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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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Gebühr mit ihnen geschaltet habe, sich hurtig und elend bekannt, nicht mehr
werth, des Papstes Sohn zu heißen. Hierauf schrieb Gregor'), über den
Brief frohlockend, an einen Bertrauten: "Wie viel wir dem König nützen oder
andrerseits ihm schaden können, wenn wir unsere schützende Hand von ihm
ziehen, wirst du bald, wie wir hoffen, auf das augenscheinlichste erfahren
und so einsehen, daß Gott mit uns ist und uns sichtlich unterstützt."

So schreibt kein wahrer Christ, und damit urtheilen wir vom sittlichen
Standpunkt über Gregor ab, wie Battmann und Gfrörer, letzterer, bevor er
convertirte.

Vom politischen Standpunkt aus, namentlich unter Berücksichtigung der
wissenschaftlich erhärteten Thatsache, daß die römische Kirche ein politisches
Gebäude ist, daß seine Erbauer mit politischen Mitteln wirken mußten, haben
wir zu billigen, daß Niemand ohne seinen Willen und Zuthun von einem
Andern, ihm ursprünglich an Macht weit nachstehenden, übervortheilt werden
kann. Was die deutschen Herrscher sich vom Papstthum haben bieten lassen,
"dafür sind eben sie zuerst verantwortlich. Was auf dem Wege von Tribur
nach Canossa aus unsern ostfränkischen, deutschen Staatsanfängen geworden
ist, ist nicht blos das Werk einiger doppelzüngigen, alle Mittel lediglich nach
dem Erfolge (vgl. Jesuiten) abmessenden Päpste, sondern auch unfähiger
Könige, nach Unabhängigkeit strebender Lehensleute derselben, die nur so lange
Treue halten, als es ihr Vortheil erheischt, und überhaupt ungeordneter
Zustände im Volke. Heute kann uns die Entwickelung des deutschen Wahl¬
königreichs unter päpstlicher Einwirkung, durch das Bündniß zwischen Papst
und untreuen, aufständischen Reichsvasallen, zu einer Aristokratie geistlicher
und weltlicher Fürsten, Herren und Städte mit einem aus Lebenszeit ge¬
wählten Präsidenten unter dem Titel König und Kaiser unter der Ober¬
leitung des Papstes, der dem Kaiser die zweifelhafte Ehre anthut, ihn des
Papstes Sohn, d. h. Kreatur zu nennen, von der Wiederholung des ge¬
schichtlichen Ganges einer früheren Entwickelungsperiode nur abschrecken und
die Vergegenwärtigung dieses Ganges uns politisch also nützen. Heute sucht
vergebens der Orden der Gesellschaft Jesu das Spiel zu erneuern, das dem
Orden von Clugny gelang.

Im 14. Jahrhundert hat der Umstand, daß der Papst in französische
Abhängigkeit gerieth, dazu geführt, daß das deutsche Nationalgefühl, auf zu
harte Proben gestellt, selbst die Fürsten dazu lenkte, das Bündniß mit dem
Papste zu lösen. Der Kaiser ging jetzt auf ein solches mit dem Papste ein,
wie die nach dem Baseler Konzil abgeschlossenen Concordate vor allem be¬
weisen. Da hat nun die Reformation den gegen Kaiser und Papst auf-



") Der auch schon den Grundsatz der Unfehlbarkeit aufstellte: "Die römische Kirche hat
nie geirrt und wird in Ewigkeit nicht irren nach dem Zeugniß der Schrift."

Gebühr mit ihnen geschaltet habe, sich hurtig und elend bekannt, nicht mehr
werth, des Papstes Sohn zu heißen. Hierauf schrieb Gregor'), über den
Brief frohlockend, an einen Bertrauten: „Wie viel wir dem König nützen oder
andrerseits ihm schaden können, wenn wir unsere schützende Hand von ihm
ziehen, wirst du bald, wie wir hoffen, auf das augenscheinlichste erfahren
und so einsehen, daß Gott mit uns ist und uns sichtlich unterstützt."

So schreibt kein wahrer Christ, und damit urtheilen wir vom sittlichen
Standpunkt über Gregor ab, wie Battmann und Gfrörer, letzterer, bevor er
convertirte.

Vom politischen Standpunkt aus, namentlich unter Berücksichtigung der
wissenschaftlich erhärteten Thatsache, daß die römische Kirche ein politisches
Gebäude ist, daß seine Erbauer mit politischen Mitteln wirken mußten, haben
wir zu billigen, daß Niemand ohne seinen Willen und Zuthun von einem
Andern, ihm ursprünglich an Macht weit nachstehenden, übervortheilt werden
kann. Was die deutschen Herrscher sich vom Papstthum haben bieten lassen,
»dafür sind eben sie zuerst verantwortlich. Was auf dem Wege von Tribur
nach Canossa aus unsern ostfränkischen, deutschen Staatsanfängen geworden
ist, ist nicht blos das Werk einiger doppelzüngigen, alle Mittel lediglich nach
dem Erfolge (vgl. Jesuiten) abmessenden Päpste, sondern auch unfähiger
Könige, nach Unabhängigkeit strebender Lehensleute derselben, die nur so lange
Treue halten, als es ihr Vortheil erheischt, und überhaupt ungeordneter
Zustände im Volke. Heute kann uns die Entwickelung des deutschen Wahl¬
königreichs unter päpstlicher Einwirkung, durch das Bündniß zwischen Papst
und untreuen, aufständischen Reichsvasallen, zu einer Aristokratie geistlicher
und weltlicher Fürsten, Herren und Städte mit einem aus Lebenszeit ge¬
wählten Präsidenten unter dem Titel König und Kaiser unter der Ober¬
leitung des Papstes, der dem Kaiser die zweifelhafte Ehre anthut, ihn des
Papstes Sohn, d. h. Kreatur zu nennen, von der Wiederholung des ge¬
schichtlichen Ganges einer früheren Entwickelungsperiode nur abschrecken und
die Vergegenwärtigung dieses Ganges uns politisch also nützen. Heute sucht
vergebens der Orden der Gesellschaft Jesu das Spiel zu erneuern, das dem
Orden von Clugny gelang.

Im 14. Jahrhundert hat der Umstand, daß der Papst in französische
Abhängigkeit gerieth, dazu geführt, daß das deutsche Nationalgefühl, auf zu
harte Proben gestellt, selbst die Fürsten dazu lenkte, das Bündniß mit dem
Papste zu lösen. Der Kaiser ging jetzt auf ein solches mit dem Papste ein,
wie die nach dem Baseler Konzil abgeschlossenen Concordate vor allem be¬
weisen. Da hat nun die Reformation den gegen Kaiser und Papst auf-



") Der auch schon den Grundsatz der Unfehlbarkeit aufstellte: „Die römische Kirche hat
nie geirrt und wird in Ewigkeit nicht irren nach dem Zeugniß der Schrift."
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/157>, abgerufen am 29.06.2024.