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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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wahrscheinlich aber preußischen, badischen, bayerischen oder hessischen Richter
als Borsitzenden und einigen elsassischen oder lothringischen Kaufleuten als
Beisitzern, und der Bundesrath oder Reichskanzler ihr sagen würde: "Hier
habt Ihr Eure Handelsgerichte, wir haben Eure Wünsche erfüllt", so würde die
reichsländische Kaufmannschaft mit allem Recht erwidern: Koe non era-t in
podis! Was die Kaufleute des Neichslandes wollen, das sind ihre französischen,
nur aus kaufmännischen Richtern bestehenden Handelsgerichte; von diesen aber
will der Bundesrath so wenig etwas wissen als die Reichstags - Commission,
und mit allem Recht, denn gerade diese Art von Handelsgerichten kann aus
Politischen Gründen dem Reichsland am allerwenigsten gewährt werden.
Die Rechtseinheit ist eines der stärksten idealen Bande, welche ein aus
verschiedenen Stämmen bestehendes Volk zusammen halten; Niemandem wird
es einfallen, zur Schonung der "Gefühle" von Elsaß-Lothringen das herzu¬
stellende bürgerliche Recht Deutschlands an der Grenze des Reichslandes Halt
machen zu lassen und den neuen Reichsbürgern ihren <noae civil und Loäs ac
evminei-ce solange zu belassen, bis sie sich selbst von der Vortrefflichkeit der
deutschen Gesetzbücher überzeugt haben, vielmehr ist gerade die -- sei es auch
Anfangs mit Widerwillen aufgenommene -- Ausdehnung des deutschen bürger¬
lichen Rechts auf Elsaß-Lothringen eines der sichersten Mittel zur allmähligen
geistigen Wiedergewinnung des Landes. Daß dieses Mittel angewendet werden
wird, unterliegt keinem Zweifel; aber ebenso gewiß scheint es uns zu sein,
daß der gehoffte Erfolg des Mittels vereitelt würde, wenn man dem Reichs¬
land seine alten Handelsgerichte ließe, und daß auch von den Handelsgerichten
des Entwurfs mindestens keine Förderung des von Deutschland angestrebten
Zwecks zu erwarten wäre.

Wie verbreitet und wie gründlich die Kenntniß des französischen Rechts
bei den reichsländischen Kaufleuten ist, wissen wir nicht; dagegen darf un¬
bedenklich angenommen werden, daß bei ihnen zur Zeit außerordentlich wenig
Neigung besteht, sich mit dem deutschen Recht bekannt zu machen; und die
Stimmung derjenigen Kreise, aus welchen die Handelsrichter hervorgehen, wird
auch nach Ablauf der verhältnißmäßig wenigen Jahre, welche bis zur Schaffung
und Einführung des bürgerlichen Gesetzbuchs und des zu revidirenden Handels¬
gesetzbuchs verfließen, keine wesentlich andere sein als jetzt. Für einen Franzosen
und vollends für einen französirten Elsässer versteht es sich von selbst, daß
der Ooäö cle eornmorev unendlich besser ist, als jedes deutsche Handelsgesetz¬
buch; der französische Handelsrichter, zumal wenn er von einem französischen
Gerichtsschreiber unterstützt ist, wird darum bemüht sein, nach den Grund¬
sätzen des französischen Rechtes rechtzusprechen; herrscht doch überall bei den
Laienrichtern mehr oder weniger der Glaube, daß sie ihre Aufgabe nur dann
gut erfüllen, wenn sie sich zuweilen kühn über das geschriebene Recht weg-


wahrscheinlich aber preußischen, badischen, bayerischen oder hessischen Richter
als Borsitzenden und einigen elsassischen oder lothringischen Kaufleuten als
Beisitzern, und der Bundesrath oder Reichskanzler ihr sagen würde: „Hier
habt Ihr Eure Handelsgerichte, wir haben Eure Wünsche erfüllt", so würde die
reichsländische Kaufmannschaft mit allem Recht erwidern: Koe non era-t in
podis! Was die Kaufleute des Neichslandes wollen, das sind ihre französischen,
nur aus kaufmännischen Richtern bestehenden Handelsgerichte; von diesen aber
will der Bundesrath so wenig etwas wissen als die Reichstags - Commission,
und mit allem Recht, denn gerade diese Art von Handelsgerichten kann aus
Politischen Gründen dem Reichsland am allerwenigsten gewährt werden.
Die Rechtseinheit ist eines der stärksten idealen Bande, welche ein aus
verschiedenen Stämmen bestehendes Volk zusammen halten; Niemandem wird
es einfallen, zur Schonung der „Gefühle" von Elsaß-Lothringen das herzu¬
stellende bürgerliche Recht Deutschlands an der Grenze des Reichslandes Halt
machen zu lassen und den neuen Reichsbürgern ihren <noae civil und Loäs ac
evminei-ce solange zu belassen, bis sie sich selbst von der Vortrefflichkeit der
deutschen Gesetzbücher überzeugt haben, vielmehr ist gerade die — sei es auch
Anfangs mit Widerwillen aufgenommene — Ausdehnung des deutschen bürger¬
lichen Rechts auf Elsaß-Lothringen eines der sichersten Mittel zur allmähligen
geistigen Wiedergewinnung des Landes. Daß dieses Mittel angewendet werden
wird, unterliegt keinem Zweifel; aber ebenso gewiß scheint es uns zu sein,
daß der gehoffte Erfolg des Mittels vereitelt würde, wenn man dem Reichs¬
land seine alten Handelsgerichte ließe, und daß auch von den Handelsgerichten
des Entwurfs mindestens keine Förderung des von Deutschland angestrebten
Zwecks zu erwarten wäre.

Wie verbreitet und wie gründlich die Kenntniß des französischen Rechts
bei den reichsländischen Kaufleuten ist, wissen wir nicht; dagegen darf un¬
bedenklich angenommen werden, daß bei ihnen zur Zeit außerordentlich wenig
Neigung besteht, sich mit dem deutschen Recht bekannt zu machen; und die
Stimmung derjenigen Kreise, aus welchen die Handelsrichter hervorgehen, wird
auch nach Ablauf der verhältnißmäßig wenigen Jahre, welche bis zur Schaffung
und Einführung des bürgerlichen Gesetzbuchs und des zu revidirenden Handels¬
gesetzbuchs verfließen, keine wesentlich andere sein als jetzt. Für einen Franzosen
und vollends für einen französirten Elsässer versteht es sich von selbst, daß
der Ooäö cle eornmorev unendlich besser ist, als jedes deutsche Handelsgesetz¬
buch; der französische Handelsrichter, zumal wenn er von einem französischen
Gerichtsschreiber unterstützt ist, wird darum bemüht sein, nach den Grund¬
sätzen des französischen Rechtes rechtzusprechen; herrscht doch überall bei den
Laienrichtern mehr oder weniger der Glaube, daß sie ihre Aufgabe nur dann
gut erfüllen, wenn sie sich zuweilen kühn über das geschriebene Recht weg-


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[0171] wahrscheinlich aber preußischen, badischen, bayerischen oder hessischen Richter als Borsitzenden und einigen elsassischen oder lothringischen Kaufleuten als Beisitzern, und der Bundesrath oder Reichskanzler ihr sagen würde: „Hier habt Ihr Eure Handelsgerichte, wir haben Eure Wünsche erfüllt", so würde die reichsländische Kaufmannschaft mit allem Recht erwidern: Koe non era-t in podis! Was die Kaufleute des Neichslandes wollen, das sind ihre französischen, nur aus kaufmännischen Richtern bestehenden Handelsgerichte; von diesen aber will der Bundesrath so wenig etwas wissen als die Reichstags - Commission, und mit allem Recht, denn gerade diese Art von Handelsgerichten kann aus Politischen Gründen dem Reichsland am allerwenigsten gewährt werden. Die Rechtseinheit ist eines der stärksten idealen Bande, welche ein aus verschiedenen Stämmen bestehendes Volk zusammen halten; Niemandem wird es einfallen, zur Schonung der „Gefühle" von Elsaß-Lothringen das herzu¬ stellende bürgerliche Recht Deutschlands an der Grenze des Reichslandes Halt machen zu lassen und den neuen Reichsbürgern ihren <noae civil und Loäs ac evminei-ce solange zu belassen, bis sie sich selbst von der Vortrefflichkeit der deutschen Gesetzbücher überzeugt haben, vielmehr ist gerade die — sei es auch Anfangs mit Widerwillen aufgenommene — Ausdehnung des deutschen bürger¬ lichen Rechts auf Elsaß-Lothringen eines der sichersten Mittel zur allmähligen geistigen Wiedergewinnung des Landes. Daß dieses Mittel angewendet werden wird, unterliegt keinem Zweifel; aber ebenso gewiß scheint es uns zu sein, daß der gehoffte Erfolg des Mittels vereitelt würde, wenn man dem Reichs¬ land seine alten Handelsgerichte ließe, und daß auch von den Handelsgerichten des Entwurfs mindestens keine Förderung des von Deutschland angestrebten Zwecks zu erwarten wäre. Wie verbreitet und wie gründlich die Kenntniß des französischen Rechts bei den reichsländischen Kaufleuten ist, wissen wir nicht; dagegen darf un¬ bedenklich angenommen werden, daß bei ihnen zur Zeit außerordentlich wenig Neigung besteht, sich mit dem deutschen Recht bekannt zu machen; und die Stimmung derjenigen Kreise, aus welchen die Handelsrichter hervorgehen, wird auch nach Ablauf der verhältnißmäßig wenigen Jahre, welche bis zur Schaffung und Einführung des bürgerlichen Gesetzbuchs und des zu revidirenden Handels¬ gesetzbuchs verfließen, keine wesentlich andere sein als jetzt. Für einen Franzosen und vollends für einen französirten Elsässer versteht es sich von selbst, daß der Ooäö cle eornmorev unendlich besser ist, als jedes deutsche Handelsgesetz¬ buch; der französische Handelsrichter, zumal wenn er von einem französischen Gerichtsschreiber unterstützt ist, wird darum bemüht sein, nach den Grund¬ sätzen des französischen Rechtes rechtzusprechen; herrscht doch überall bei den Laienrichtern mehr oder weniger der Glaube, daß sie ihre Aufgabe nur dann gut erfüllen, wenn sie sich zuweilen kühn über das geschriebene Recht weg-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/171>, abgerufen am 29.06.2024.