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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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tüchtig derselbe auch sein mag, von vorne herein nicht recht sympathisch, nicht
Alle haben ihm ihre Stimmen gern gegeben; jetzt klagt man darüber, daß
er im Reichstage gar nichts von sich hören lasse, auch mit seinem Wahlkreise
keine Verbindung unterhalte. Das sind freilich etwas untergeordnete Vor¬
würfe, aber sie fassen bei der Wählerschaft leicht Wurzel: dieselbe fühlt in-
stinctiv eine gewisse Ignorirung, eine vornehme Rücksichtslosigkeit heraus. In
Gotha herrscht eine noch tiefer gehende Verstimmung über den Abgeordneten
Ausfeld; sie richtet sich direct wider seine politische Haltung, wider seine
Abstimmung in hochwichtigen Fragen, in welchen sein abstracter, unpraktischer
Radicalismus mit dem Sinn und der Sorge für die innere Erstarkung des
Reiches durchging. Wir brauchen nur an die vorjährigen Kämpfe über die
Feststellung des Friedenspräsenzstandes beim deutschen Heere zu erinnern; ein
Alpdruck lag auf der ganzen Nation, bloß die Rothen und die Schwarzen
jubelten -- in der Erwartung eines tiefen Risses zwischen dem Kaiser und
dem Reichstag. Da brachten der Kanzler und die überwiegende Mehrheit der
Abgeordneten ein patriotisches Opfer, indem sie sich über das bekannte Pro¬
visorium von sieben Jahren einigten. Die Freunde des Vaterlandes athmeten
auf, ein schweres Unheil war glücklich abgewendet, der Abgeordnete für Gotha
aber hatte aus schablonenmäßiger Grundsätzlichkeit auf dem linken Flügel der
Fortschrittspartei mit Franz Dunker und Genossen gegen den Ausgleich ge¬
stimmt -- wahrhaftig nicht zum Danke seiner Wähler, die sich vor der Wahl
gerade über seine Stellung zur Integrität der deutschen Heeresmacht beruhigende
Zusagen von ihm hätten geben lassen. Herr Ausfeld ist ein sehr ehrenhafter,
makelloser Character. aber durchaus kein Politiker; das hat er schon damals
bewiesen, als er im constituirenden Reichstag sich zu denen gesellte, welche
in der Norddeutschen Bundesverfassung den Ruin des Vaterlandes sahen und
ihre Stimmen für die Verwerfung derselben abgaben. Ob es bei einer Neu¬
wahl der Achtung vor dem tüchtigen Menschen noch einmal gelingen wird,
den Politiker vergessen zu machen, möchten wir bezweifeln.

Um die Elemente, welche sich bei der letzten Reichstagswahl zum gemein¬
samen Kampfe wider die Sozialdemokraten vereinigt haben, auch für spätere
Zeiten zusammenzuhalten, wurde im Herzogthum Coburg, vorzüglich auf Be¬
treiben des Justizraths Forkel, im vorigen Jahre ein reichstreuer liberaler
Verein gegründet, der auch in stillen Zeitläuften das politische Leben in
Fluß erhalten soll. Neuerdings hat sich derselbe mit Erfolg der städtischen
Gemeindewahlen angenommen. In Gotha sollte man nicht länger säumen,
einen ähnlichen Gebrauch von dem Vereinsrechte zu machen, damit nicht immer,
wie bisher, wenn es eine politische Action gilt, mit dem Organistren und
Sammeln der Truppen von vorne angefangen werden muß. Den tonangebenden
Persönlichkeiten möchten wir diese Angelegenheit dringend empfohlen haben


tüchtig derselbe auch sein mag, von vorne herein nicht recht sympathisch, nicht
Alle haben ihm ihre Stimmen gern gegeben; jetzt klagt man darüber, daß
er im Reichstage gar nichts von sich hören lasse, auch mit seinem Wahlkreise
keine Verbindung unterhalte. Das sind freilich etwas untergeordnete Vor¬
würfe, aber sie fassen bei der Wählerschaft leicht Wurzel: dieselbe fühlt in-
stinctiv eine gewisse Ignorirung, eine vornehme Rücksichtslosigkeit heraus. In
Gotha herrscht eine noch tiefer gehende Verstimmung über den Abgeordneten
Ausfeld; sie richtet sich direct wider seine politische Haltung, wider seine
Abstimmung in hochwichtigen Fragen, in welchen sein abstracter, unpraktischer
Radicalismus mit dem Sinn und der Sorge für die innere Erstarkung des
Reiches durchging. Wir brauchen nur an die vorjährigen Kämpfe über die
Feststellung des Friedenspräsenzstandes beim deutschen Heere zu erinnern; ein
Alpdruck lag auf der ganzen Nation, bloß die Rothen und die Schwarzen
jubelten — in der Erwartung eines tiefen Risses zwischen dem Kaiser und
dem Reichstag. Da brachten der Kanzler und die überwiegende Mehrheit der
Abgeordneten ein patriotisches Opfer, indem sie sich über das bekannte Pro¬
visorium von sieben Jahren einigten. Die Freunde des Vaterlandes athmeten
auf, ein schweres Unheil war glücklich abgewendet, der Abgeordnete für Gotha
aber hatte aus schablonenmäßiger Grundsätzlichkeit auf dem linken Flügel der
Fortschrittspartei mit Franz Dunker und Genossen gegen den Ausgleich ge¬
stimmt — wahrhaftig nicht zum Danke seiner Wähler, die sich vor der Wahl
gerade über seine Stellung zur Integrität der deutschen Heeresmacht beruhigende
Zusagen von ihm hätten geben lassen. Herr Ausfeld ist ein sehr ehrenhafter,
makelloser Character. aber durchaus kein Politiker; das hat er schon damals
bewiesen, als er im constituirenden Reichstag sich zu denen gesellte, welche
in der Norddeutschen Bundesverfassung den Ruin des Vaterlandes sahen und
ihre Stimmen für die Verwerfung derselben abgaben. Ob es bei einer Neu¬
wahl der Achtung vor dem tüchtigen Menschen noch einmal gelingen wird,
den Politiker vergessen zu machen, möchten wir bezweifeln.

Um die Elemente, welche sich bei der letzten Reichstagswahl zum gemein¬
samen Kampfe wider die Sozialdemokraten vereinigt haben, auch für spätere
Zeiten zusammenzuhalten, wurde im Herzogthum Coburg, vorzüglich auf Be¬
treiben des Justizraths Forkel, im vorigen Jahre ein reichstreuer liberaler
Verein gegründet, der auch in stillen Zeitläuften das politische Leben in
Fluß erhalten soll. Neuerdings hat sich derselbe mit Erfolg der städtischen
Gemeindewahlen angenommen. In Gotha sollte man nicht länger säumen,
einen ähnlichen Gebrauch von dem Vereinsrechte zu machen, damit nicht immer,
wie bisher, wenn es eine politische Action gilt, mit dem Organistren und
Sammeln der Truppen von vorne angefangen werden muß. Den tonangebenden
Persönlichkeiten möchten wir diese Angelegenheit dringend empfohlen haben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/164>, abgerufen am 29.06.2024.