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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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ständig haben, weist Hypereides glänzend nach. Er zeigt auch darin eine
besondere Stärke, hoch hinaufgeschraubte Anklagen herunterzuziehen und lächer¬
lich zu machen; seine Beredsamkeit ist überhaupt nicht von der erhabenen
Gattung, welcher Lykurgos zustrebt, sondern von der leichten und gefälligen,
darum aber nicht weniger wirksam. Talent hat er im reichsten Maße, auch
künstlerisches Talent; aber große Arbeit und viel Studium steckt in seinen
Reden nicht, wenngleich mehr als sichtlich hervortritt, indem sie den Anschein
von ganz zwanglosen Ergüssen haben. Die Rede für Euxenippos hielt Hype¬
reides selbst als ein Fürsprecher neben andern, für welche Mühe der reiche
Angeklagte ihn jedenfalls schadlos hielt; solche Fürsprache pflegte der Gerichts¬
hof aus die Bitte des Angeklagten unbeschränkt zu gestatten, wiewohl sie eigent¬
lich nur durch Freundschaft oder immerhin auch Feindschaft, nicht durch Lohn
hervorgerufen sein durfte. Lykophron dagegen trägt die ihm von Hypereides
aufgesetzte Rede vor, was die gewöhnliche Form der Advokatur bei den
Athenern war, so daß der Advocat. Redenschreiber wie er genannt wurde,
durchaus hinter der Scene steht. Mit dieser Thätigkeit eines Redenschreibcrs
hat sich Hypereides mehr noch als Demosthenes befaßt; sie war nicht gerade
ehrenvoll, aber doch auch nicht ehrenrührig. Was ihn dabei von Demosthenes
unterscheidet, ist einmal eben das, daß er öfters persönlich auftrat, was
Demosthenes um so strenger vermied, je mehr er sich als Staatsmann eine
öffentliche Bedeutung verschafft hatte, die er irgendwie zu beeinträchtigen sich
scheute; sodann aber die Unbedenklichkeit in der Uebernahme von Sachen und
Eilenden, mochten sie so oder so beschaffen sein. Er wird nicht zu böswilligen
Verfolgungen seine Kunst hergegeben haben, wohl aber dazu, Schuldige der
Strafe zu entziehen, und ferner sind auffallend viel Anklagen und Verthei¬
digungen von Hetären unter seinen Reden, davon die berühmteste die Ver¬
theidigung für Phryne, die er sich nicht scheute selber vorzutragen, und die
Fürsprache durch das Eingeständniß seines Verhältnisses zur Angeklagten zu
motiviren. Die hieran sich knüpfende Anekdote, es habe der Redner, als seine
Worte wenig Eindruck machten, durch die den Richtern enthüllte Schönheit
der Phryne mächtiger auf dieselben gewirkt, scheint wie andere pikante Anekdoten
lediglich spätere Ausschmückung. Indessen auch in Staatsprozessen ist Hype¬
reides aufgetreten, und hat in seiner ersten Zeit die dazumal mächtigsten
Staatsmänner, nachher, als sich die patriotische Partei um Demosthenes bil¬
dete, die Parteigänger des Philipp kühn und nicht ohne Erfolge angegriffen.
Durch seine Anklage nöthigte er den Philokrates. Philipp's schamlosestes
Werkzeug bei den Verhandlungen über den ersten Frieden zwischen ihm und
Athen, durch schleunige Flucht sich dem Todesurtheile. das nun über den Ab¬
wesenden erging, zu entziehen; späterhin klagte er den Demades an, als der¬
selbe für den Olynthier Euthykrates, der früher seine Vaterstadt an Philipp


ständig haben, weist Hypereides glänzend nach. Er zeigt auch darin eine
besondere Stärke, hoch hinaufgeschraubte Anklagen herunterzuziehen und lächer¬
lich zu machen; seine Beredsamkeit ist überhaupt nicht von der erhabenen
Gattung, welcher Lykurgos zustrebt, sondern von der leichten und gefälligen,
darum aber nicht weniger wirksam. Talent hat er im reichsten Maße, auch
künstlerisches Talent; aber große Arbeit und viel Studium steckt in seinen
Reden nicht, wenngleich mehr als sichtlich hervortritt, indem sie den Anschein
von ganz zwanglosen Ergüssen haben. Die Rede für Euxenippos hielt Hype¬
reides selbst als ein Fürsprecher neben andern, für welche Mühe der reiche
Angeklagte ihn jedenfalls schadlos hielt; solche Fürsprache pflegte der Gerichts¬
hof aus die Bitte des Angeklagten unbeschränkt zu gestatten, wiewohl sie eigent¬
lich nur durch Freundschaft oder immerhin auch Feindschaft, nicht durch Lohn
hervorgerufen sein durfte. Lykophron dagegen trägt die ihm von Hypereides
aufgesetzte Rede vor, was die gewöhnliche Form der Advokatur bei den
Athenern war, so daß der Advocat. Redenschreiber wie er genannt wurde,
durchaus hinter der Scene steht. Mit dieser Thätigkeit eines Redenschreibcrs
hat sich Hypereides mehr noch als Demosthenes befaßt; sie war nicht gerade
ehrenvoll, aber doch auch nicht ehrenrührig. Was ihn dabei von Demosthenes
unterscheidet, ist einmal eben das, daß er öfters persönlich auftrat, was
Demosthenes um so strenger vermied, je mehr er sich als Staatsmann eine
öffentliche Bedeutung verschafft hatte, die er irgendwie zu beeinträchtigen sich
scheute; sodann aber die Unbedenklichkeit in der Uebernahme von Sachen und
Eilenden, mochten sie so oder so beschaffen sein. Er wird nicht zu böswilligen
Verfolgungen seine Kunst hergegeben haben, wohl aber dazu, Schuldige der
Strafe zu entziehen, und ferner sind auffallend viel Anklagen und Verthei¬
digungen von Hetären unter seinen Reden, davon die berühmteste die Ver¬
theidigung für Phryne, die er sich nicht scheute selber vorzutragen, und die
Fürsprache durch das Eingeständniß seines Verhältnisses zur Angeklagten zu
motiviren. Die hieran sich knüpfende Anekdote, es habe der Redner, als seine
Worte wenig Eindruck machten, durch die den Richtern enthüllte Schönheit
der Phryne mächtiger auf dieselben gewirkt, scheint wie andere pikante Anekdoten
lediglich spätere Ausschmückung. Indessen auch in Staatsprozessen ist Hype¬
reides aufgetreten, und hat in seiner ersten Zeit die dazumal mächtigsten
Staatsmänner, nachher, als sich die patriotische Partei um Demosthenes bil¬
dete, die Parteigänger des Philipp kühn und nicht ohne Erfolge angegriffen.
Durch seine Anklage nöthigte er den Philokrates. Philipp's schamlosestes
Werkzeug bei den Verhandlungen über den ersten Frieden zwischen ihm und
Athen, durch schleunige Flucht sich dem Todesurtheile. das nun über den Ab¬
wesenden erging, zu entziehen; späterhin klagte er den Demades an, als der¬
selbe für den Olynthier Euthykrates, der früher seine Vaterstadt an Philipp


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[0016] ständig haben, weist Hypereides glänzend nach. Er zeigt auch darin eine besondere Stärke, hoch hinaufgeschraubte Anklagen herunterzuziehen und lächer¬ lich zu machen; seine Beredsamkeit ist überhaupt nicht von der erhabenen Gattung, welcher Lykurgos zustrebt, sondern von der leichten und gefälligen, darum aber nicht weniger wirksam. Talent hat er im reichsten Maße, auch künstlerisches Talent; aber große Arbeit und viel Studium steckt in seinen Reden nicht, wenngleich mehr als sichtlich hervortritt, indem sie den Anschein von ganz zwanglosen Ergüssen haben. Die Rede für Euxenippos hielt Hype¬ reides selbst als ein Fürsprecher neben andern, für welche Mühe der reiche Angeklagte ihn jedenfalls schadlos hielt; solche Fürsprache pflegte der Gerichts¬ hof aus die Bitte des Angeklagten unbeschränkt zu gestatten, wiewohl sie eigent¬ lich nur durch Freundschaft oder immerhin auch Feindschaft, nicht durch Lohn hervorgerufen sein durfte. Lykophron dagegen trägt die ihm von Hypereides aufgesetzte Rede vor, was die gewöhnliche Form der Advokatur bei den Athenern war, so daß der Advocat. Redenschreiber wie er genannt wurde, durchaus hinter der Scene steht. Mit dieser Thätigkeit eines Redenschreibcrs hat sich Hypereides mehr noch als Demosthenes befaßt; sie war nicht gerade ehrenvoll, aber doch auch nicht ehrenrührig. Was ihn dabei von Demosthenes unterscheidet, ist einmal eben das, daß er öfters persönlich auftrat, was Demosthenes um so strenger vermied, je mehr er sich als Staatsmann eine öffentliche Bedeutung verschafft hatte, die er irgendwie zu beeinträchtigen sich scheute; sodann aber die Unbedenklichkeit in der Uebernahme von Sachen und Eilenden, mochten sie so oder so beschaffen sein. Er wird nicht zu böswilligen Verfolgungen seine Kunst hergegeben haben, wohl aber dazu, Schuldige der Strafe zu entziehen, und ferner sind auffallend viel Anklagen und Verthei¬ digungen von Hetären unter seinen Reden, davon die berühmteste die Ver¬ theidigung für Phryne, die er sich nicht scheute selber vorzutragen, und die Fürsprache durch das Eingeständniß seines Verhältnisses zur Angeklagten zu motiviren. Die hieran sich knüpfende Anekdote, es habe der Redner, als seine Worte wenig Eindruck machten, durch die den Richtern enthüllte Schönheit der Phryne mächtiger auf dieselben gewirkt, scheint wie andere pikante Anekdoten lediglich spätere Ausschmückung. Indessen auch in Staatsprozessen ist Hype¬ reides aufgetreten, und hat in seiner ersten Zeit die dazumal mächtigsten Staatsmänner, nachher, als sich die patriotische Partei um Demosthenes bil¬ dete, die Parteigänger des Philipp kühn und nicht ohne Erfolge angegriffen. Durch seine Anklage nöthigte er den Philokrates. Philipp's schamlosestes Werkzeug bei den Verhandlungen über den ersten Frieden zwischen ihm und Athen, durch schleunige Flucht sich dem Todesurtheile. das nun über den Ab¬ wesenden erging, zu entziehen; späterhin klagte er den Demades an, als der¬ selbe für den Olynthier Euthykrates, der früher seine Vaterstadt an Philipp

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/16>, abgerufen am 26.06.2024.