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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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fanatischen Princip, seiner Priesterschaft sich nicht unterwerfen will, unmöglich
in Wahrheit huldigen; es wird sich gegen die Ueberlegenheit und das an¬
gebliche Recht derselben nach Maaßgabe der Klugheit oder auch nach Maa߬
gabe der Leidenschaft und Schwärmerei des Hasses zu erheben suchen.

Das letzte Wort über den letzten Krieg hat die Geschichte noch nicht
offen ausgesprochen. Er ist für's Erste als der kleine Krieg der Kaiserin
Eugenie hinlänglich gezeichnet, und seine Illustration ist ihm vorangegangen
in der flüchtigen Stiftung des Kaiserreichs Mexico. Allein der Kampf wider
eine nur partielle, nur mehr oder minder androhenden Un ertra g ki edle it
wurde dort zu nichte und hatte hier die volle Verwirklichung der vermeinten
Unerträglichkeit zur Folge. Ueber diese Unerträglichkeit hat sich
das Jesuitenblatt "Voce äolla vLiitü." klar ausgesprochen., Es sei ein großer
Irrthum, wenn man glaube, der kirchliche Kampf ginge nur von einigen
Persönlichkeiten, namentlich aber von Bismarck allein aus, und mit dem
Ministerium Bismarck werde derselbe auch aufhören. Der Kampf werde viel¬
mehr solange fortdauern als Preußen bestehe, und zwar weil der Kampf
seinen wahren und Hauptgrund in der innersten Natur dieses Staates
habe; denn Preußen beruhe auf dem Protestantismus, es sei der Wall
und die Festung des protestantischen Deutschlands. Dort entspringe auch
die eigentliche Opposition gegen Rom, da nun aus dem Protestantismus der
Rationalismus hervorgehe, so sei auch Preußen der Hort des Rationalis¬
mus und der Freimaurer. Nach einer so offnen Erklärung, welche man als
die überwallende Eruption einer großen unterirdischen Gedankenwelt betrachten
kann, gehört die ganze "Unverfrorenheit" der Berliner Germania dazu, wenn
sie den Trinkspruch des Grafen Münster, in einem nicht politischen Berein zu
London gehalten, geradezu dahin umkehrt, er sei eine Ausforderung zum
Religionskriege im Namen des deutschen Kaisers.

Im November des Jahres 1870 kam der Erzbischof von Posen Ledochowsky
nach Versailles und suchte den siegreichen König für den Plan zu gewinnen,
seine Macht dazu zu verwenden, dem Papst den Kirchenstaat wieder zu geben.
Wie brennend muß die Ungeduld des Vaticanischen Fanatismus gewesen sein,
da er nicht einmal das Ende des Krieges abwarten konnte. Man würde
aber wohl sicher das nächste und größte Motiv dieser nur scheinbar impro-
visirten Ambassade übersehen, wenn man meinen wollte, es habe sich in erster
Linie um den Kirchenstaat in Italien gehandelt. In erster Linie handelte es sich
um die Beugung der neuen Macht unter das römische Interesse, die römische
Autorität. Nahm man das Aufgebot an, so war es um die Freiheit Preußens
und Deutschlands geschehen. Die clerikale Kirche kann ja warten auf die
öffentliche Conversion eines Proselyten. Hängt er nur erst eine Wunder¬
medaille um seinen Hals, geht er nur erst mit einem Centrum durch dick und


fanatischen Princip, seiner Priesterschaft sich nicht unterwerfen will, unmöglich
in Wahrheit huldigen; es wird sich gegen die Ueberlegenheit und das an¬
gebliche Recht derselben nach Maaßgabe der Klugheit oder auch nach Maa߬
gabe der Leidenschaft und Schwärmerei des Hasses zu erheben suchen.

Das letzte Wort über den letzten Krieg hat die Geschichte noch nicht
offen ausgesprochen. Er ist für's Erste als der kleine Krieg der Kaiserin
Eugenie hinlänglich gezeichnet, und seine Illustration ist ihm vorangegangen
in der flüchtigen Stiftung des Kaiserreichs Mexico. Allein der Kampf wider
eine nur partielle, nur mehr oder minder androhenden Un ertra g ki edle it
wurde dort zu nichte und hatte hier die volle Verwirklichung der vermeinten
Unerträglichkeit zur Folge. Ueber diese Unerträglichkeit hat sich
das Jesuitenblatt „Voce äolla vLiitü." klar ausgesprochen., Es sei ein großer
Irrthum, wenn man glaube, der kirchliche Kampf ginge nur von einigen
Persönlichkeiten, namentlich aber von Bismarck allein aus, und mit dem
Ministerium Bismarck werde derselbe auch aufhören. Der Kampf werde viel¬
mehr solange fortdauern als Preußen bestehe, und zwar weil der Kampf
seinen wahren und Hauptgrund in der innersten Natur dieses Staates
habe; denn Preußen beruhe auf dem Protestantismus, es sei der Wall
und die Festung des protestantischen Deutschlands. Dort entspringe auch
die eigentliche Opposition gegen Rom, da nun aus dem Protestantismus der
Rationalismus hervorgehe, so sei auch Preußen der Hort des Rationalis¬
mus und der Freimaurer. Nach einer so offnen Erklärung, welche man als
die überwallende Eruption einer großen unterirdischen Gedankenwelt betrachten
kann, gehört die ganze „Unverfrorenheit" der Berliner Germania dazu, wenn
sie den Trinkspruch des Grafen Münster, in einem nicht politischen Berein zu
London gehalten, geradezu dahin umkehrt, er sei eine Ausforderung zum
Religionskriege im Namen des deutschen Kaisers.

Im November des Jahres 1870 kam der Erzbischof von Posen Ledochowsky
nach Versailles und suchte den siegreichen König für den Plan zu gewinnen,
seine Macht dazu zu verwenden, dem Papst den Kirchenstaat wieder zu geben.
Wie brennend muß die Ungeduld des Vaticanischen Fanatismus gewesen sein,
da er nicht einmal das Ende des Krieges abwarten konnte. Man würde
aber wohl sicher das nächste und größte Motiv dieser nur scheinbar impro-
visirten Ambassade übersehen, wenn man meinen wollte, es habe sich in erster
Linie um den Kirchenstaat in Italien gehandelt. In erster Linie handelte es sich
um die Beugung der neuen Macht unter das römische Interesse, die römische
Autorität. Nahm man das Aufgebot an, so war es um die Freiheit Preußens
und Deutschlands geschehen. Die clerikale Kirche kann ja warten auf die
öffentliche Conversion eines Proselyten. Hängt er nur erst eine Wunder¬
medaille um seinen Hals, geht er nur erst mit einem Centrum durch dick und


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[0166] fanatischen Princip, seiner Priesterschaft sich nicht unterwerfen will, unmöglich in Wahrheit huldigen; es wird sich gegen die Ueberlegenheit und das an¬ gebliche Recht derselben nach Maaßgabe der Klugheit oder auch nach Maa߬ gabe der Leidenschaft und Schwärmerei des Hasses zu erheben suchen. Das letzte Wort über den letzten Krieg hat die Geschichte noch nicht offen ausgesprochen. Er ist für's Erste als der kleine Krieg der Kaiserin Eugenie hinlänglich gezeichnet, und seine Illustration ist ihm vorangegangen in der flüchtigen Stiftung des Kaiserreichs Mexico. Allein der Kampf wider eine nur partielle, nur mehr oder minder androhenden Un ertra g ki edle it wurde dort zu nichte und hatte hier die volle Verwirklichung der vermeinten Unerträglichkeit zur Folge. Ueber diese Unerträglichkeit hat sich das Jesuitenblatt „Voce äolla vLiitü." klar ausgesprochen., Es sei ein großer Irrthum, wenn man glaube, der kirchliche Kampf ginge nur von einigen Persönlichkeiten, namentlich aber von Bismarck allein aus, und mit dem Ministerium Bismarck werde derselbe auch aufhören. Der Kampf werde viel¬ mehr solange fortdauern als Preußen bestehe, und zwar weil der Kampf seinen wahren und Hauptgrund in der innersten Natur dieses Staates habe; denn Preußen beruhe auf dem Protestantismus, es sei der Wall und die Festung des protestantischen Deutschlands. Dort entspringe auch die eigentliche Opposition gegen Rom, da nun aus dem Protestantismus der Rationalismus hervorgehe, so sei auch Preußen der Hort des Rationalis¬ mus und der Freimaurer. Nach einer so offnen Erklärung, welche man als die überwallende Eruption einer großen unterirdischen Gedankenwelt betrachten kann, gehört die ganze „Unverfrorenheit" der Berliner Germania dazu, wenn sie den Trinkspruch des Grafen Münster, in einem nicht politischen Berein zu London gehalten, geradezu dahin umkehrt, er sei eine Ausforderung zum Religionskriege im Namen des deutschen Kaisers. Im November des Jahres 1870 kam der Erzbischof von Posen Ledochowsky nach Versailles und suchte den siegreichen König für den Plan zu gewinnen, seine Macht dazu zu verwenden, dem Papst den Kirchenstaat wieder zu geben. Wie brennend muß die Ungeduld des Vaticanischen Fanatismus gewesen sein, da er nicht einmal das Ende des Krieges abwarten konnte. Man würde aber wohl sicher das nächste und größte Motiv dieser nur scheinbar impro- visirten Ambassade übersehen, wenn man meinen wollte, es habe sich in erster Linie um den Kirchenstaat in Italien gehandelt. In erster Linie handelte es sich um die Beugung der neuen Macht unter das römische Interesse, die römische Autorität. Nahm man das Aufgebot an, so war es um die Freiheit Preußens und Deutschlands geschehen. Die clerikale Kirche kann ja warten auf die öffentliche Conversion eines Proselyten. Hängt er nur erst eine Wunder¬ medaille um seinen Hals, geht er nur erst mit einem Centrum durch dick und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/166>, abgerufen am 28.09.2024.