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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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zu werfen, und die Kritik nimmt dabei, namentlich in den Commissionen,
mitunter einen recht kleinlichen, persönlichen Charakter an, so daß es den
armen Beamten nicht zu verargen ist, wenn sie den Verhandlungen mit
Herzklopfen entgegensehen. In klingender Münze Liberalität gegen das
Staatsbeamtenthum zu üben, gestatten leider die Verhältnisse nicht; mit um
so mehr Recht kann man wenigstens eine zarte und objective Be¬
handlung der Gehaltss ragen verlangen; es greift über die Aufgabe
der Landesvertretung hinaus, wenn sie die größere oder geringere
Qualifikation, den größeren oder geringeren Eifer einzelner Richter,
Professoren ?c. erörtert, um daraus Motive für ihre Entschließungen über
die beantragten Zulagen zu schöpfen.

Ein nicht geringer Uebelstand liegt ferner in der außerordentlichen
Langsamkeit, mit welcher in der Regel unsere Landtage arbeiten. Diese
Bemerkung gilt ebenfalls hauptsächlich den Commissionen, bei denen die
Regierungsvorlagen oft wochenlang liegen bleiben, um schließlich mit geringen
^Abänderungen oder gar mit einem kurzen Ablehnungsantrage wieder zum
Vorschein zu kommen. Auch der gemeinschaftliche Landtag hat sich an dem
Geschäftsgange des Reichstags noch kein Beispiel genommen, die Vorlagen
in Betreff der Synodalverfassung haben im letzten Frühjahre eine
Commission über einen Monat lang in Anspruch genommen und das Re¬
sultat war -- Ablehnung der Einzelberathung. Sachlich sind wir mit
diesem Endergebnisse völlig einverstanden: auch wir halten den unklaren
Begriff des "obersten Landesbischofs" für veraltet und finden ein ausschließliches
Gesetzgebungsrecht des Fürsten in kirchlichen Dingen durch den Wortlaut
unserer Verfassung nirgends begründet, dem Geiste derselben aber geradezu
widersprechend; auch wir können von einer kleinen Landes- oder Provinzial-
Synode, namentlich wenn sie zur Hälfte aus Geistlichen besteht, nicht einen
Aufschwung, sondern eher noch einen weiteren Niedergang des kirchlichen
Lebens erwarten; ja wir sind sogar des ketzerischen Dafürhaltens, daß das
in sichtlichem Absterben begriffene sogenannte kirchliche Leben überhaupt nicht
durch künstliche Mittel wieder aufgeweckt und gestärkt werden kann, sondern
daß der Geist der Religion, der Sittlichkett und Humanität
in neue, zeitgemäßere Formen gegossen werden muß, die sich
gewiß auch finden, sobald einmal die r astl o se A r b eit des Ver¬
standes, die unaufhaltsam fortschreitende Bildung Hand in
Hand mit dem Bedürfnisse des modernen Staatswesens die
Glaubens-Ueberlieferungen und hierarchischen Schöpfu.n gen
vieler Jahrhunderte vollends überwunden haben wird. Also
wir stimmen in der Sache selbst mit der Commission überein, deren Antrag
auch die Billigung des Plenums gefunden hat; aber warum bedürfte es so


Grenzboten Hi, 1d7S. 20

zu werfen, und die Kritik nimmt dabei, namentlich in den Commissionen,
mitunter einen recht kleinlichen, persönlichen Charakter an, so daß es den
armen Beamten nicht zu verargen ist, wenn sie den Verhandlungen mit
Herzklopfen entgegensehen. In klingender Münze Liberalität gegen das
Staatsbeamtenthum zu üben, gestatten leider die Verhältnisse nicht; mit um
so mehr Recht kann man wenigstens eine zarte und objective Be¬
handlung der Gehaltss ragen verlangen; es greift über die Aufgabe
der Landesvertretung hinaus, wenn sie die größere oder geringere
Qualifikation, den größeren oder geringeren Eifer einzelner Richter,
Professoren ?c. erörtert, um daraus Motive für ihre Entschließungen über
die beantragten Zulagen zu schöpfen.

Ein nicht geringer Uebelstand liegt ferner in der außerordentlichen
Langsamkeit, mit welcher in der Regel unsere Landtage arbeiten. Diese
Bemerkung gilt ebenfalls hauptsächlich den Commissionen, bei denen die
Regierungsvorlagen oft wochenlang liegen bleiben, um schließlich mit geringen
^Abänderungen oder gar mit einem kurzen Ablehnungsantrage wieder zum
Vorschein zu kommen. Auch der gemeinschaftliche Landtag hat sich an dem
Geschäftsgange des Reichstags noch kein Beispiel genommen, die Vorlagen
in Betreff der Synodalverfassung haben im letzten Frühjahre eine
Commission über einen Monat lang in Anspruch genommen und das Re¬
sultat war — Ablehnung der Einzelberathung. Sachlich sind wir mit
diesem Endergebnisse völlig einverstanden: auch wir halten den unklaren
Begriff des „obersten Landesbischofs" für veraltet und finden ein ausschließliches
Gesetzgebungsrecht des Fürsten in kirchlichen Dingen durch den Wortlaut
unserer Verfassung nirgends begründet, dem Geiste derselben aber geradezu
widersprechend; auch wir können von einer kleinen Landes- oder Provinzial-
Synode, namentlich wenn sie zur Hälfte aus Geistlichen besteht, nicht einen
Aufschwung, sondern eher noch einen weiteren Niedergang des kirchlichen
Lebens erwarten; ja wir sind sogar des ketzerischen Dafürhaltens, daß das
in sichtlichem Absterben begriffene sogenannte kirchliche Leben überhaupt nicht
durch künstliche Mittel wieder aufgeweckt und gestärkt werden kann, sondern
daß der Geist der Religion, der Sittlichkett und Humanität
in neue, zeitgemäßere Formen gegossen werden muß, die sich
gewiß auch finden, sobald einmal die r astl o se A r b eit des Ver¬
standes, die unaufhaltsam fortschreitende Bildung Hand in
Hand mit dem Bedürfnisse des modernen Staatswesens die
Glaubens-Ueberlieferungen und hierarchischen Schöpfu.n gen
vieler Jahrhunderte vollends überwunden haben wird. Also
wir stimmen in der Sache selbst mit der Commission überein, deren Antrag
auch die Billigung des Plenums gefunden hat; aber warum bedürfte es so


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/161>, abgerufen am 28.09.2024.