothringen zu nehmende oder nicht zu nehmende Rücksicht ein poli¬ tisches Element in Frage, welche sonst eine fast ausschließlich juristische wäre; und gerade mit Bezug auf dieses politische Element möchten wir auf unsern Vorschlag der Handelsschiedsgerichte zurückkommen. Daß den Elsässern Berücksichtigung ihrer Wünsche zugesagt worden ist, erscheint keineswegs unwahrscheinlich; ist doch die Frage, ob gewisse bürger¬ liche Rechtsstreitigkeiten von rechtsgelehrten oder von kaufmännischen Richtern entschieden werden sollen, an sich keineswegs eine politische Frage, und möchte es auf den ersten Anblick scheinen, als ob das Streben der Reichspolitik: das Reichsland zu einem nicht bloß äußerlich, sondern auch innerlich deutschen Land zu machen, durch eine Eonnivenz gegen dessen in Betreff der Handels¬ gerichte geäußerte Wünsche keineswegs gefährdet oder gehemmt würde; darüber, daß das Reich auf die Neigungen und Gewohnheiten seiner neuen Bürger alle billige Rücksicht nehmen und gegen bestehende und dort geschätzte Einrichtungen mit möglichster Schonung vorgehen solle, wird ja kaum eine Meinungs¬ verschiedenheit bestehen; diese beginnt erst bei der Frage nach den Grenzen der billigen Rücksicht und der möglichen Schonung. In Bezug auf die Handelsgerichte ist zu untersuchen. 1) Was begehren die Elsässer? 2) Was kann ihnen überhaupt vom nationalen Standpunkt aus gewährt werden? 3) Was will ihnen der Bundesrath gewähren? Am wenigsten Schwierigkeit bereitet die dritte Frage: der Bundesrat!) will dem Reichsland in Bezug auf Handelsgerichte das gewähren, was das übrige Deutschland erhalten soll, also: „soweit die Landesjustizverwaltung ein Bedürfniß als vorhanden annimmt, Handelsgerichte, welche in der Besetzung mit einem rechtsverständigen Richter als Vorsitzenden und zwei auf Vorschlag des zur Vertretung des Handelstands berufenen Organs ernannten Handels¬ richtern, entscheiden" (Erko. des Ger.-Verf.-Geh. §§. 81, 86, 92). Auch die Antwort auf die erste Frage wird leicht zu finden sein: die Elsässer begehren die Erhaltung ihrer Handelsgerichte. Damit ist aber bereits ausgesprochen, daß das Reichsland etwas wesentlich Anderes begehrt, als ihm der Bundesrath gewähren will; wenn in anderhalb oder zwei Jahren die deutsche Gerichtsverfassung ins Leben tritt und man nun der Kaufmann¬ schaft des Reichslandes die in dem Entwurf vorgesehenen Handelsgerichte präsentiren würde, d. h. ein Collegium bestehend aus einem ganz und g^ ohne ihr Zuthun vom Kaiser ernannten rechtsgelehrten, vielleicht eingeborenen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/170>, abgerufen am 29.06.2024.