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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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tretenden Fürsten die Macht gegeben, das ganze System des heiligen
römischen Reichs deutscher Nation abzuwerfen, und des Volkes Vertretung,
in den einzelnen Fürstenthümern entwickelt, hat ganz neuerdings mit den
andern Fürsten in gemeinsamer Beschlußfassung einen aus ihrer Mitte mit
erblicher Berechtigung zum neuen deutschen Kaiser erhoben, der nicht wie
in Tribur begonnen.

Und dieser wird, so Gott will, auch des Reichskanzlers Spruch nur wahr
machen: Nach Canossa gehen wir nicht.




Licht- und Schattenbilder aus Koburg-Hotlja.
ii.

Unsere drei Landtage können sich nicht rühmen, das Interesse der
Staatsangehörigen lebhaft in Anspruch zu nehmen; auch bei wichtigeren
Berathungsgegenständen bleiben die Zuhörerräume leer, man begnügt sich mit
dem Lesen kurzer Berichte im Gothaer Tageblatt oder in der Coburger
Zeitung. Es war dies freilich auch früher, als noch nicht das deutsche Reich
unser politisches und wirthschaftliches Leben fast ausschließlich beherrschte,
wenig anders: die Verhandlungen so kleiner Versammlungen verlaufen in der
Regel zu eintönig und nüchtern, um dramatischen Reiz zu bieten. Gleichwohl
gehören die Landtage zu den wesentlichsten Factoren unseres particularstaat-
lichen Seins, und es wäre unrecht, schweigend an ihnen vorüber zu gehen.
Der gemeinsame tagte in Gotha vor Kurzem zum ersten Male in seiner
neuen, vollen, beide Sonderlandtage umfassenden Zusammensetzung: einzelne
kleinbürgerliche und bäuerliche Erscheinungen gaben ihm ein etwas provinzielles
Gepräge. Den Vorsitz führt seit vielen Jahren der Kreisgerichtsdirector
Berkel, zugleich Präsident des Gothaer Speziallandtags, ein wegen seiner
vielseitigen Bildung und seines biederen Charakters hochgeachteter Mann,
selbständig und freisinnig in seinem Urtheil, vorsichtig und mild in der
Form. Sein Stellvertreter ist der Bürgermeister Muth er von Coburg,
Präsident des Coburger Sonderlandtags, ein geschäftsgeübter Mann von
gesundem praktischem Blick. Die aggressive, schneidige Seite finden wir in
den Rechtsanwälten Müller und Heller aus Gotha und Forkel aus
Coburg"), die salbungsvolle und pathetische in dem gothaischen Landpfarrer
Trümpelmann vertreten. Mancher anderen tüchtigen Kraft könnten wir



*) Nicht das ehemalige Reichstagsmitglied Justizrath Forkel, welcher --- ebenso wie
der frühere Rcichstagsabgcordnete !>>-> Hcnnbcrg aus Gotha -- dem Landtage nicht mehr
angehört/

tretenden Fürsten die Macht gegeben, das ganze System des heiligen
römischen Reichs deutscher Nation abzuwerfen, und des Volkes Vertretung,
in den einzelnen Fürstenthümern entwickelt, hat ganz neuerdings mit den
andern Fürsten in gemeinsamer Beschlußfassung einen aus ihrer Mitte mit
erblicher Berechtigung zum neuen deutschen Kaiser erhoben, der nicht wie
in Tribur begonnen.

Und dieser wird, so Gott will, auch des Reichskanzlers Spruch nur wahr
machen: Nach Canossa gehen wir nicht.




Licht- und Schattenbilder aus Koburg-Hotlja.
ii.

Unsere drei Landtage können sich nicht rühmen, das Interesse der
Staatsangehörigen lebhaft in Anspruch zu nehmen; auch bei wichtigeren
Berathungsgegenständen bleiben die Zuhörerräume leer, man begnügt sich mit
dem Lesen kurzer Berichte im Gothaer Tageblatt oder in der Coburger
Zeitung. Es war dies freilich auch früher, als noch nicht das deutsche Reich
unser politisches und wirthschaftliches Leben fast ausschließlich beherrschte,
wenig anders: die Verhandlungen so kleiner Versammlungen verlaufen in der
Regel zu eintönig und nüchtern, um dramatischen Reiz zu bieten. Gleichwohl
gehören die Landtage zu den wesentlichsten Factoren unseres particularstaat-
lichen Seins, und es wäre unrecht, schweigend an ihnen vorüber zu gehen.
Der gemeinsame tagte in Gotha vor Kurzem zum ersten Male in seiner
neuen, vollen, beide Sonderlandtage umfassenden Zusammensetzung: einzelne
kleinbürgerliche und bäuerliche Erscheinungen gaben ihm ein etwas provinzielles
Gepräge. Den Vorsitz führt seit vielen Jahren der Kreisgerichtsdirector
Berkel, zugleich Präsident des Gothaer Speziallandtags, ein wegen seiner
vielseitigen Bildung und seines biederen Charakters hochgeachteter Mann,
selbständig und freisinnig in seinem Urtheil, vorsichtig und mild in der
Form. Sein Stellvertreter ist der Bürgermeister Muth er von Coburg,
Präsident des Coburger Sonderlandtags, ein geschäftsgeübter Mann von
gesundem praktischem Blick. Die aggressive, schneidige Seite finden wir in
den Rechtsanwälten Müller und Heller aus Gotha und Forkel aus
Coburg"), die salbungsvolle und pathetische in dem gothaischen Landpfarrer
Trümpelmann vertreten. Mancher anderen tüchtigen Kraft könnten wir



*) Nicht das ehemalige Reichstagsmitglied Justizrath Forkel, welcher -— ebenso wie
der frühere Rcichstagsabgcordnete !>>-> Hcnnbcrg aus Gotha — dem Landtage nicht mehr
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/158>, abgerufen am 28.09.2024.