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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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dünn, so ist der ungeduldige Ultramontanismus sehr geduldig nach der
Losung: "Wer Recht hat und Geduld, für den kommt auch die Zeit." Wie
konnte man aber wissen, ob nicht der offizielle Protestantismus nach so vielen
scheinbar günstigen Anzeichen völlig unterminirt war? Ein großes wechsel¬
seitiges Mißverständniß, welches über ein Jahrhundert in Europa geherrscht
hat, macht die unerhörte Etourderie der genannten Zumuthung erklärlich.
Auf der einen Seite hat man alle berechneten Höflichkeiten der Kurie als
Metamorphosen ihres Katechismus angesehen, auf der anderen Seite nahm
man alle Generositäten des christlich liberalen Geistes als confessionelle Zu-
thunlichkeiten auf Abschlag. Hätte man sich nun erst im Princip oder mit
einem symbolischen Akt unterworfen, so hätte sich der jesuitische Papismus
das Abwarten der Konsequenzen schon gefallen lassen. Indessen ist diese
Spekulation fehlgeschlagen, und nun operirt man nach derselben Politik, mit
welcher man allezeit den Hauptgegner zu isoliren und in seiner Isolirtheit zu
vernichten suchte, während man seine schwächeren Mitschuldigen unterdeß mög¬
lichst gewähren ließ, bis die Reihe auch an sie kam. Der Riese Polyphem
verzehrte von den Gefährten des Ulysses immer nur einen um den andern;
das war so seine Methode.

Nicht lange nach der Sendung Ledochowsky's, schon am 18. Febr. 1871,
wagten es die papistisch gesinnten Mitglieder des preußischen Abgeordneten¬
hauses den König anzugehen mit dem Antrag, er möge den Kirchenstaat und
die Souveränität des Papstes wieder herstellen. Welche Bewegungen, Auf¬
regungen und Projekte mögen in der dunklen Region der ultramontanen
Sympathieen in dem kurzen Zeitraum zwischen den beiden Daten liegen!
Erst einen Monat vor dem papistischen Vorgehen in der politischen Kammer
Preußens war der König der allseitig gefeierte Kaiser des deutschen Reichs
geworden.




Literatur.

Die Verlagshandlung von P. W. van de Weijer in Utrecht hat vor
kurzem eine Reproduction des berühmten 1S11 erschienenen Holzschnittwerkes
von Albrecht Dürer "Marienleben" (oder "Unser Frauen Leben", wie es der
Meister selber nannte) herausgegeben, welche wohl alle bisher gemachten
derartigen Reproductionsversuche übertrifft.*) Dieselbe ist nicht durch Stich,



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dünn, so ist der ungeduldige Ultramontanismus sehr geduldig nach der
Losung: „Wer Recht hat und Geduld, für den kommt auch die Zeit." Wie
konnte man aber wissen, ob nicht der offizielle Protestantismus nach so vielen
scheinbar günstigen Anzeichen völlig unterminirt war? Ein großes wechsel¬
seitiges Mißverständniß, welches über ein Jahrhundert in Europa geherrscht
hat, macht die unerhörte Etourderie der genannten Zumuthung erklärlich.
Auf der einen Seite hat man alle berechneten Höflichkeiten der Kurie als
Metamorphosen ihres Katechismus angesehen, auf der anderen Seite nahm
man alle Generositäten des christlich liberalen Geistes als confessionelle Zu-
thunlichkeiten auf Abschlag. Hätte man sich nun erst im Princip oder mit
einem symbolischen Akt unterworfen, so hätte sich der jesuitische Papismus
das Abwarten der Konsequenzen schon gefallen lassen. Indessen ist diese
Spekulation fehlgeschlagen, und nun operirt man nach derselben Politik, mit
welcher man allezeit den Hauptgegner zu isoliren und in seiner Isolirtheit zu
vernichten suchte, während man seine schwächeren Mitschuldigen unterdeß mög¬
lichst gewähren ließ, bis die Reihe auch an sie kam. Der Riese Polyphem
verzehrte von den Gefährten des Ulysses immer nur einen um den andern;
das war so seine Methode.

Nicht lange nach der Sendung Ledochowsky's, schon am 18. Febr. 1871,
wagten es die papistisch gesinnten Mitglieder des preußischen Abgeordneten¬
hauses den König anzugehen mit dem Antrag, er möge den Kirchenstaat und
die Souveränität des Papstes wieder herstellen. Welche Bewegungen, Auf¬
regungen und Projekte mögen in der dunklen Region der ultramontanen
Sympathieen in dem kurzen Zeitraum zwischen den beiden Daten liegen!
Erst einen Monat vor dem papistischen Vorgehen in der politischen Kammer
Preußens war der König der allseitig gefeierte Kaiser des deutschen Reichs
geworden.




Literatur.

Die Verlagshandlung von P. W. van de Weijer in Utrecht hat vor
kurzem eine Reproduction des berühmten 1S11 erschienenen Holzschnittwerkes
von Albrecht Dürer „Marienleben" (oder „Unser Frauen Leben", wie es der
Meister selber nannte) herausgegeben, welche wohl alle bisher gemachten
derartigen Reproductionsversuche übertrifft.*) Dieselbe ist nicht durch Stich,



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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/167>, abgerufen am 29.06.2024.