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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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Die Landelsgerichtssrage und das Ueichsland.

Im vorigen Jahrgang dieser Blätter haben wir die Frage der Handels¬
gerichte besprochen und sind dort zu dem Ergebniß gelangt: es seien zwar die
Handelsgerichte als ordentliche staatliche Gerichte zu beseitigen, dagegen solle
der Kaufmannschaft die Möglichkeit eröffnet werden, unter Mitwirkung des
Staats auf eigene Kosten ständige Schiedsgerichte zu schaffen, deren Urtheile
i" Wesentlichen den Urtheilen der ordentlichen bürgerlichen Gerichte gleich¬
zustellen wären; die Handelsgerichte haben wir bekämpft, weil sie sich stets
in größerem oder geringerem Umfang zu Standesgenchten gestalten müssen;
die Zulässtgkeit von Handels s es i e d s gerichten haben wir damit vertheidigt,
daß nach dem Wesen dieser Gerichte niemals ein Zwang zu ihrer Anrufung
bestehen könnte.

Seither ist -- gegen unsere damals ausgesprochene Erwartung -- von
der Justizcommission des Reichstags der Beschluß gefaßt worden: die Handels¬
gerichte ganz zu beseitigen; gegen diesen Beschluß oder Antrag hat sich in einem
Theil der kaufmännischen Welt lebhafte Agitation erhoben, und der Justiz-
Ausschuß des Bundesraths hat in neuester Zeit beschlossen, an den Handels¬
gerichten festzuhalten; von einer Neigung der Reichstag-Commission, ihren
seitherigen Standpunkt aufzugeben, verlautet bis jetzt noch nichts, und so ist
Noch keineswegs abzusehen, wie der Widerstreit der Meinungen geschlichtet
werden soll; es möge uns darum gestattet sein, auf unsern frühern Vorschlag
Zurückzukommen und darzulegen, in wiefern derselbe geeignet wäre, zur Ver¬
mittlung der zur Zeit schroff sich gegenüberstehenden Ansichten zu dienen.

In unserm frühern Aufsatz haben wir die Frage nach der Beibehaltung
der Handelsgerichte lediglich von der juristischen Seite erörtert und ausdrücklich
bemerkt: eine politische oder gar Parteifrage sei aus der Organisation der
Handelsgerichte nie gemacht worden. Es hat nun neuerdings verlautet, daß
der Bundesrath zu dem Festhalten an den Handelsgerichten wesentlich durch
politische Motive bestimmt worden sei; ob dies der Fall ist, wissen wir
Nicht; wenn es der Fall ist, so können die politischen Motive wohl nur in
einer Richtung gesucht werden: in den Verhältnissen des "Reichslands"


Grenzboten III. t"75. 21
Die Landelsgerichtssrage und das Ueichsland.

Im vorigen Jahrgang dieser Blätter haben wir die Frage der Handels¬
gerichte besprochen und sind dort zu dem Ergebniß gelangt: es seien zwar die
Handelsgerichte als ordentliche staatliche Gerichte zu beseitigen, dagegen solle
der Kaufmannschaft die Möglichkeit eröffnet werden, unter Mitwirkung des
Staats auf eigene Kosten ständige Schiedsgerichte zu schaffen, deren Urtheile
i« Wesentlichen den Urtheilen der ordentlichen bürgerlichen Gerichte gleich¬
zustellen wären; die Handelsgerichte haben wir bekämpft, weil sie sich stets
in größerem oder geringerem Umfang zu Standesgenchten gestalten müssen;
die Zulässtgkeit von Handels s es i e d s gerichten haben wir damit vertheidigt,
daß nach dem Wesen dieser Gerichte niemals ein Zwang zu ihrer Anrufung
bestehen könnte.

Seither ist — gegen unsere damals ausgesprochene Erwartung — von
der Justizcommission des Reichstags der Beschluß gefaßt worden: die Handels¬
gerichte ganz zu beseitigen; gegen diesen Beschluß oder Antrag hat sich in einem
Theil der kaufmännischen Welt lebhafte Agitation erhoben, und der Justiz-
Ausschuß des Bundesraths hat in neuester Zeit beschlossen, an den Handels¬
gerichten festzuhalten; von einer Neigung der Reichstag-Commission, ihren
seitherigen Standpunkt aufzugeben, verlautet bis jetzt noch nichts, und so ist
Noch keineswegs abzusehen, wie der Widerstreit der Meinungen geschlichtet
werden soll; es möge uns darum gestattet sein, auf unsern frühern Vorschlag
Zurückzukommen und darzulegen, in wiefern derselbe geeignet wäre, zur Ver¬
mittlung der zur Zeit schroff sich gegenüberstehenden Ansichten zu dienen.

In unserm frühern Aufsatz haben wir die Frage nach der Beibehaltung
der Handelsgerichte lediglich von der juristischen Seite erörtert und ausdrücklich
bemerkt: eine politische oder gar Parteifrage sei aus der Organisation der
Handelsgerichte nie gemacht worden. Es hat nun neuerdings verlautet, daß
der Bundesrath zu dem Festhalten an den Handelsgerichten wesentlich durch
politische Motive bestimmt worden sei; ob dies der Fall ist, wissen wir
Nicht; wenn es der Fall ist, so können die politischen Motive wohl nur in
einer Richtung gesucht werden: in den Verhältnissen des „Reichslands"


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[0169] Die Landelsgerichtssrage und das Ueichsland. Im vorigen Jahrgang dieser Blätter haben wir die Frage der Handels¬ gerichte besprochen und sind dort zu dem Ergebniß gelangt: es seien zwar die Handelsgerichte als ordentliche staatliche Gerichte zu beseitigen, dagegen solle der Kaufmannschaft die Möglichkeit eröffnet werden, unter Mitwirkung des Staats auf eigene Kosten ständige Schiedsgerichte zu schaffen, deren Urtheile i« Wesentlichen den Urtheilen der ordentlichen bürgerlichen Gerichte gleich¬ zustellen wären; die Handelsgerichte haben wir bekämpft, weil sie sich stets in größerem oder geringerem Umfang zu Standesgenchten gestalten müssen; die Zulässtgkeit von Handels s es i e d s gerichten haben wir damit vertheidigt, daß nach dem Wesen dieser Gerichte niemals ein Zwang zu ihrer Anrufung bestehen könnte. Seither ist — gegen unsere damals ausgesprochene Erwartung — von der Justizcommission des Reichstags der Beschluß gefaßt worden: die Handels¬ gerichte ganz zu beseitigen; gegen diesen Beschluß oder Antrag hat sich in einem Theil der kaufmännischen Welt lebhafte Agitation erhoben, und der Justiz- Ausschuß des Bundesraths hat in neuester Zeit beschlossen, an den Handels¬ gerichten festzuhalten; von einer Neigung der Reichstag-Commission, ihren seitherigen Standpunkt aufzugeben, verlautet bis jetzt noch nichts, und so ist Noch keineswegs abzusehen, wie der Widerstreit der Meinungen geschlichtet werden soll; es möge uns darum gestattet sein, auf unsern frühern Vorschlag Zurückzukommen und darzulegen, in wiefern derselbe geeignet wäre, zur Ver¬ mittlung der zur Zeit schroff sich gegenüberstehenden Ansichten zu dienen. In unserm frühern Aufsatz haben wir die Frage nach der Beibehaltung der Handelsgerichte lediglich von der juristischen Seite erörtert und ausdrücklich bemerkt: eine politische oder gar Parteifrage sei aus der Organisation der Handelsgerichte nie gemacht worden. Es hat nun neuerdings verlautet, daß der Bundesrath zu dem Festhalten an den Handelsgerichten wesentlich durch politische Motive bestimmt worden sei; ob dies der Fall ist, wissen wir Nicht; wenn es der Fall ist, so können die politischen Motive wohl nur in einer Richtung gesucht werden: in den Verhältnissen des „Reichslands" Grenzboten III. t«75. 21

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/169>, abgerufen am 29.06.2024.