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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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insbesondere aber den Führern im Landtage, denen die Vereinsversammlungen
eine günstige Gelegenheit bieten würden, mit der Wählerschaft und
der gesammten Bevölkerung die nöthige Fühlung zu unter¬
halten; der "Volksbildungsverein", auf welchen man wohl hinweisen möchte,
^. steht doch im Großen und Ganzen abseits dieser Aufgabe.




Aphorismen zu den neuesten Zeitfragen.
Von L. P. Lange, Professor und Oberconsistorialrath zu Bonn. 3. Merkwürdige Daten.

Die vielfach besprochene Stelle: "Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist,
und Gott, was Gottes ist," gehört der bekannten evangelischen Geschichte vom
Zinsgroschen an. Bei der Beziehung jener Geschichte auf unsere Zeitverhält¬
nisse kommt aber nicht bloß das mahnende Wort Christi an die Klerikalen
seiner Zeit in Betracht, sondern auch der Gedanke seiner Versucher. Das
war der Gedanke des jüdischen Fanatismus: es ist eigentlich für
das Volk Gottes eine UnWürdigkeit, eine Sünde, wenn es dem
heidnischen Kaiser Steuern zahlt; es ist ein empörendes Ver¬
hältniß, daß das heilige Volk der unheiligen Weltmacht Unter¬
than ig ist.

Aus diesem sozialen Dogma des Fanatismus ging der große jüdische
Krieg hervor, welcher damit endigte, daß Jerusalem erobert wurde, der Tempel
niederbrannte, das Volk als Volk durch das Schwert, die Zerstreuung und
Sklaverei beinahe zu Grunde ging- Gleichwohl hatte der Fanatismus an dem
einen Verderben nicht genug; unter Hadrian loderte die Empörung noch
einmal wieder hoch empor, und der abermalige Sieg der Römer konnte zwar
den Ueberrest der Kraft des jüdischen Volkes völlig brechen, aber nicht seineu
Groll, der bis ins Mittelalter und weiter hinab langsam verkohlte.

Wenn aber von jenem jüdischen Fanatismus die Rede ist, so ist nicht
das Adjektiv jüdisch zu betonen, sondern das Substantiv Fanatismus.
Der pharisäisch-hierarchische Fanatismus hat in dem frommen edlen Volke die
große fanatische Verwirrung angezündet und geschürt. Daraus folgt also,
daß der gleiche Grad, die gleiche Siedehitze des Fanatismus in jeder Zeit, in
jedem Volk denselben Gedanken der Empörung wieder wecken und groß ziehen
Muß: ein Volk, das sich für das einzige Volk Gottes halten zu müssen
meint, kann einer Weltmacht, welche einem anderen religiösen Princip oder
einem anderen sittlichen oder politischen Princip folgt oder auch nur seinem


insbesondere aber den Führern im Landtage, denen die Vereinsversammlungen
eine günstige Gelegenheit bieten würden, mit der Wählerschaft und
der gesammten Bevölkerung die nöthige Fühlung zu unter¬
halten; der „Volksbildungsverein", auf welchen man wohl hinweisen möchte,
^. steht doch im Großen und Ganzen abseits dieser Aufgabe.




Aphorismen zu den neuesten Zeitfragen.
Von L. P. Lange, Professor und Oberconsistorialrath zu Bonn. 3. Merkwürdige Daten.

Die vielfach besprochene Stelle: „Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist,
und Gott, was Gottes ist," gehört der bekannten evangelischen Geschichte vom
Zinsgroschen an. Bei der Beziehung jener Geschichte auf unsere Zeitverhält¬
nisse kommt aber nicht bloß das mahnende Wort Christi an die Klerikalen
seiner Zeit in Betracht, sondern auch der Gedanke seiner Versucher. Das
war der Gedanke des jüdischen Fanatismus: es ist eigentlich für
das Volk Gottes eine UnWürdigkeit, eine Sünde, wenn es dem
heidnischen Kaiser Steuern zahlt; es ist ein empörendes Ver¬
hältniß, daß das heilige Volk der unheiligen Weltmacht Unter¬
than ig ist.

Aus diesem sozialen Dogma des Fanatismus ging der große jüdische
Krieg hervor, welcher damit endigte, daß Jerusalem erobert wurde, der Tempel
niederbrannte, das Volk als Volk durch das Schwert, die Zerstreuung und
Sklaverei beinahe zu Grunde ging- Gleichwohl hatte der Fanatismus an dem
einen Verderben nicht genug; unter Hadrian loderte die Empörung noch
einmal wieder hoch empor, und der abermalige Sieg der Römer konnte zwar
den Ueberrest der Kraft des jüdischen Volkes völlig brechen, aber nicht seineu
Groll, der bis ins Mittelalter und weiter hinab langsam verkohlte.

Wenn aber von jenem jüdischen Fanatismus die Rede ist, so ist nicht
das Adjektiv jüdisch zu betonen, sondern das Substantiv Fanatismus.
Der pharisäisch-hierarchische Fanatismus hat in dem frommen edlen Volke die
große fanatische Verwirrung angezündet und geschürt. Daraus folgt also,
daß der gleiche Grad, die gleiche Siedehitze des Fanatismus in jeder Zeit, in
jedem Volk denselben Gedanken der Empörung wieder wecken und groß ziehen
Muß: ein Volk, das sich für das einzige Volk Gottes halten zu müssen
meint, kann einer Weltmacht, welche einem anderen religiösen Princip oder
einem anderen sittlichen oder politischen Princip folgt oder auch nur seinem


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[0165] insbesondere aber den Führern im Landtage, denen die Vereinsversammlungen eine günstige Gelegenheit bieten würden, mit der Wählerschaft und der gesammten Bevölkerung die nöthige Fühlung zu unter¬ halten; der „Volksbildungsverein", auf welchen man wohl hinweisen möchte, ^. steht doch im Großen und Ganzen abseits dieser Aufgabe. Aphorismen zu den neuesten Zeitfragen. Von L. P. Lange, Professor und Oberconsistorialrath zu Bonn. 3. Merkwürdige Daten. Die vielfach besprochene Stelle: „Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist," gehört der bekannten evangelischen Geschichte vom Zinsgroschen an. Bei der Beziehung jener Geschichte auf unsere Zeitverhält¬ nisse kommt aber nicht bloß das mahnende Wort Christi an die Klerikalen seiner Zeit in Betracht, sondern auch der Gedanke seiner Versucher. Das war der Gedanke des jüdischen Fanatismus: es ist eigentlich für das Volk Gottes eine UnWürdigkeit, eine Sünde, wenn es dem heidnischen Kaiser Steuern zahlt; es ist ein empörendes Ver¬ hältniß, daß das heilige Volk der unheiligen Weltmacht Unter¬ than ig ist. Aus diesem sozialen Dogma des Fanatismus ging der große jüdische Krieg hervor, welcher damit endigte, daß Jerusalem erobert wurde, der Tempel niederbrannte, das Volk als Volk durch das Schwert, die Zerstreuung und Sklaverei beinahe zu Grunde ging- Gleichwohl hatte der Fanatismus an dem einen Verderben nicht genug; unter Hadrian loderte die Empörung noch einmal wieder hoch empor, und der abermalige Sieg der Römer konnte zwar den Ueberrest der Kraft des jüdischen Volkes völlig brechen, aber nicht seineu Groll, der bis ins Mittelalter und weiter hinab langsam verkohlte. Wenn aber von jenem jüdischen Fanatismus die Rede ist, so ist nicht das Adjektiv jüdisch zu betonen, sondern das Substantiv Fanatismus. Der pharisäisch-hierarchische Fanatismus hat in dem frommen edlen Volke die große fanatische Verwirrung angezündet und geschürt. Daraus folgt also, daß der gleiche Grad, die gleiche Siedehitze des Fanatismus in jeder Zeit, in jedem Volk denselben Gedanken der Empörung wieder wecken und groß ziehen Muß: ein Volk, das sich für das einzige Volk Gottes halten zu müssen meint, kann einer Weltmacht, welche einem anderen religiösen Princip oder einem anderen sittlichen oder politischen Princip folgt oder auch nur seinem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/165>, abgerufen am 29.06.2024.