Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Herr Hofcapellmeister Krebs in Dresden endlich versichert uns aufs ent¬
schiedenste, daß er "schon frühzeitig großes musikalisches Talent entwickelt",
auch später "überall großes Direktionstalent gezeigt" habe, "sowie sich seine
Kompositionen durch reizende Melodieen auszeichnen (!)"

Wie konnte der Herausgeber so taktlos sein, alle diese Abgeschmacktheiten,
und wenn sie ihm zehnmal von den Autoren selbst zugesandt worden sind, zum
Abdruck zuzulassen? Wofür ist er denn Herausgeber und Redacteur? Um die
übersandten Notizen in alphabetische Reihenfolge zu bringen, bedürfte es dazu
eines Superintendenten und Oberpfarrers? Hätte das nicht der erste beste
Buchhändlerlehrling eben so gut besorgen können? Die ganze Thätigkeit des
Herausgebers beschränkt sich faktisch aus eine völlig kritiklose Aneinanderreihung
des ihm zur Verfügung gestellten Materials. Und welche Gelegenheit zu
redaetioneller Thätigkeit war ihm hier geboten! Alle ungenügenden, ungenauen
Angaben hätte er zurücksenden und sich dafür genauere erbitten, alle gelten
Ausläufer wuchernder Schriftstellereitelkeit hätte er unerbittlich wegschneiden,
lange Listen, in denen nichts als Quark aufgeführt wird, zusammenstreichen
und durch alle diese Mittel die nöthige Gleichmäßigkeit in die Angaben bringen.
müssen. Er hätte sich aber auch kümmern müssen, ob die Leute, die Ihm das
erste Mal ihre Beiträge geschickt, nach dem ersten Fiasko des Lexikons aber
nicht wieder, auch wirklich nach vier Jahren noch unter die "sächsischen Schrift¬
steller" zählen. Und hiermit berühre ich schließlich noch einen Punkt, der
wohl der schwächste und wundeste des ganzen Buches ist.

Ich habe schon oben darauf hingewiesen, daß das Haar'sche Machwerk
kein Schriftstellerlexikon sei. Es ist aber noch viel weniger ein sächsi¬
sches Schriftstellerlexikon, in dem vom Herausgeber aufgestellten Sinne des
Wortes. Auf der einen Seite fehlen sehr bedeutende Namen darin, die
schlechterdings nicht fehlen dürsten; ich nenne statt vieler nur einen: Gustav
Freytag! Möglich, daß ein deutscher Schriftsteller von Freytag's Bedeutung
es verschmäht hat, als "sächsischer" Schriftsteller zu figuriren, und deshalb
den Herausgeber ohne Notizen gelassen hat. Aber wie kinderleicht war es,
diese Notizen anderswoher zu schaffen! Und der Herausgeber mußte sie
schaffen! Auf der andern Seite stehen eine Menge Namen darin, die nicht
hinein gehören, weil ihre Träger entweder seit Jahren nicht mehr in Sachsen
leben oder überhaupt nicht mehr leben. Zahlreiche jüngere Universitätslehrer
z. B. sind seit drei, vier Jahren schon von Leipzig an andere Universitäten
berufen worden und werden immer noch als "gegenwärtig in Sachsen lebend"
verzeichnet. Wer in so geringem Connex mit der wissenschaftlichen Welt steht, daß
von derartigen Veränderungen keine Kunde zu ihm dringt, wie kann der sich
überhaupt einfallen lassen, eine derartige bibliographische Arbeit vorzunehmen?
In einem Falle hat sich der Herausgeber in Folge seiner Unwissenheit sogar


Herr Hofcapellmeister Krebs in Dresden endlich versichert uns aufs ent¬
schiedenste, daß er „schon frühzeitig großes musikalisches Talent entwickelt",
auch später „überall großes Direktionstalent gezeigt" habe, „sowie sich seine
Kompositionen durch reizende Melodieen auszeichnen (!)"

Wie konnte der Herausgeber so taktlos sein, alle diese Abgeschmacktheiten,
und wenn sie ihm zehnmal von den Autoren selbst zugesandt worden sind, zum
Abdruck zuzulassen? Wofür ist er denn Herausgeber und Redacteur? Um die
übersandten Notizen in alphabetische Reihenfolge zu bringen, bedürfte es dazu
eines Superintendenten und Oberpfarrers? Hätte das nicht der erste beste
Buchhändlerlehrling eben so gut besorgen können? Die ganze Thätigkeit des
Herausgebers beschränkt sich faktisch aus eine völlig kritiklose Aneinanderreihung
des ihm zur Verfügung gestellten Materials. Und welche Gelegenheit zu
redaetioneller Thätigkeit war ihm hier geboten! Alle ungenügenden, ungenauen
Angaben hätte er zurücksenden und sich dafür genauere erbitten, alle gelten
Ausläufer wuchernder Schriftstellereitelkeit hätte er unerbittlich wegschneiden,
lange Listen, in denen nichts als Quark aufgeführt wird, zusammenstreichen
und durch alle diese Mittel die nöthige Gleichmäßigkeit in die Angaben bringen.
müssen. Er hätte sich aber auch kümmern müssen, ob die Leute, die Ihm das
erste Mal ihre Beiträge geschickt, nach dem ersten Fiasko des Lexikons aber
nicht wieder, auch wirklich nach vier Jahren noch unter die „sächsischen Schrift¬
steller" zählen. Und hiermit berühre ich schließlich noch einen Punkt, der
wohl der schwächste und wundeste des ganzen Buches ist.

Ich habe schon oben darauf hingewiesen, daß das Haar'sche Machwerk
kein Schriftstellerlexikon sei. Es ist aber noch viel weniger ein sächsi¬
sches Schriftstellerlexikon, in dem vom Herausgeber aufgestellten Sinne des
Wortes. Auf der einen Seite fehlen sehr bedeutende Namen darin, die
schlechterdings nicht fehlen dürsten; ich nenne statt vieler nur einen: Gustav
Freytag! Möglich, daß ein deutscher Schriftsteller von Freytag's Bedeutung
es verschmäht hat, als „sächsischer" Schriftsteller zu figuriren, und deshalb
den Herausgeber ohne Notizen gelassen hat. Aber wie kinderleicht war es,
diese Notizen anderswoher zu schaffen! Und der Herausgeber mußte sie
schaffen! Auf der andern Seite stehen eine Menge Namen darin, die nicht
hinein gehören, weil ihre Träger entweder seit Jahren nicht mehr in Sachsen
leben oder überhaupt nicht mehr leben. Zahlreiche jüngere Universitätslehrer
z. B. sind seit drei, vier Jahren schon von Leipzig an andere Universitäten
berufen worden und werden immer noch als „gegenwärtig in Sachsen lebend"
verzeichnet. Wer in so geringem Connex mit der wissenschaftlichen Welt steht, daß
von derartigen Veränderungen keine Kunde zu ihm dringt, wie kann der sich
überhaupt einfallen lassen, eine derartige bibliographische Arbeit vorzunehmen?
In einem Falle hat sich der Herausgeber in Folge seiner Unwissenheit sogar


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0140" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133958"/>
          <p xml:id="ID_476" prev="#ID_475"> Herr Hofcapellmeister Krebs in Dresden endlich versichert uns aufs ent¬<lb/>
schiedenste, daß er &#x201E;schon frühzeitig großes musikalisches Talent entwickelt",<lb/>
auch später &#x201E;überall großes Direktionstalent gezeigt" habe, &#x201E;sowie sich seine<lb/>
Kompositionen durch reizende Melodieen auszeichnen (!)"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_477"> Wie konnte der Herausgeber so taktlos sein, alle diese Abgeschmacktheiten,<lb/>
und wenn sie ihm zehnmal von den Autoren selbst zugesandt worden sind, zum<lb/>
Abdruck zuzulassen? Wofür ist er denn Herausgeber und Redacteur? Um die<lb/>
übersandten Notizen in alphabetische Reihenfolge zu bringen, bedürfte es dazu<lb/>
eines Superintendenten und Oberpfarrers? Hätte das nicht der erste beste<lb/>
Buchhändlerlehrling eben so gut besorgen können? Die ganze Thätigkeit des<lb/>
Herausgebers beschränkt sich faktisch aus eine völlig kritiklose Aneinanderreihung<lb/>
des ihm zur Verfügung gestellten Materials. Und welche Gelegenheit zu<lb/>
redaetioneller Thätigkeit war ihm hier geboten! Alle ungenügenden, ungenauen<lb/>
Angaben hätte er zurücksenden und sich dafür genauere erbitten, alle gelten<lb/>
Ausläufer wuchernder Schriftstellereitelkeit hätte er unerbittlich wegschneiden,<lb/>
lange Listen, in denen nichts als Quark aufgeführt wird, zusammenstreichen<lb/>
und durch alle diese Mittel die nöthige Gleichmäßigkeit in die Angaben bringen.<lb/>
müssen. Er hätte sich aber auch kümmern müssen, ob die Leute, die Ihm das<lb/>
erste Mal ihre Beiträge geschickt, nach dem ersten Fiasko des Lexikons aber<lb/>
nicht wieder, auch wirklich nach vier Jahren noch unter die &#x201E;sächsischen Schrift¬<lb/>
steller" zählen. Und hiermit berühre ich schließlich noch einen Punkt, der<lb/>
wohl der schwächste und wundeste des ganzen Buches ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_478" next="#ID_479"> Ich habe schon oben darauf hingewiesen, daß das Haar'sche Machwerk<lb/>
kein Schriftstellerlexikon sei. Es ist aber noch viel weniger ein sächsi¬<lb/>
sches Schriftstellerlexikon, in dem vom Herausgeber aufgestellten Sinne des<lb/>
Wortes. Auf der einen Seite fehlen sehr bedeutende Namen darin, die<lb/>
schlechterdings nicht fehlen dürsten; ich nenne statt vieler nur einen: Gustav<lb/>
Freytag! Möglich, daß ein deutscher Schriftsteller von Freytag's Bedeutung<lb/>
es verschmäht hat, als &#x201E;sächsischer" Schriftsteller zu figuriren, und deshalb<lb/>
den Herausgeber ohne Notizen gelassen hat. Aber wie kinderleicht war es,<lb/>
diese Notizen anderswoher zu schaffen! Und der Herausgeber mußte sie<lb/>
schaffen! Auf der andern Seite stehen eine Menge Namen darin, die nicht<lb/>
hinein gehören, weil ihre Träger entweder seit Jahren nicht mehr in Sachsen<lb/>
leben oder überhaupt nicht mehr leben. Zahlreiche jüngere Universitätslehrer<lb/>
z. B. sind seit drei, vier Jahren schon von Leipzig an andere Universitäten<lb/>
berufen worden und werden immer noch als &#x201E;gegenwärtig in Sachsen lebend"<lb/>
verzeichnet. Wer in so geringem Connex mit der wissenschaftlichen Welt steht, daß<lb/>
von derartigen Veränderungen keine Kunde zu ihm dringt, wie kann der sich<lb/>
überhaupt einfallen lassen, eine derartige bibliographische Arbeit vorzunehmen?<lb/>
In einem Falle hat sich der Herausgeber in Folge seiner Unwissenheit sogar</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0140] Herr Hofcapellmeister Krebs in Dresden endlich versichert uns aufs ent¬ schiedenste, daß er „schon frühzeitig großes musikalisches Talent entwickelt", auch später „überall großes Direktionstalent gezeigt" habe, „sowie sich seine Kompositionen durch reizende Melodieen auszeichnen (!)" Wie konnte der Herausgeber so taktlos sein, alle diese Abgeschmacktheiten, und wenn sie ihm zehnmal von den Autoren selbst zugesandt worden sind, zum Abdruck zuzulassen? Wofür ist er denn Herausgeber und Redacteur? Um die übersandten Notizen in alphabetische Reihenfolge zu bringen, bedürfte es dazu eines Superintendenten und Oberpfarrers? Hätte das nicht der erste beste Buchhändlerlehrling eben so gut besorgen können? Die ganze Thätigkeit des Herausgebers beschränkt sich faktisch aus eine völlig kritiklose Aneinanderreihung des ihm zur Verfügung gestellten Materials. Und welche Gelegenheit zu redaetioneller Thätigkeit war ihm hier geboten! Alle ungenügenden, ungenauen Angaben hätte er zurücksenden und sich dafür genauere erbitten, alle gelten Ausläufer wuchernder Schriftstellereitelkeit hätte er unerbittlich wegschneiden, lange Listen, in denen nichts als Quark aufgeführt wird, zusammenstreichen und durch alle diese Mittel die nöthige Gleichmäßigkeit in die Angaben bringen. müssen. Er hätte sich aber auch kümmern müssen, ob die Leute, die Ihm das erste Mal ihre Beiträge geschickt, nach dem ersten Fiasko des Lexikons aber nicht wieder, auch wirklich nach vier Jahren noch unter die „sächsischen Schrift¬ steller" zählen. Und hiermit berühre ich schließlich noch einen Punkt, der wohl der schwächste und wundeste des ganzen Buches ist. Ich habe schon oben darauf hingewiesen, daß das Haar'sche Machwerk kein Schriftstellerlexikon sei. Es ist aber noch viel weniger ein sächsi¬ sches Schriftstellerlexikon, in dem vom Herausgeber aufgestellten Sinne des Wortes. Auf der einen Seite fehlen sehr bedeutende Namen darin, die schlechterdings nicht fehlen dürsten; ich nenne statt vieler nur einen: Gustav Freytag! Möglich, daß ein deutscher Schriftsteller von Freytag's Bedeutung es verschmäht hat, als „sächsischer" Schriftsteller zu figuriren, und deshalb den Herausgeber ohne Notizen gelassen hat. Aber wie kinderleicht war es, diese Notizen anderswoher zu schaffen! Und der Herausgeber mußte sie schaffen! Auf der andern Seite stehen eine Menge Namen darin, die nicht hinein gehören, weil ihre Träger entweder seit Jahren nicht mehr in Sachsen leben oder überhaupt nicht mehr leben. Zahlreiche jüngere Universitätslehrer z. B. sind seit drei, vier Jahren schon von Leipzig an andere Universitäten berufen worden und werden immer noch als „gegenwärtig in Sachsen lebend" verzeichnet. Wer in so geringem Connex mit der wissenschaftlichen Welt steht, daß von derartigen Veränderungen keine Kunde zu ihm dringt, wie kann der sich überhaupt einfallen lassen, eine derartige bibliographische Arbeit vorzunehmen? In einem Falle hat sich der Herausgeber in Folge seiner Unwissenheit sogar

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/140
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/140>, abgerufen am 29.06.2024.