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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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Thüringen, Heinrich Raspe, war wieder Gegenkönig gegen den ebenfalls vom
Papst aufgestellten Friedrich II.

Solche und noch schlimmere Folgen hat der Weg von Tribur nach
Canossa gehabt, der Weisfagespruch des Gerohus ist wirklich in Erfüllung
gegangen, und das heilige römische Reich deutscher Nation mit Anfang des
19. Jahrhunderts vollends förmlich in die längst entstandenen Vierfürsten-
thümer auseinander gegangen.

Verschieden ist es, wie wir vom politischen und vom sittlichen Stand¬
punkte aus heute die Entwickelung beurtheilen. Vom sittlichen Standpunkte
ist es ein abscheuliches Verhalten, das der päpstliche Stuhl beharrlich dem
deutschen Königthum gegenüber, besonders Gregor VII., beobachtet hat,
es ist das Verhalten berechneter Treulosigkeit. Wie aber das Wahlkönigthum
der Keim des deutschen Königthums, so war jener Charakter der Keim des
Papstthums. So sagt Gfrörer, Geschichte der christlichen Kirche II S. 1064,
von der Geneigtheit des Papstthums, dem Kaiserthum ze. sich so lange zu
fügen, als gewisse Vortheile damit zu erreichen waren, Päpste hätten ihre
Meinung dahin ausgesprochen: nicht allgemeiner Gebrauch und allgemeine
Menschenpflicht sei es, den Mächtigen der Erde die Wahrheit frisch in's
Gesicht zu sagen; wie alle Welt wisse, geschehe überall das Gegentheil. Wer
von Königen etwas verlange, was Recht sei, müsse ihre Großmuth bewundern,
ihre Gnade anrufen, sonst verfehle er sein Ziel. Der erste Mönchspapst
Gregor I. (von L90 an) war in dieser Weise ein Diplomat und unwahr
Fürsten gegenüber, er wünschte Pholas, dem griechischen Kronenräuber und
Mörder, Glück zu seiner Thronbesteigung und war ein Schmeichler gegen
Brunhilde, die furchtbare Frankenkönigin. Ueber den zweiten großen Mönchs¬
papst (Gregor VII.) sagt R. Battmann an der angezogenen Stelle: "Als
Gregor VII., in dem pfäffischen Wesen, das unter dem Scheine des Heiligen,
angeblich voll Antipathie gegen das Irdische, dennoch das Weltliche sucht
und der Selbstsucht dient, ist Hildebrand ein getreuer Spiegel Gregor's I.,
mit dem häßlichen Zug, den Gegnern die Blöße abzulauern und zu suchen,
was dem Augenblick fröhnt und nützt und nicht, was vorläufig außer dem
Bereich des Möglichen liegt, anzurühren, geböten es auch die höchsten Prin¬
zipien aller Sittlichkeit und Frömmigkeit". Wie richtig dieses Urtheil ist, er¬
giebt sich namentlich aus folgendem Gegeneinander.

Heinrich IV. hatte auf den Rath seines heuchlerischen Schwagers Rudolf,
seines spätern Gegenkönigs, 1073 einen Brief an Gregor geschrieben, in
welchem er sich allerdings eine große Blöße gegeben: daß er dem Papste in
allen obwaltenden Streitigkeiten nachgeben wolle. Er hatte sich darin selbst
angeklagt, daß er nicht allein die Güter der Kirche an sich gerissen, sondern
sie auch an unwürdige und Simonistische Priester verkauft und nicht nach


Thüringen, Heinrich Raspe, war wieder Gegenkönig gegen den ebenfalls vom
Papst aufgestellten Friedrich II.

Solche und noch schlimmere Folgen hat der Weg von Tribur nach
Canossa gehabt, der Weisfagespruch des Gerohus ist wirklich in Erfüllung
gegangen, und das heilige römische Reich deutscher Nation mit Anfang des
19. Jahrhunderts vollends förmlich in die längst entstandenen Vierfürsten-
thümer auseinander gegangen.

Verschieden ist es, wie wir vom politischen und vom sittlichen Stand¬
punkte aus heute die Entwickelung beurtheilen. Vom sittlichen Standpunkte
ist es ein abscheuliches Verhalten, das der päpstliche Stuhl beharrlich dem
deutschen Königthum gegenüber, besonders Gregor VII., beobachtet hat,
es ist das Verhalten berechneter Treulosigkeit. Wie aber das Wahlkönigthum
der Keim des deutschen Königthums, so war jener Charakter der Keim des
Papstthums. So sagt Gfrörer, Geschichte der christlichen Kirche II S. 1064,
von der Geneigtheit des Papstthums, dem Kaiserthum ze. sich so lange zu
fügen, als gewisse Vortheile damit zu erreichen waren, Päpste hätten ihre
Meinung dahin ausgesprochen: nicht allgemeiner Gebrauch und allgemeine
Menschenpflicht sei es, den Mächtigen der Erde die Wahrheit frisch in's
Gesicht zu sagen; wie alle Welt wisse, geschehe überall das Gegentheil. Wer
von Königen etwas verlange, was Recht sei, müsse ihre Großmuth bewundern,
ihre Gnade anrufen, sonst verfehle er sein Ziel. Der erste Mönchspapst
Gregor I. (von L90 an) war in dieser Weise ein Diplomat und unwahr
Fürsten gegenüber, er wünschte Pholas, dem griechischen Kronenräuber und
Mörder, Glück zu seiner Thronbesteigung und war ein Schmeichler gegen
Brunhilde, die furchtbare Frankenkönigin. Ueber den zweiten großen Mönchs¬
papst (Gregor VII.) sagt R. Battmann an der angezogenen Stelle: „Als
Gregor VII., in dem pfäffischen Wesen, das unter dem Scheine des Heiligen,
angeblich voll Antipathie gegen das Irdische, dennoch das Weltliche sucht
und der Selbstsucht dient, ist Hildebrand ein getreuer Spiegel Gregor's I.,
mit dem häßlichen Zug, den Gegnern die Blöße abzulauern und zu suchen,
was dem Augenblick fröhnt und nützt und nicht, was vorläufig außer dem
Bereich des Möglichen liegt, anzurühren, geböten es auch die höchsten Prin¬
zipien aller Sittlichkeit und Frömmigkeit". Wie richtig dieses Urtheil ist, er¬
giebt sich namentlich aus folgendem Gegeneinander.

Heinrich IV. hatte auf den Rath seines heuchlerischen Schwagers Rudolf,
seines spätern Gegenkönigs, 1073 einen Brief an Gregor geschrieben, in
welchem er sich allerdings eine große Blöße gegeben: daß er dem Papste in
allen obwaltenden Streitigkeiten nachgeben wolle. Er hatte sich darin selbst
angeklagt, daß er nicht allein die Güter der Kirche an sich gerissen, sondern
sie auch an unwürdige und Simonistische Priester verkauft und nicht nach


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[0156] Thüringen, Heinrich Raspe, war wieder Gegenkönig gegen den ebenfalls vom Papst aufgestellten Friedrich II. Solche und noch schlimmere Folgen hat der Weg von Tribur nach Canossa gehabt, der Weisfagespruch des Gerohus ist wirklich in Erfüllung gegangen, und das heilige römische Reich deutscher Nation mit Anfang des 19. Jahrhunderts vollends förmlich in die längst entstandenen Vierfürsten- thümer auseinander gegangen. Verschieden ist es, wie wir vom politischen und vom sittlichen Stand¬ punkte aus heute die Entwickelung beurtheilen. Vom sittlichen Standpunkte ist es ein abscheuliches Verhalten, das der päpstliche Stuhl beharrlich dem deutschen Königthum gegenüber, besonders Gregor VII., beobachtet hat, es ist das Verhalten berechneter Treulosigkeit. Wie aber das Wahlkönigthum der Keim des deutschen Königthums, so war jener Charakter der Keim des Papstthums. So sagt Gfrörer, Geschichte der christlichen Kirche II S. 1064, von der Geneigtheit des Papstthums, dem Kaiserthum ze. sich so lange zu fügen, als gewisse Vortheile damit zu erreichen waren, Päpste hätten ihre Meinung dahin ausgesprochen: nicht allgemeiner Gebrauch und allgemeine Menschenpflicht sei es, den Mächtigen der Erde die Wahrheit frisch in's Gesicht zu sagen; wie alle Welt wisse, geschehe überall das Gegentheil. Wer von Königen etwas verlange, was Recht sei, müsse ihre Großmuth bewundern, ihre Gnade anrufen, sonst verfehle er sein Ziel. Der erste Mönchspapst Gregor I. (von L90 an) war in dieser Weise ein Diplomat und unwahr Fürsten gegenüber, er wünschte Pholas, dem griechischen Kronenräuber und Mörder, Glück zu seiner Thronbesteigung und war ein Schmeichler gegen Brunhilde, die furchtbare Frankenkönigin. Ueber den zweiten großen Mönchs¬ papst (Gregor VII.) sagt R. Battmann an der angezogenen Stelle: „Als Gregor VII., in dem pfäffischen Wesen, das unter dem Scheine des Heiligen, angeblich voll Antipathie gegen das Irdische, dennoch das Weltliche sucht und der Selbstsucht dient, ist Hildebrand ein getreuer Spiegel Gregor's I., mit dem häßlichen Zug, den Gegnern die Blöße abzulauern und zu suchen, was dem Augenblick fröhnt und nützt und nicht, was vorläufig außer dem Bereich des Möglichen liegt, anzurühren, geböten es auch die höchsten Prin¬ zipien aller Sittlichkeit und Frömmigkeit". Wie richtig dieses Urtheil ist, er¬ giebt sich namentlich aus folgendem Gegeneinander. Heinrich IV. hatte auf den Rath seines heuchlerischen Schwagers Rudolf, seines spätern Gegenkönigs, 1073 einen Brief an Gregor geschrieben, in welchem er sich allerdings eine große Blöße gegeben: daß er dem Papste in allen obwaltenden Streitigkeiten nachgeben wolle. Er hatte sich darin selbst angeklagt, daß er nicht allein die Güter der Kirche an sich gerissen, sondern sie auch an unwürdige und Simonistische Priester verkauft und nicht nach

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/156>, abgerufen am 29.06.2024.